Nachtfalter des Geistes

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Am 17. Februar 1600 wurde auf dem Campo dei Fiori in Rom der Dominikanermönch, Philosoph und Naturforscher Giordano Bruno als Ketzer verbrannt.

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Am 17. Februar 1600 wurde auf dem Campo dei Fiori in Rom der Dominikanermönch, Philosoph und Naturforscher Giordano Bruno als Ketzer verbrannt.

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Als der italienische Historiker und Schriftsteller Anacleto Verrecchia nach einem Untertitel für seine Bruno-Biographie suchte, dachte er vom Ende her: Ein Mann, der im Zeitalter von Renaissance und Reformation dem Licht neuer Erkenntnisse folgt, verbrennt schließlich in den tödlichen Flammen - wie die Schmetterlinge, die aus der Dunkelheit kommen. Nachtfalter können Licht und Brand nicht unterscheiden. Das besiegelte auch das Schicksal Giordano Brunos und machte ihn zum berühmtesten Opfer der römischen Inquisition.

Am 17. Februar 1600 wurde auf dem römischen Blumenplatz (Campo dei fiori) der Scheiterhaufen für den Philosophen und Naturforscher aufgerichtet. Nach einem unmenschlichen und heuchlerischen Verfahren war er wenige Tage zuvor zum Tod verurteilt worden. Noch 1942 verteidigte der vatikanische Prälat Angelo Mercati Prozeß und Urteil gegen Bruno, weil "reichliches Material für die legitime Anklage und Verurteilung vor dem Tribunal des Glaubens vorlag"; nur beiläufig, sozusagen achselzuckend, fügt Mercati hinzu, daß Folter und Verbrennung eben damals üblich waren.

Giordano Bruno, der 1548 in Nola bei Neapel zur Welt kam, studierte in Neapel, trat dem Dominikanerorden bei, wurde mit 25 Jahren zum Priester geweiht und promovierte zwei Jahre später zum Doktor der Theologie. Kurz darauf, 1576 mußte er vor einem drohenden Verfahren wegen Ketzerei fliehen. Er lebte und lehrte in Genf, Toulouse, Paris, Oxford, London, Wittenberg, Prag, Helmstedt, Zürich, Frankfurt und Padua, bis er 1592 der Inquisition in Venedig in die Falle ging. Diese 16 Jahre der Verfolgung mit kurzen Rastplätzen genügten ihm, um an die 50 Werke zu verfassen, von denen 30 erhalten sind. Im Mittelpunkt seines Interesses stand die Kosmologie, und er war der letzte Wissenschaftler vor dem Siegeszug der modernen Naturwissenschaften, der den ganzen Kosmos als lebendiges Wesen verstand, als Kleid Gottes, der in aller Kreatur zu finden ist. Naturwissenschaft, Geometrie und Mathematik, Magie und eine pantheistische Philosophie verschränken sich in Brunos Werken zu großen poetischen Entwürfen eines neuen Weltbilds.

Mit allen verscherzt Dieses Weltbild vertrat Giordano Bruno mit der Naivität und Unbekümmertheit eines Nachtfalters, der das Licht sieht, aber die Gefahr ignoriert. "Mir gefällt es nicht, die Wahrheit, die ich sehe, zu verhehlen, und ich habe keine Angst, sie offen zu bekennen", schrieb er. Diplomatie war für Bruno ein Fremdwort. Er war nicht nur offenherzig und provozierte, wo immer er hinkam, die etablierte Schultheologie und -philosophie; er machte sich auch einen Spaß aus Satiren über die Dummheit der Professorenschaft, die ihm das Leben an den Universitäten versauerte.

Als er in Genf glaubte, der katholischen Inquisition entkommen zu sein, erzeugte er ein Flugblatt, das die Irrtümer in den Vorlesungen des dortigen Stars unter den Philosophieprofessoren auflistete. Das brachte ihm Verhaftung und Landesverweisung ein, und da konnte er noch von Glück sagen. Denn im Reich Calvins und seiner Nachfolger war keineswegs die Freiheit des Christenmenschen zu Hause. In den Ausrottungsmethoden angeblicher Ketzer waren Katholiken und Protestanten damals kongenial.

Brunos Provokationen betrafen vor allem das aristotelische Weltbild, das 300 Jahre davor einer seiner Ordensbrüder, Thomas von Aquin, zum zentralen Denkmodell der Theologie gemacht hatte. Die Vorstellung vom durch und durch beseelten Kosmos, der für ihn mit Gott identisch war, veranlaßte ihn außerdem zu massiven Provokationen gegen Grundaussagen des Christentums. Brunos Verräter, der venezianische Aristokrat Giovanni Mocenigo, erklärte dem Inquisitionsgericht, Bruno würde die Wandlung in der Messe für einen Blödsinn halten, Christus als Betrüger und Zauberer hinstellen; der katholische Glaube sei voller Lästerungen gegen die Majestät Gottes, und den Dominikanern sollte verboten werden zu lehren, denn sie alle seien Esel. Denunzianten übertreiben zwar meistens, aber die Biographen Brunos sind sich einig, daß Bruno ohne Zweifel so gedacht und geredet hat.

Ins Netz der Inquisition Etwas von dieser verletzenden Radikalität kann man verstehen, wenn man sich den Lebensweg Giordano Brunos genauer ansieht. Warum mußte er aus Neapel fliehen? Etwa weil er ein frömmelndes Marienbuch, das zu seiner Zeit im Umlauf war, als das benannte, was es war: nämlich Kitsch, der die Leser verdummte; oder weil man in seiner Zelle unter dem Bett Werke des Erasmus von Rotterdam fand, über den die Kirche das Leseverbot verhängt hatte. Als Bruno gerade elf Jahre alt war, hatte Papst Paul IV. die erste förmliche Bücherzensur erlassen, und 1571, als Bruno zum Diakon geweiht wurde, errichtete Pius V. die Kongregation, die den Index der für Katholiken verbotenen Bücher erstellte. Die römische Kirche reagierte also gerade in den Jahren Brunos mit massiver Intoleranz auf die Defensive, in die sie Reformation und Humanismus gedrängt hatten.

