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Nach dem Vorbild des Propheten

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Im Koran gibt es vier Kategorien von Frauen mit unterschiedlicher Gleichstellung gegenüber dem Mann.

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Im Koran gibt es vier Kategorien von Frauen mit unterschiedlicher Gleichstellung gegenüber dem Mann.

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Bei der UNO-Frauenkon-ferenz in Peking scheinen sich die Muster der Weltbevölkerungskonferenz von Kairo im vorigen September zu wiederholen: Vatikan und fundamentalistische islamische Kreise kämpfen Schulter an Schulter in schöner Eintracht gegen die höllische Verderbtheit, die offensichtlich zwingend entsteht, wenn die Frau das Recht erhält, allein über ihren Körper zu bestimmen. Die Islamisten bringen dabei juridische Argumente vor, die gute tausend Jahre alt sind (die Formierung der islamischen Rechtsschulen war Mitte des 9. Jahrhunderts abgeschlossen).

Sehr vereinfacht könnte man für die rechtliche Situation der Frau im Islam zwei völlig unterschiedliche Prämissen aufstellen.

1. Die Frau ist dem Mann nach islamischem Recht eindeutig nicht gleichgestellt.

2. Würde in den sogenannten islamischen Ländern das islamische Recht konsequent angewendet, wäre die Situation der Frau weit besser als sie es tatsächlich ist.

Denn die islamischen Rechtsinterpreten hatten bei ihrer Umsetzung der Scharia - die ja keineswegs ein Rechtskodex ist, in dem man nur nachzuschlagen braucht - in der Praxis schon früh die unzweifelhafte Tendenz entwickelt, die vom Koran, der primären Rechtsquelle, verbrieften Rechte der Frauen zu beschneiden. Das geschah natürlich nicht nur aus männlicher Perfidie: Das Gewohnheitsrecht (urf) der vorislamischen Gesellschaften setzte sich im Laufe der Zeit wieder mehr oder weniger stark durch; da dieses kaum schriftlich fixiert ist, kommt es auch heute vor allem im Zivilrecht zu einer beträchtlichen Rechtsunsicherheit -auch in Staaten, die ein fortschrittliches Personalstatut haben, wie etwa Tunesien.

Natürlich ist die Situation länderweise sehr unterschiedlich. Im Strafrecht droht heute den Frauen - und nicht nur ihnen - in manchen islamischen Staaten Gefahr ausgerechnet vom Einzug westlicher Konzepte in das Rechtssystem der Scharia. Werden Verurteilungen für Kapitalverbrechen vom islamischen Recht akri-bisch genau geregelt und durch strenge Zeugenvorschriften und kurze Verjährungszeiten sehr schwer gemacht, so hält eine „verwässerte” Scharia gefährliche Fallen bereit. Beispiel: Eine Frau - deren Zeugenaussage nur halb so viel wert ist wie die eines Mannes - zeigt ihren Vergewaltiger an. Gelingt ihr der Nachweis nicht, wird sie wegen Unzucht vor Gericht gestellt und oft auch verurteilt. Für dieselbe Verurteilung wären nach der Scharia vier männliche - oder acht weibliche - Zeugen notwendig, die den Geschlechtsakt genau, aber auch schon ganz genau, gesehen haben müßten.

Im Koran begegnen uns vier Kategorien von Frauen: die Frau als Gläubige, als Mitglied der Gesellschaft, als Handelnde in der Heilsgeschichte, die Ehefrauen des islamischen Propheten Muhammad. Als Gläubige ist die Frau, die im Koran sogar explizit angesprochen wird („0 ihr Musliminnen”) so gut wie gleichgestellt - „so gut wie” deshalb, weil menstruierende Frauen von den religiösen Pflichten entbunden sind, was die Apologeten des Islams als Beweis dafür deuten, wie gut dieser mit den Frauen umgeht, während Kritiker - aber auch schon frühe Autoren islamischer religiöser Literatur - es sehr wohl als - „gerechte” - Einschränkung der Frauen sehen. Ibn Qutayba (gest. 889) sieht die weibliche „Unreinheit in Bauch und Vulva” als Strafe für Evas Geschlechtsgenossinnen für die Verführung Adams.

Für die Ehefrauen des Propheten gab es bezüglich Verschleierung und Seklusion größere Strenge, die später für „normale” Frauen nicht ohne Auswirkung bleiben sollte. Denn genauso wie der Prophet Muhammad und seine Lebensführung als Ideal für den gläubigen muslimischen Mann gilt, so sollten Muhammads Ehefrauen Vorbild für die gläubige Muslimin sein.

Gesellschaftliche Verbesserungen hat der Islam im siebten Jahrhundert für die Frau auf der arabischen Halbinsel wohl gebracht. Vor allem wurde der Filiazid ausdrücklich verboten. Außerdem wurde die Polygynie der Männer auf vier beschränkt und durch die Aufforderung, die vier Ehefrauen müssen gleich behandelt werden, nicht ermutigt.

Die Verstoßung wurde insofern geregelt, daß sich der Mann immerhin an ein - immer noch sehr einfaches -Verfahren halten mußte, die Scheidung für die Frau aber immerhin unter gewissen Voraussetzungen möglich wurde. Gerade das Erbrecht -nach islamischer Sicht steht weiblichen Erben weit weniger zu als mann -liehen - wird in der heutigen Praxis sehr unterschiedlich gehandhabt: Einerseits wird in ruralen Gebieten den Frauen unter Berufung auf das Gewohnheitsrecht oft noch immer nicht einmal das ihr Zustehende ausgehändigt. Andererseits wird das Erbrecht auch immer öfter zu Gunsten der Frauen umgangen: „Moderne” Väter machen durch Schenkungen wett,

Nächste Woche lesen Sie im Dossier: Aggression in der Schule was ihre Töchter an Erbe weniger bekommen würden.

Vermögensrechtlich erreichte die arabische Frau des siebten Jahrhunderts übrigens, was ihre Geschlechtsgenossinnen allesamt erst im 20. Jahrhundert erreicht haben: das Becht auf eigenes Vermögen, auch auf durch eigene Geschäfte erworbenes. Dem machte die männliche Praxis aber bald einen Strich durch die Bech-nung: Wer zu Hause eingesperrt ist, kann schwerlich Geschäfte machen.

Anders als die zivilrechtliche Situation, die die Frau letztlich doch zur Unmündigen macht, sieht die strafrechtliche aus: Die Strafen sind dieselben ~ wobei etwa in Saudi-Arabien die Mündigkeit der Frau nicht dazu ausreicht, ohne männliche Einwilligung das Schafott zu besteigen: Aus den achtziger Jahren ist ein Fall bekannt, daß ein Gericht mit der Vollstreckung des Urteils an einer Gattenmörderin auf die Großjährigkeit ihrer Kinder wartete. De gustibus...

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