"Wo immer der Jude lebt, dieser Staat Israel geht ihn an, ja wirkt auf ihn ein, ob er es will oder nicht, und bedeutet für ihn ein geschichtliches Schicksal", schrieb Rabbiner Leo Baeck, der bedeutendste Repräsentant des deutschen Judentum im 20. Jahrhundert, nach seinem Israel-Besuch im Jahr 1951. Die Hoffnung auf Erlösung ist in der jüdischen Tradition unmittelbar mit Zion verbunden, also mit der Stadt Jerusalem. "Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, so möge meine Rechte verdorren", heißt es in den Psalmen, und wir Juden richten uns beim Gebet immer nach Jerusalem aus, wo sich bis zum Jahre 70 der Tempel mit dem Allerheiligsten befand.
Auch wenn der Großteil der Juden in der Diaspora lebt: die Verbindung zu Jerusalem riss nie ab. Zum Pessachfest sagen wir: "Heute sind wir noch hier, aber nächstes Jahr vielleicht in Jerusalem." Der Wunsch "Nächstes Jahr in Jerusalem!" bringt eine Sehnsucht zum Ausdruck, die sich über zwei Jahrtausende erhalten hat. Diese Sehnsucht geht mit einer endzeitlichen Erwartung einher: Nach Jesaja 2,2 sollen alle Völker am Ende der Tage nach Jerusalem ziehen, um dort das endgültige Friedensreich zu empfangen. Liberale Juden mögen ein anderes Verhältnis zum Lande Israel haben als orthodoxe, doch auch für uns gilt: "Das Judentum ist die Seele, deren Körper Israel ist."
Anfang Juni haben wir diese Verbundenheit am "Jom Jeruschalajim", dem Jerusalemtag, besonders gefeiert, wenn wir an die Überwindung der Teilung der Stadt 1967 denken. In Anbetracht der oft genug düsteren tagespolitischen Ereignisse bleibt die Sehnsucht nach dem ewigen Jerusalem, so wie sie Hilde Domin in ihrem Gedicht ausdrückt: "Wo die neue Stadt beginnt, Jerusalem, die Goldene, aus Nichts." Mit dem Psalm Davids sagen wir: "Wünschet Jerusalem Glück! Es möge wohlergehen denen, die dich lieben!"
Der Autor ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, Potsdam.
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