Dennoch würden Äußerungen wie die oben zitierten Giordano Bruno wegen Verunglimpfung einer anerkannten Religion und Verletzung religiöser Gefühle vielleicht sogar heute vor Gericht bringen. Eine Verurteilung wäre allerdings schwierig, weil der Philosoph nachweisen könnte, daß die Aussagen zum Kern seines philosophischen Systems gehören und die Freiheit des Denkens nicht beschnitten werden dürfte. So zu argumentieren hatte der historische Bruno keine Chance - einmal, weil Denkfreiheit damals kein Argument war, zum anderen, weil der Inquisitionsprozeß gegen ihn jenseits aller Argumente verlief. Nach Anzeige und Verhaftung in Venedig waren wenigstens noch Erklärungsversuche zugelassen; die Protokolle des venezianischen Tribunals gehören zu den interessantesten Texten über Bruno. Nach der Auslieferung nach Rom standen Demütigung und Folter im Vordergrund. Nicht anders ist es erklärlich, daß man Bruno sieben Jahre in den Kerkern der Inquisition festhielt und schließlich durch die Folter zum Widerruf seiner Werke zwingen wollte.

Bruno widerstand und mußte noch die letzte Farce über sich ergehen lassen: Das Inquisitionsgericht verurteilte ihn, machte sich aber die Hände nicht schmutzig. Der Delinquent wurde dem "weltlichen Arm" mit der zynischen Formel übergeben, er solle an Leib und Leben geschont werden. Der "weltliche Arm" war aber der römische Gouverneur, und sein Chef, derselbe Papst, der über die Urteile der Inquisition zu befinden hatte.

Vorläufer Teilhards?

Die Kosmologie des Giordano Bruno gibt heute, nachdem die klassische Physik an ihre Grenzen gestoßen ist, wieder zu denken. Sie überläßt die Natur nicht den sezierenden und analysierenden Methoden der Naturwissenschaft allein, sondern stellt sie in einen theologischen Zusammenhang, wie es Jahrhunderte später Teilhard de Chardin versucht hat. Allerdings ist für Bruno nicht Christus der Zielpunkt des Universums. Im Gegenteil: Nicht umsonst stellt Biograph Verrecchia Bruno in eine Reihe mit dem römischen Kaiser Julian, den die christliche Geschichtsschreibung Apostata, den Abtrünnigen, nennt. Anacleto Verrecchia, dessen Buch den Irrweg Brunos durch ganz Europa akribisch verfolgt, stellt klar, worum es bei der Frage nach einer Rehabilitation Brunos gehen müßte. Nicht Bruno ist zu rehabilitieren, sondern seine Henker hätten es nötig.

Aus Bruno ist bei aller Wohlmeinung kein Christ zu machen. Somit ist er auch kein Märtyrer des Glaubens oder ein Märtyrer der später so erfolgreichen Naturwissenschaft. Darin besteht jedoch die besondere Herausforderung. Es ist leicht, sich für Fehlurteile über Galileo Galilei zu entschuldigen, wenn dessen heliozentrisches Weltbild nicht mehr zu widerlegen ist. Es ist sogar möglich - und der ökumenische Dialog der letzten Jahrzehnte hat es gezeigt - theologische Fehlurteile zu revidieren. Im Falle des Giordano Bruno trifft das alles nicht zu. Hier geht es nicht um sachliche Irrtümer oder die Mühe theologischen Umdenkens, sondern schlicht und einfach um das Menschenrecht der Denkfreiheit. Den Prozeß gegen ihn nach 400 Jahren zu verwerfen, würde bezeugen, daß auch aus kirchlicher Sicht der ganz anders Denkende, der Widersprechende, ein Recht hat zu denken, zu schreiben. zu reden und zu leben. Dieses Zeugnis wäre in einer Welt des wachsenden Pluralismus dringend nötig.

Der Autor ist Religionsjournalist und Moderator der ORF-Sendung "Kreuz & Quer".

BUCHTIPS Giordano Bruno. Nachtfalter des Geistes. Von Anacleto Verrecchia. Aus dem Italienischen vom Autor und Peter Pawlowsky. Böhlau Verlag, Wien 1999. 424 Seiten, geb., öS 476,-/e 34,59 Versuch einer Kosmologie - auch anhand von Giordano Bruno: Weitere Biographien und Werke zum Todestag Giordano Brunos: Räume, Dimensionen, Weltmodelle. Impulse für eine andere Naturwissenschaft. Von Jochen Kirchhoff. Diederichs Verlag, München 1999. 336 Seiten, kt., öS 321,-/e 23,33 Giordano Bruno. Von Paul Richard Blum. Beck Verlag, München 1999. 176 Seiten, TB, öS 175,-/e 12,72 Giordano Bruno und Die Philosophie des Esels. Von Nuccio Ordine. Aus dem Italienischen von Christine Ott. Wilhelm Fink Verlag, München 1999. 268 Seiten, kt., öS 350,-/e 25,44 Giordano Bruno. Von Gerhard Wehr, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. 160 Seiten, TB, öS 120,-/e 8,72 Giordano Bruno. Ausgewählt von Elisabeth von Samsonow, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. 496 Seiten, TB, öS 218,-/e 15,84 Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen. Von Eugen Drewermann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999. 176 Seiten, TB, öS 145,-/e 10,54

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