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Nachkonziliare Kirche?

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Vielleicht vermag nichts so nachhaltig die Diagnose einer Situation zu beeinträchtigen, vor allem wenn es sich um eine komplexe geistige Lage handelt, wie die Handhabung ungeklärter Begriffe und der Einfluß, den mit der Zeit die gewohnt gewordene Verwendung solcher Begriffe auf das Denken übt. Diese reiche Quelle von Fehlurteilen erschwert die kritische Überlegung, verhindert nicht selten das Bewußtwerden der Gegenstandslosigkeit oft wiederholter Behauptungen und liefert uns — ‘im schlimmsten Fall — einer geradezu mythischen Herrschaft von Gemeinplätzen aus.

Auch die wichtige Bemühung um eine sachgerechte Sicht der Kirche und ihres wahren Zustandes in der Gegenwart wird von der Auswirkung solch unzureichender, verschwommener und vieldeutiger Begriffe, von welchen die Diskussion über dieses Thema durchsetzt ist, in Mitleidenschaft gezogen.

Eine besondere Rolle spielt in der Reflexion über das genannte Thema der Begriff der nachkonziliaren Kirche. Soll er nichts anderes ausdrücken als eine zeitliche Abgrenzung des an der Kirche ins Auge Gefaßten, nämlich die Jahre seit dem Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils, ist dieser Ausdruck ohne weiteres einsichtig, theologisch neutral, allerdings sprachlich nicht sehr glücklich. Man sollte das hier Gemeinte besser „die Kirche nach dem (bislang) letzten Konzil” nennen. Oft begegnet dieser Begriff aber in einem theologisch vertieften Sinn, insoferne man mit ihm eine eigenständige Größe zu bezeichnen versucht. Dann wird die „nachkonziliare Kirche” gedanklich gegen etwas anderes, nämlich die „vor- konziliare Kirche”, abgehoben, wobei der hier verstandene Begriffsinhalt eben im Konzil als der Wurzel seiner Eigenart gründet.

Die „große Cäsur”

Diese Vorgangsweise setzt stillschweigend voraus, daß ein Ereignis wie das zuletzt abgehaltene Konzil eine Umwandlung der Kirche von solcher Art bewirken kann, daß die Anwendung zweier, wohl unterschiedener Kirchenbegriffie für die — sozusagen auf Grund einer gewissen Äqujjff&aj&m gleichen.

Ausdrupk „Kirche.” . bezeichneten, geschichtlichen Großphänömene vor und nach diesem Konzil zulässig und sogar gefordert wird. Dies macht jedoch bereits die Problematik der erwähnten Sprechweise offenbar. Wenn nämlich dem Konzil an sich die Kraft zu solcher Umwandlung der Kirche in eine neu zu sehende und daher unterscheidend zu bezeichnende Größe eignete, dann hätten wir es seit Nicäa mit einer „nachkonziliaren” Kirche zu tun, zum Unterschied von der ihr zeitlich vorausliegenden, vorkonziliaren, das heißt (zumindest) einer Kirche, die die Selbstmanifestation in einem ökumenischen Konzil noch nicht gekannt oder zwar als Möglichkeit erfaßt, aber praktisch jedenfalls nicht gesetzt hat. Kommt aber nicht nur dem Eintreten der Konzilswirklichkeit schlechthin in das Leben der Kirche eine derartige Wirkung zu, sondern in concreto dem sichtbaren und lehrwirksamen Zusammentritt des Gesamtepiskopates dm ökumenischen Konzil, wann und wo immer ein solches gefeiert wird (was anzunehmen das hier gemeinte Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Bedeutung für Wesen und Geschick der Kirche nötigt), dann müssen wir in zeitlicher Folge so viel „Kirchen” unterscheiden, als es Allgemeine Konzilien gegeben hat, das ist also einundzwanzig, plus der einen, ersten absolut vorkonziliaren (und nicht etwa nur vomicäischen, vorchalce- donensischen, vortridentinischen usw.) Kirche der Jahrhunderte bis Nicäa.

Diese Konsequenz macht deutlich, daß die so verstandene Konzeption einer „nachkonziliaren Kirche” den Weg des sachgerechten Denkens verläßt. Zweifellos muß an der Realidentität der Kirche diesseits und jenseits konziliarer Ereignisse festgehalten werden, wenn diese je für sich und in geschichtlichem, überepochalem Zusammenhang untereinander etwas für das einhellig und in klarer Kontinuität mit „Kirche” Bezeichnete bedeuten sollen. Daraus folgt: So wichtig und einflußreich das ökumenische Konzil als solches für das Leben der Kirche auch ist, es ist weder aus sich kirchenschöpferisch noch auch jemals die Kirche in ihrem Wesen verändernd, sondern kann n seinen legitimen Intentionen und Wirkungen nur aus dem mit „Kirche” einfachhin und eindeutig Vorgegebenen sinnvoll interpretiert werden.

