"Nachdenken über Gott ist kein Obskurantismus"

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Metaphysik hat im Zeitalter der Naturwissenschaft kaum Platz im philosophischen Denken - jedenfalls im deutschsprachigen Raum. In Übereinstimmung mit Bestrebungen der Anglo-Amerikaner ist der Rechtsphilosoph Strasser bemüht, hier neue Wege zu beschreiten.

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Metaphysik hat im Zeitalter der Naturwissenschaft kaum Platz im philosophischen Denken - jedenfalls im deutschsprachigen Raum. In Übereinstimmung mit Bestrebungen der Anglo-Amerikaner ist der Rechtsphilosoph Strasser bemüht, hier neue Wege zu beschreiten.

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die furche: Herr Professor Strasser, Sie haben in Ihrem letzten Buch "Der Weg nach draußen" versucht, dem metaphysischen und religiösen Denken eine Bresche zu schlagen. Warum ist das für einen Philosophen interessant und wichtig?

Univ. Prof. Peter Strasser: In erster Linie deshalb, weil es heute in der Philosophie einen Mainstream gibt, den man als Naturalismus bezeichnen könnte. Dahinter steckt im wesentlichen die Vorstellung, dass auch in der Philosophie das wissenschaftliche Weltbild, seine Methode und seine Art der Erkenntnisgewinnung maßgeblich sein sollte. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass die Metaphysik und insbesondere Fragen der Religionsphilosophie in den Hintergrund treten und als obsolet gelten.

die furche: Sehen sie diesbezüglich schon eine Trendwende oder möchten Sie selbst eine solche einleiten?

Strasser: Ich fühle mich natürlich nicht stark genug, eine Trendwende einzuleiten. Ich denke allerdings schon, dass in den letzten Jahren - und auch im angloamerikanischen Bereich - wieder ein zunehmendes Interesse an Metaphysik und auch an religiösen Fragen da ist. Insofern bin ich vermutlich Teil einer Bewegung, die sich allerdings im deutschsprachigen und besonders im österreichischen Raum erst sehr langsam durchsetzt, weil in Österreich noch immer das Paradigma der analytischen Philosophie gilt.

die furche: Was halten Sie diesem Paradigma entgegen? Was ist das zentrale Anliegen Ihres Denkens?

Strasser: Eine wichtige Frage ist, wie weit es so etwas gibt wie eine genuin philosophische Erkenntnis. Das ist ja das eigentliche Problem der Metaphysik: Gibt es gehaltvolle Sätze, über die man rational diskutieren kann, die aber nicht einfach Sätze der Wissenschaft sind oder sich auf solche reduzieren lassen oder eben Sätze der Logik oder der Mathematik, die keinen empirischen Gehalt haben?

Und wenn man sagt, es gibt solche Behauptungen - es ist natürlich sinnvoll, davon zu sprechen, dass es eine Außenwelt gibt oder so etwas wie ein Ich, das sich nicht reduzieren lässt auf einzelne Bewusstseinsinhalte, also das, was Kant das transzendentale Subjekt nannte - oder wenn man sagt, auch die Idee Gottes als ein guter Anfang der Welt, der nicht einfach ein empirischer Anfang sein kann, ist eine sinnvolle Idee, dann bewegt man sich auf jene Grenzen zu, wo viele Vertreter der deutschsprachigen Philosophie sagen: Halt, das geht uns zu weit, jetzt wird es obskurantistisch.

In dem Buch "Der Weg nach draußen" ist es mein Anliegen zu zeigen, dass man hier keinesfalls von Obskurantismus reden kann, sondern im Gegenteil: dass eine zunehmende Traditionsblindheit in der akademischen Philosophie Platz greift. Ihr kann man nur entgegenwirken, wenn man diese alte metaphysische Denktradition wieder aufnimmt, an der ja nicht obskurante Leute beteiligt waren, sondern die größten Philosophen des Abendlandes.

die furche: Warum ist es überhaupt wichtig, dass die Fäden zwischen Rationalität und Religion, Kunst und Religion nicht durchschnitten werden? Sie sprechen auch von der Gefahr, dass religiöses Bewusstsein nicht einfach aufhört, sondern kulturell entwurzelt wird.

Strasser: Es gibt ja angesichts von Religionskritik und Aufklärung im 19. Jahrhundert sehr stark irrationale, irrationalistische Strömungen, gerade im Bereich der Religion - ich nenne nur Sören Kierkegaard oder später auch Rudolf Otto. Sie meinten, das eigentlich Religiöse sei im außerrationalen Bereich zu finden. Das Problem ist: Wenn sich diese Haltung wirklich als der einzig gangbare Weg erwiese, wäre es eigentlich nicht mehr möglich, auf verständliche Weise miteinander über religiöse Dinge zu reden. Religiöse Themen würden Bestandteil eines rein privaten Sprachspiels, in dem zum Schluss die Leute, die darüber reden, gar nicht mehr wissen, wovon sie sprechen. Denn wenn die zentralen religiösen Begriffe nicht eingebettet sind in eine rationale Struktur, endet schließlich alles bei einer Art von Subjektivismus, der nicht einmal mehr in der Lage ist, sich selber zu kommunizieren.

die furche: Hat das christliche Gotteskonzept etwas einzuspeisen in die heutige Denksituation, in die Kultur, das nach wie vor wichtig ist?

