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Nackt und voller Leben

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Der Zölibat - eine Lebenslüge? Nicht wenige Biographien von Priestern oder Ordensschwestern stellen die von der Kirche hochgehaltene Ehelosigkeit in Frage.

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Der Zölibat - eine Lebenslüge? Nicht wenige Biographien von Priestern oder Ordensschwestern stellen die von der Kirche hochgehaltene Ehelosigkeit in Frage.

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Die These, daß es kein richtiges lieben im falschen gebe, entstammt Adornos „Minima Moralia”. Sie hält eine erzwungene Art der Kompromißbereitschaft für eine Form der Lebenslüge, und dies betrifft in vielerlei Hinsicht auch den Pflichtzölibat.

Es hat den Anschein, als wollten nicht eben wenige Kleriker Adornos Maxime Lügen strafen: Sie predigen die Liebe, leben aber unter Ausschluß einer Liebesbeziehung und leiden somit an einem Informationsdefizit, das die Liebe - dem Kern ihres Wesens nach - als opferbereite Gefühlsbindung betrifft. Die Ahnungslosigkeit des Klerus bezüglich Gefühlen, Abhängigkeit, I .eidenschaft und Verwirrung, die ausgerichtet sind auf ein konkretes Du, sorgt dafür, daß es keine wirkliche Auseinandersetzung mit Sexualität in der Amtskirche gibt, daß das Sexuelle vielmehr unausgesprochen an die Spitze einer vercfueren Wertehierarchie gestellt wird. Erwin Ringel sprach in diesem Zusammenhang vom Pansexualismus der Kirche.

Obwohl sich immer mehr Priester zu ihren Liebesbeziehungen bekennen, weigert sich der Vatikan, die Sehnsucht dieser Menschen nach Nähe zur Kenntnis zu nehmen. Gesuche um Laisierung werden oft ignoriert, was den Betroffenen nicht nur den Weg zum Traualtar versperrt, sondern auch andere sinnstiftende Iebenszusammenhänge erschwert.

Während meiner Becherchen zum Thema „Intimität und zölibatäres Leben” fielen mir erschütternde Lebensdokumente in die Hand, die Bände sprechen von der psychosozialen Verelendung von Menschen, die ihre Liebe zu Gott in einem konkreten Du erkennen wollen.

Ich möchte hier die Frage aufwerfen, ob nicht bereits der Appell an die Berufung zum Amtspriestertum eine Uberforderung an junge Männer darstellt, ebenso wie die Keuschheitsverpflichtung für die Ordensschwester. Oft ist die Entscheidung für einen geistlichen Beruf auch sozial determiniert: Die Kirche ist Zufluchtsort, Um familiärer Beengtheit, der Notwendigkeit zur Selbstbehauptung und existentiellen Nöten auszuweichen.

Der „garantierte Gott” kann zumindest vorübergehend ein Leben in Sicherheit, in einem geschützten Milieu gewährleisten. Die Mißachtung

„Logos - Theologie und Leben” 28. Dez. 1996,19.05 (Öl)

„Tief in mir ein seidener Schrei”. Eine Annäherung an das Phänomen Zölibat und Sexualität.

Gestaltung: Elisabeth Grotz der Verknüpfung von Sozialisation und Psyche seitens des Vatikans ist hinlänglich bekannt. Noch immer hält die kirchliche 'Theologie daran fest, die Seele des Menschen für eine unmittelbare Schöpfung Gottes zu erklären. Darwinistische Denkansätze haben nach wie vor einen ketzerischen Beiklang.

Kein Wunder also, wenn sich Menschen schon in jungen Jahren in paradiesische Jenseitsvorstellungen flüchten, wenn sie bereits im Elternhaus jene Ungeborgenheit im Dasein erlebten, die zum Beispiel die ehemalige Ordensschwester H. L. in den Idealismus erträumter Heiligkeit trieb. „Ich wollte mich überspringen”, so formuliert es H. L. heute rückblickend, um ganz für Gott zur Verfügung zu stehen. Okkupiert vom leiblichen Vater und dessen pathologischem Narzißmus, sah die gelernte

Erzieherin den Weg der bedingungs losen Selbstverdrängung als einzige Möglichkeit, frühkindliche Traumata von sich abzuschütteln.

Als mit 43 Jahren zum ersten Mal das in ihr aufbrach, was sie heute rückblickend als „die Wunde Sexualität” bezeichnet, hatte II. L. keine Sprache für das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, das ihr Beichtvater in ihr geweckt hatte. Er war es, der ihr erklären mußte, daß sie sich in ihn verliebt hatte, denn ihre eigenen Vorstellungen von der Liebe waren von einem ÜberVater namens Gott besetzt, dessen An -Sprüchen zu genügen sie sich stets als unwürdig empfunden hatte. Die Gefühle für ihren Beichtvater konfrontierten sie zum ersten Mal in ihrem Leben mit ihrer Weiblichkeit. Es sei, so sagt sie, ein wunderbares Gefühl gewesen. Tausend Schichten, Krusten und Mauern seien von ihr abgefallen: „Ich stand auf einmal da, nackt, ohne Schutz und voller Leben.”

Ihr Drang nach Leben führte die damals im schwedischen Exil in der Ordensgemeinschaft der „Schwestern der heiligen Elisabeth” lebende Nonne unweigerlich zu einem physischen und psychischen Zusammenbruch. Ihr Beichtvater hatte - seinen eigenen Worten nach - „die Knospe wohl zum Blühen” bringen wollen, dem natürlichen Drang nach Intimität und Sexualität der ihm Anvertrauten, vermochte er jedoch nicht nachzukommen. Nach verschiedenen Therapien fühlte sie sich reif genug, um jenen Weg einzuschlagen, den sie salopp mit folgenden Worten umschreibt: „Ich wollte meine Gefühle endlich an den Mann bringen.” Ihr erster wie ihr zweiter Lebensgefährte bekennen sich zum Atheismus. Von beiden fühlte sie sich angenommen und verstanden. Was sie weiter mit sich herumschleppt sind die „Bleigewichte” einer schwierigen Kindheit und das Gefühl, auf der Suche nach einer verlorenen Zeit im Glauben und in der Liebe immer wieder fündig werden zu können.

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