Dennoch hält sich gegenüber dieser Erwägung’ hinsichtlich der grundlegenden Beziehung von Kirche und Konzil zäh der Eindruck und die oftmals, wenn auch sehr verschiedenartig formulierte Meinung, gerade das Zweite Vatikanische Konzil bedeute eine tiefgehende Cäsur in der Existenz der Kirche, die es gestatte, ja notwendig mache, die aus diesem Konzil hervorgegangene Kirche als eben „nachkonziliare” in einem ganz neuen Lichte zu sehen und mit neuen Maßstäben zu messen. Nun ist der Einschnitt in den Bereichen von Kult, Lehre und Leben tatsächlich gleich fühlbar und wird von Tag zu Tag deutlicher. Wenn wir also die eben erläuterte Behauptung von der möglichen Wandlungsfunktion eines ökumenischen Konzils bezüglich der Kirche, die in dem zuletzt gekennzeichneten Verständnis von „nach- konziliarer Kirche” ihren inbegriff- lichen Ausdruck finden, gerade angesichts des offenkundigen, tiefgreifenden Umbruches in der Kirche nicht ohne weiteres von der Hand weisen können, erhebt sich die Frage, ob das Zweite Vatikanische Konzil mit seinen Äußerungen, Anregungen und Maßnahmen tatsächlich das grundgelegt hat, was uns heute in der Kirche unter Berufung auf deren nachkonziliare Existenzweise begegnet, ob das Konzil dies wollte und überhaupt konnte.

Was den Kult anlangt, ist das Wort des Konzils und die Intention seiner einzelnen diesbezüglichen Äußerungen eindeutig auf eine Verlebendigung, Verinnerlichung im Vollzug und damit auf ein universales Fruchtbarmachen der Liturgie der Kirche ausgerichtet, keinesfalls aber auf die Ersetzung dieser Liturgie durch etwas Neues, ihr allenfalls funktional wohl mehr oder weniger Entsprechendes, in den überlieferten Kulturformen jedoch sachlich nicht Gegebenes. Alle Maßnahmen einer Erschließung der Liturgie stehen im Dienst leichterer Zugänglichkeit und Faßbarkeit ihrer Mysterien für die Gläubigen jeglicher Kultur, Sprache und Bildungsstufe. Das Konzil erachtet diese Mysterien als für das Leben der Christen derart wichtig (fons et culmen!), daß sich jede, auch die größte Mühe lohnt, die hier verborgenen unermeßlichen Schätze der Gnade, der Christusbegegnung, des immer neu angebotenen Heiles zu heben, das Verständnis für sie zu wecken und die Christen mit dem Bewußtsein von deren göttlicher Realität und Wirksamkeit zu durchdringen. Diesem hohen pastoralen Ziel hat nach dem Tenor der Liturgiekonstitution alle Erneuerung des heiligen Kultes zu dienen. Wenn man vor dem Hintergrund dieser klaren Intention des Konzils die theoretischen und praktischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Liturgie betrachtet, die seither in Erscheinung getreten sind, wird es zweifelhaft, ob sich diese Ideen und liturgischen Formen zurecht auf das Konzil berufen, mit anderen Worten: ab uns darin — in einem theologisch-authentischen Verständnis — „nachkonziliare”, das heißt vom Geist des Konzils neu belebte und befruchtete Kirche begegnet. ,

Im Schatten der Pastoral

Was die Lehre der Kirche betrifft, fällt die Diagnose womöglich noch leichter. Die Dokumente des Konzils weisen zweifelsfrei aus, daß keine jemals von der Kirche feierlich verkündete und im Glauben festgehaltene Wahrheit vom Konzil verworfen, abgeschwächt oder für unverbindlich erklärt wurde. Im Gegenteil. Das Konzil bekräftigt das Credo von Trient, es wiederholt die Lehre des Ersten Vaticanums und stützt sich bewußt und ausdrücklich auf die gesamte Tradition, deren normativen Charakter für das katholische Glaubensvenständnis sie darin deutlich macht. Nirgendwo zeigt sich etwa wie die Absicht, den „alten”, nicht mehr zeitgemäßen Glauben det Kirche durch eine neue Doktrin zu ersetzen. Abgesehen von dieser Feststellung, die ja gar nichts Erstaunliches enthält, sondern vielmehr eine Selbstverständlichkeit konstatiert, ist es jedem einigermaßen Versierten klar, daß auch ein ökumenisches Konzil keine derartigen grundstürzenden Eingriffe in die der Kirche zu treuen Händen anvertraute Offenbarungswahrheit vornehmen kann, ohne sich selbst von einem Konzil der Kirche zu einem Apostatenkongreß zu degradieren. Das Zweite Vatikanische Konzil hat nicht nur die Lehre der katholischen Kirche absolut intakt geflassen, in voller Geltung und Verbindlichkeit, es hat sich auch bewußt von Dogmatisierungen ferngehalten, da es ihm erklärtermaßen nicht um Lehrformulierung, sondern um einen großen pastoralen Impuls zu tun war. Betrachtet man, abermals vor dem Hintergrund der Glaubensüberzeugung des Konzils, die das Lehrgut nicht nur unangetastet ließ, sondern es in vielen wichtigen Punkten ausdrücklich bekannte, beleuchtete, vertiefte und entfaltete, die weitgehende Unsicherheit, Desorientierung und negierende Radikalität in Theologie und Verkündigung der Gegenwart, muß man sich fragen, mit welchem Recht sich der hier wirksame Geist als Vollstrecker des Konzilswillens und als Erneuerer des Denkens der Kirche versteht.