Strasser: Einer der wesentlichen Züge des Christentums besteht meines Erachtens darin, dass es von vorne herein von der Vorstellung beseelt war, dass seine Gottesvorstellung so geartet ist, dass wir es mit einem Gott für alle Menschen zu tun haben. Wenn eine Religion diese Idee hat, übernimmt sie damit implizit eine Verpflichtung: sich als Religion auch anderen Menschen kommunikativ in einer solchen Weise zu präsentieren, dass - und jetzt spreche ich vom Optimalfall - so etwas möglich wird wie eine Weltökumene. Das heißt: Auch Leute aus anderen Kulturen und anderen Religionen werden in die Lage versetzt, nicht nur die Gründe des Christentums zu verstehen, sondern auch, dass hier moralische und metaphysische Gehalte transportiert werden, die für alle Menschen wichtig und verbindlich sind.

Der zweite wichtige Aspekt im Christentum ist, dass es sich schon sehr früh und dann durch das ganze Mittelalter hindurch immer wieder verbunden hat mit der griechisch-römischen Antike bis hin zum Humanismus. Dort hat man versucht, auch im Bereich der Moral einen Standpunkt zu finden, wie ihn Kant in seiner Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" darstellt: Das Christentum tendiert zu einer Menschheitsmoral. Wenn wir uns eine der wichtigen praktischen Folgerungen dieses Prozesses anschauen, treffen wir auf die Menschenrechte. Und auch wenn heute oft vom Standpunkt anderer Kulturen aus gesagt wird, dass die Menschenrechte eurozentrisch seien, so lässt sich doch nicht leugnen, dass hier eine Moral entwickelt wurde, die vom Ansatz her das beste Potential in sich birgt, zu einem Weltethos zu werden, um diese Formel von Küng zu verwenden.

die furche: Sie legen ja auch Wert darauf, dass sich Christentum, dass sich Religion nicht in Moral erschöpft. Was ist darüber hinaus universalisierbar?

Strasser: Keine Religion kann sich in Moral erschöpfen, da hat Kant vermutlich zu kurz gegriffen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns heute wieder stärker mit dem traditionellen philosophischen Denken befassen. Die Philosophie hat sich immer mit den letzten Fragen beschäftigt: mit Gott, seiner Beziehung zur Welt, der Frage der Übel in der Welt, des Todes und des Sinns des Lebens, und es ist einfach nicht richtig zu sagen, dass jede Religion das für sich entscheidet und aus. Gerade die abendländische Tradition des Philosophierens zeigt, dass man mit allgemeinen Argumenten Standpunkte finden kann, die uns möglicherweise auch ein Gottesbild vor Augen stellen können, das in sich universalistische Züge trägt.

die furche: Auf diesem Gebiet kann die Philosophie relativ wenig Antworten geben, aber ihre Aufgabe wäre es, die Fragen offen zuhalten?

Strasser: Diese Frage ist mir jetzt zu direkt, weil sie im einzelnen so schwer zu beantworten ist. Ich glaube, die Philosophie kann zeigen und hat auch über viele Jahrhunderte hindurch gezeigt, dass man die Gottesvorstellung nicht einfach beliebig konstruieren kann. Man kann zeigen, dass es für den Trend hin zum Monotheismus Gründe gibt. Man kann zeigen, dass man in bestimmten Situationen Gott in Analogie zu handelnden Personen denken sollte, in anderen Situationen das aber nicht tun kann. Man kann in der Philosophie schon argumentative Strukturen entwickeln, die uns mit theologischen Fragen in einer konstruktiven Weise konfrontieren. Ob und inwieweit das dann mit einer spezifischen und kulturell gewachsenen Religion zusammenpasst, ist wieder eine andere Frage.

Nur darf man nicht vergessen, dass die Philosophie nicht aus dem Vakuum heraus fragt, sondern immer aus einem Kontext, und der reicht natürlich bei uns von der griechischen Antike über das Christentum bis zur Aufklärung. Also philosophisches Fragen und Nachdenken kann rational sein und trotzdem kontextbewusst und aus einem Kontext heraus entwickelt.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Zur Person: Philosoph und Ex-Beirat beim "steirischen herbst" Peter Strasser ist 1950 in Graz geboren, wo er auch sein Studium absolviert und 1976 mit dem Doktorat abgeschlossen hat. Seit 1995 ist er Professor am Institut für Rechtsphilosophie der Universität Graz. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen "Die verspielte Aufklärung", Suhrkamp Verlag 1986, "Philosophie der Wirklichkeitssuche, Suhrkamp Verlag 1989, "Der Freudenstoff. Zu Handke eine Philosophie", Residenz Verlag 1990, "Geborgenheit im Schlechten. Über die Spannung zwischen Kunst und Religion", Deuticke Verlag 1993, "Große Gefühle. Über die Dinge, die sich nicht kaufen lassen", Residenz Verlag 1993 und vor allem das "Journal der letzten Dinge", Suhrkamp Verlag 1998.

Im Herbst 2000 erschien im Suhrkamp Verlag: "Der Weg nach draußen. Skeptisches, metaphysisches und religiöses Denken".

Vorübergehend war Strasser auch nebenberuflich journalistisch tätig (1970 bis 1974) und Mitglied des Beirats des Festivals "steirischer herbst" (1991 bis1995).

Peter Strasser ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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