Nach Ostern - Mut zu Neuem

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Es ist gut, daß die Kirche fünfzig Tage lang Ostern feiert - bis hin zur Geistsendung zu Pfingsten. So gibt es auch für die österreichische Kirche Raum, Neues zu wagen.

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Es ist gut, daß die Kirche fünfzig Tage lang Ostern feiert - bis hin zur Geistsendung zu Pfingsten. So gibt es auch für die österreichische Kirche Raum, Neues zu wagen.

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Die Osterfreude ist nicht über Nacht gekommen für die Gemeinde um Jesus herum. Die Stimmung war zunächst eher katastrophal. Alles dreht sich um das leere Grab und um die Sorge, wie man den Toten finden und einbalsamieren könnte. Die "Emmausjünger" sind zutiefst enttäuscht, weil nicht kam, was sie erwarteten. Thomas, der Apostel, bleibt trotz aller Nachrichten über den Auferstandenen skeptisch. Der ursprüngliche Schluß des Markusevangeliums lautete: "Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt." (Mk 16,8) Von Osterjubel also ist zunächst keine Spur.

Wie ist das zu erklären? Zunächst war da der große Schock. Man war mit Jesus gezogen, der predigte, wie einer "der Vollmacht hat"; hatte seine Wunder gesehen, die doch eine ganz neue Welt hätten schaffen können; man hat von einem irdischen Reich und irdischer Macht an Jesu Seite geträumt - und dann endet das alles so schmählich am Kreuz, dem Schandpfahl für Verbrecher. Hatte man auf den Falschen gesetzt? War alles nur ein Traum? Die Urkirche hatte lange gegen diesen Schock zu kämpfen, bis sie etwas vom "Sieg am Kreuz", vom "Sieg über das Böse und den Tod" erahnte. Dann war da die große Angst vor den "Anderen", den Feinden Jesu, die doch nun auch Feinde seiner Jünger sein werden. Angst vor einer Welt, die von einem ganz anderen Glaube lebte. Da war es sicherer, hinter "verschlossenen Türen" auf bessere Zeiten zu warten.

Die Osterhoffnung wuchs nur langsam Die Männer und Frauen um Jesus herum plagte auch die Ratlosigkeit. Wie soll nun alles weitergehen mit der "Sache" Jesu? Viele von ihnen hatten den erlernten Beruf und Haus und Hof aufgegeben und standen nun ohne Sicherung da.

Da gab es wohl das Gerede, der Tote sei gewissen Frauen und Männern erschienen, aber war es mehr als Gerücht, gar "Weibergeschwätz"? Und der Auferstandene blieb bei den meisten Begegnungen zunächst der "Unbekannte", sah wie ein schlichter Gärtner aus oder erinnerte gar an ein Gespenst. Nein, er war ganz anders, als früher, auf einmal so schwer zu erkennen!

Die Osterhoffnung und damit die Osterfreude wuchs nur sehr langsam. Der Auferstandene hat sich nur jenen geoffenbart, die trotz äußerer Enttäuschung die Hoffnung nicht aufgaben und ihn suchten, jenen, die bereit waren, alle irdischen Vorurteile aufzugeben und ihn in seiner ganz anderen Daseinsweise anzunehmen, die nicht mehr mit den Sinnen, sondern nur mit dem Glauben wahrnehmbar war. Am ehesten haben ihn jene erkannt, die ihn innig liebten, wie etwa eine Maria von Magdala, die mit dem Herzen mehr als mit den Augen sah.

Erst geraume Zeit nach Ostern fand die Gemeinde, die Jesus versammelt hatte, den Mut, seinem Sendungsauftrag zu folgen. Dazwischen liegt das Gebet der Urgemeinde um Furchtlosigkeit und Freimut (Apg 4,23 ff) und die Geistsendung, die eine ganz eigene Kraft und die Gabe der Sprachen verlieh. Erst dann entstand eine Gemeinde, die "mit großer Kraft Zeugnis ablegte von der Auferstehung Jesu, des Herrn" (vgl. Apg 4,33), "in Freude und Einfalt des Herzens das Brot brach" und beim ganzen Volk so beliebt war, daß der Herr ihnen täglich Neue hinzufügte, "die gerettet werden sollten". (Apg. 2,47) Was war doch alles nach Ostern neu geworden!

Ostern erinnert an die Lage der Kirche An jedem Osterfest, aber heuer ganz besonders, erinnert mich die augenblickliche Situation der Kirche an jene, wie sie am Anfang war, und doch hege ich die Hoffnung, die Zeit nach Ostern könnte ähnliches wie damals bewirken.

Da ist zunächst auch heute der große Schock. Viele irritiert, daß die Kirche so viel von ihrer früheren dominierenden Position in der Gesellschaft verloren hat, daß sie mit ihrem Wertangebot und ihrer Lebensdeutung nicht mehr allein dasteht, sondern mehrere "Konkurrenten" bekommen hat. Der Schock wird sich lösen, wenn wir dies als Herausforderungen ansehen und nicht als Bedrohung, wenn wir im Vertrauen auf die Kraft der christlichen Heilsbotschaft uns dieser Konkurrenz mit Zuversicht stellen.