Die Grundsatzfrage

Mit dem Leben der Kirche verhält es sich nicht anders. Man kann entsprechend den Aussagen des Konzils nach wie vor nur in dem wahres Leben der Kirche erblicken, was sich im Sinne des Glaubens auf Grund der innigsten Gemeinschaft mit Christus als Wirkung der Gnadenkraft des Heiligen Geistes in den Gliedern des Gottesvolkes erweist Das hedlkündende Wort und das heiligende Sakrament sind — unersetzlich durch anderes — die göttlichen Instrumente zur Weckung und Reifung jener übernatürlichen Lebenswirklichkeit, die sich in Glaube und Liebe, in Tugend und Frömmigkeit, in Gebet und Opfer, im Streben nach dem vollkommenen Einswerden mit Christus gültig manifestiert wie zu allen Zeiten. Alles, was diese Prinzipien christlicher Existenz in einer Weise neu zu deuten versucht, daß ihre Wirkungen in Gegensatz treten zu dem, was die Kirche in ungebrochenem Selbstverständnis als Vollzug und Ausdruck ihres Daseins begreift, kann nicht als Lebensäußerung eben dieser Kirche verstanden werden. Der Gedanke, daß das Impulsivste, offenkundig Vitalste und augenscheinlich Erfolg- und Zukunftsreichste auch das Lebendigste, das Leben am greifbarsten und echtesten Bekundende sei. wird -in dem Moment irreführend, als man ihn an Phänomenen zu illustrieren versucht, die von einer fundamentalen Besinnung auf das Wesen her nicht als authentische Lebenserscheinungen jenes Organismus angesehen werden können, dessen elementare Lebenskraft sie beweisen sollen.

Diese Erwägung wirft grundsätzliche Fragen auf, die -nicht durch den kritisch ungeprüften Gebrauch des Begriffes der „nachkonziliaren Kirche” verschüttet werden dürfen, ja zu -einem möglichen Neuverständnis dieses Begriffes hinführen können: Begegnen uns in jenen Formen der Gemeindefeier, die sich radikal von Gestalt und Gesinnung der überlieferten Liturgie absetzen, gültige Zeugnisse des Kultes der Kirche? Kann jene Theologie, die in der Beschreitung ganz neuer Wege der Schriftdeutung und der Dogmen interpretation zumindest keinen Wert legt auf eine in allem klare und unbezweifelbare Kontinuität mit der Lehrtrad-ition der Kirche, ja zuweilen den offenen Widerspruch zu dieser nicht scheut, als Ausdruck der kirchlichen Lehre und der dieser entsprechenden Glaubensüberzeugung gelten? Stellen jene der Kirche bislang fremd gebliebenen Lebensformen — etwa die der Weltfrömmigkeit einer immanentistisch gesinnten Laiengemeinde — überhaupt eine Instanz dar zur Beurteilung dessen, was Leben der Kirche in Wahrheit ist? Handelt es sich bei all dem Genannten nicht vielleicht um Erscheinungen, die -tatsächlich einer „nachkonziliaren Kirche” im exakten Sinn dieses Begriffes zuzuordnen sind, das heißt einer Schöpfung der Gegenwart, die keineswegs realidentisch ist mit der Kirche schlechthin, nicht aber jener eindeutigen-, überzeitlichen, von Christus gestifteten Heilsgemeinschaft zugehören, die wir meinen, wenn wir von „der Kirche” sprechen? Gibt es nicht vielleicht tatsächlich bereits neben der Kirche, der Kirche des Konzils, eine „nach- konziliare Kirche” im Sinn jenes Novum, das nicht wenige zu erstreben scheinen?

Es wäre denkbar, daß wir -auf diesem Wege zu einer überraschenden und bestürzenden Bejahung unserer • Frage gelangen. Niehl- als - cär-die Kirche irtt’B’ėgriff Wä’t ’Sich selbst aufzugeben; jedoch insoferne etwas mit dem Anspruch, Kirche zu sein, sich herausbildet, was eben nicht Kirche ist. Es ist sicher müßig, von einem Dritten oder Vierten Vatikanischen Konzil zu erwarten, es werde an die Stelle der Kirche etwas Anderes, Neues, uns „Gemäßeres” zu setzen versuchen, nur weil wir in unserer tiefen Mitgeprägtheit von der modernen Welt und ihrer Mentalität der Kirche müde geworden sind. Dennoch ist es eine Schicksalsfrage für jeden Christen, wann und wie es der Kirche bei den herrschenden Gegebenheiten -gelingen wird, ‘die Schleier der Verwirrung zu durchbrechen, um -aufs Neue sichtbar zu werden als die Säule und Grundfeste der Wahrheit, die Kirche des lebendigen Gottes (1 Tim. 3, 15).

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