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Verfassungswidrig, aber erfolgreich sichert sich Russlands Orthodoxie die Vorherrschaft über die anderen Konfessionen. Putin & Co ist das nur recht.

Mit keiner Unbedeutenden haben sie sich angelegt. Und schließlich einen kleinen Sieg davongetragen. Das Moskauer Konzert der Pop-Diva Madonna, das ursprünglich für den 11. September vorgesehen war, musste auf den 12. September verlegt werden. In Demonstrationen haben radikale Orthodoxe Madonnas Konterfei mit einem Holzspieß durchbohrt. Die neue Salome sollte unschädlich gemacht werden, sollte sie am Gedenktag an die Enthauptung Johannes des Täufers (11. 9.) auftreten. Auch wer am 12. September zum Konzert gehe, bringe Gottes Strafe über das Land, warnten die Rechtgläubigen.

Ob man das Radikale als bezeichnend nimmt oder nicht, eines ist auszumachen: Russland sucht das postsowjetische geistig-ideologische Vakuum zu überwinden. Dabei tritt die orthodoxe Kirche immer öfter als Sinnstifter in Erscheinung. Ein bedeutender Etappensieg gelang ihr Beginn dieses Schuljahres, als in vier Regionen der verpflichtende Unterricht der "Grundlagen der orthodoxen Kultur" eingeführt wurde. Bis dahin hatte man es geschafft, trotz Verbot des Bildungsministeriums das Fach in elf Regionen auf fakultativer Basis zu unterrichten.

Ende der 90er war die Kirche mit der Idee, die fehlende religiöse Bildung in den Schulen nachzuholen, auf eine verständnisvolle Staatsmacht gestoßen. Deren Suche nach einer "nationalen Idee" kam die Kirche mit ihrer traditionellen national-patriotischen staatsbildenden Identität entgegen. Dazu passten Umfragen, denen zufolge 90 Prozent der Bevölkerung des Landes sich als "orthodox" verstanden - wobei weitaus weniger an Gott glauben, geschweige denn aktive Gläubige wären.

Dennoch zögerte der Staat mit der Unterrichtsgenehmigung, da die Verfassung einen säkularen Staat festschreibt und das Land ein multinationales sowie multikonfessionelles, ja und die Bevölkerung zu einem bedeutenden Grad überhaupt atheistisch ist. Als staatliche Gegenmaßnahme wurde vorgeschlagen, einen fakultativen Unterricht über "Die Geschichte der Weltreligionen", wofür derzeit die Approbierung eines Lehrbuches läuft, aufzuziehen. Die Kirche versuchte nun, den religiösen Anstrich des Faches durch einen säkular kulturologischen zu übertünchen - orthodoxer Religionsunterricht sei gleichwertig mit dem Erlernen der russischen Sprache. Außerdem wählte man die Etablierung über regional akzeptierte Testläufe, nachdem man bislang auf gesamtstaatlicher Ebene nicht durchkam.

Es erhebt sich nun sehr wohl Protest gegen die endgültig sichtbare Vormachtstellung der Orthodoxie. Nicht nur in Moskau kam es zu Protestaktionen von Eltern und Lehrern. Appelle an Staatsanwaltschaft und Ombudsmänner folgten. Selbst Bildungsminister Andrej Fursenko rief die vom Kreml als Surrogat einer niedergehaltenen Zivilgesellschaft eingerichtete "Gesellschaftskammer" an.

Als Ohrfeige erachten die übrigen Konfessionen den Schritt Richtung Dostojewskijs Merksatz, dass "ein Russe ein Orthodoxer sei" - zumal in politischen Sonntagsreden gerne die Multikonfessionalität des Landes bemüht wird. Der Rat der Muftis Russlands, der die 20 Millionen Muslime vertritt, kündigte an, ein Lehrbuch zu den "Grundlagen der islamischen Kultur" für den Unterricht in allgemeinbildenden Schulen auszuarbeiten. In den Regionen habe man bereits mit der Lehrerausbildung für dieses fortan fakultative Fach begonnen.

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