Da ist aber auch der Schock, der nicht von außen kam, sondern durch Ereignisse in der Kirche selbst, gewissermaßen "hausgemacht". Die Kirche steht erschreckend oft in den Schlagzeilen. Sind daran die Medien schuld? Der Schock wird weichen, wenn man nüchtern die Ursachen analysiert, Schuld zugibt, wo solche war, wenn man aus eigenem Versagen lernt und den Mut hat, nun glaubwürdiger neu zu beginnen.

Dann ist da die Angst vor den "anderen", vor dem heftigen "Gegenwind", der uns Christen in der säkularen Gesellschaft entgegenbläst. Ich sehe dafür einen zweifachen Grund. Der erste ist wohl das Bestreben einer "aufgeklärten Gesellschaft", sich von einer Kirche zu emanzipieren, die mit allzuviel Geboten und Verboten das Leben bis in die Intimsphäre zu reglementieren versuchte, vielleicht aus Sorge, auch Erwachsene seien nicht selbständig genug, um verantwortungsvoll vor Gott entscheiden zu können. Es braucht eine neue Art der Verkündigung. Sie darf sich nicht einem billigen Zeitgeist mit allen Versuchungen zu Hedonismus und Konsumismus anpassen, muß aber an Stelle einer Gesetzesmoral vielmehr jene Grundhaltungen einmahnen, die Jesus in seiner Predigt hervorhob, und die zu einer ganz neuen Art des Zusammenlebens der Menschen und des Stehens vor Gott befähigen.

Ein zweiter Grund für den heftigen "Gegenwind" scheint mir aber die Enttäuschung derer zu sein, denen auf ihrer Suche nach Orientierung die Kirche nicht mehr als seriöser Gesprächspartner erscheint. Sie klagen, die Kirche beschäftige sich mehr mit sich selbst, als mit den Problemen der Zeit. Sie kämpfe um die Wahrung alter Positionen, statt mutig neue Stellungen zu beziehen. Sie macht sich offenbar mehr Sorgen um die Erhaltung des Systems, als um die existentiellen Nöte der Menschen. Sie schwankt zwischen Tradition und zaghaften Fortschritten. Viele Menschen, weit über den aktiven Kreis der Gläubigen hinaus, möchten eine Kirche, die sich mit ihnen auf die Suche nach Antworten auf ganz neue Probleme begibt, und die nicht vorgibt, für alle aus dem reichen Schatz der Erfahrung schon Lösungen zu haben. Eine Kirche, die neue Motive zum Einsatz für diese Welt gibt und den Blick schärft für das, was über allem Sicht- und Meßbaren ist und dem Leben eine letzte Hoffnung vermittelt, nämlich die Sehnsucht nach Gott.

Die Spuren Gottes neu entdecken Ja, um Gott geht es heute mehr Menschen, als man glaubt, aber es kommt darauf an, welches Gottesbild die Kirche vermittelt. Der Auferstandene ist so ganz anders erschienen, als ihn selbst die Getreuesten erwarteten. Sie haben ihn erst erkannt, als sie ihre Vorurteile und sehr subjektiven Erwartungen überwunden hatten. Die Kirche als das Volk Gottes hat so viele Erfahrungen über Gott aus ihrer Geschichte, durch das Zeugnis vieler Gläubigen und auch durch die Theologie gesammelt. Und doch ist Gott immer noch anders. Es gilt, Gottes Spuren immer wieder neu zu entdecken in den Biographien jedes einzelnen, aber auch in den "Zeichen der Zeit". Vielleicht sollten wir nicht vorschnell über Gott dozieren, sondern den Menschen eher helfen, zuerst ihre eigene, eigentlich unzerstörbare Sehnsucht nach Gott zu entdecken: ich denke schon an Kinder und Jugendliche und an all jene, die den Ernst des Lebens in Glück, aber auch in großer Bedrängnis erleben. Wir sollten sie lehren, in sich hineinzuhören, auf alle Sehnsüchte und unerfüllten Hoffnungen, und ihnen so einen Weg zu Gott eröffnen. Schließlich aber wird die Kirche selbst in ihrem Umgang mit den Menschen erweisen, welchen Gott sie zu verkünden hat, ob einen strengen, der straft und allzubald das Gericht ankündigt, oder jenen barmherzigen Vater, wie ihn uns Jesus selbst vorgestellt hat, der den verlorenen Sohn mit offenen Armen aufnimmt und ihn lädt zum Tisch der Freude.

Lange Zeit zwischen Ostern und Pfingsten Nach Ostern hat vieles ganz neu begonnen, aber nicht gleich in der "Osternacht". Es ist gut, daß die Kirche 50 Tage Ostern feiert, bis hin zur Geistsendung, zu Pfingsten. Man kann das nicht in Tagen messen. Ich habe aber die Hoffnung, daß sich auch die Kirche in Österreich auf ein Pfingsten hin bewegt, und dann endlich Mut hat zu wirklich Neuem. Ich meine, daß dann die Kirche jenem Bild der Urgemeinde ähnlicher werden könnte, von der es heißt, "sie waren beim ganzen Volk beliebt", und täglich schlossen sich ihr Neue an. Wohl deshalb, weil sie merkten, mit denen ist Gott, und sie zeigen eine Art zu leben, die eine erneuerte Gesellschaft erhoffen läßt.

Der Autor ist Weihbischof in Wien.

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