7127157-1997_09_17.jpg
Digital In Arbeit

Negerküsse und Zigeunerschnitzel

Werbung
Werbung
Werbung

Den Umstehenden ging es durch Mark und Bein: Hier, mitten im alternativen Viertel, stopfte ein Mann seelenruhig einen Stoß Zeitungen in den Altglascontainer. Doch noch nicht genug: Einen Sack voller Plastikflaschen beförderte er ebenso gelassen in den Altpapiercontainer. Doch niemand der entsetzten Umstehenden wagte es, ihn auf sein Vergehen aufmerksam zu machen, denn bei dem Mann handelte es sich um einen Türken. Müllgewissen versus Fremdenfreundlichkeit - da prallen zwei zentrale Gebote gegeneinander: Gebote aus dem Fundus jenes moralisch-ethischen Wertesystems, das mit der Bezeichnung „political correctness” (PC) verbunden ist.

Während sich in rechten Kreisen moralische Konflikte etwa um die Begriffe „Ehre”, „Vaterland” und „Kameradschaft” drehen, gerät man in linken Milieus in ganz andere Zwickmühlen; die deutsche Germanistin Beatrix Novy hat in ihrem Buch „Du darfst - aber was?” zahlreiche moralische Fragen zusammengetragen, die sich in Zusammenhang mit „politisch korrekten” Ge- und Verboten ergeben: Darf man Ausländer kritisieren? (Man könnte sich ja in die Nähe des Bechtsextremismus begeben) Darf man „Negerkuß” sagen? („Neger” gilt als rassistisches Unwort) Darf man bei McDonald's essen? (Die Fast-Food-Kette, glauben viele, sei an der Zerstörung des tropischen Begenwal-des beteiligt)

Mit der gesellschaftlichen Etablierung der 68er in Westeuropa und den USA haben naturgemäß auch die Werte dieser Generation Eingang in das öffentliche Bewußtsein gefunden. Einige der damals revolutionären Ideen der als „Langhaarige” und „Bevoluzzer” Geschmähten haben sich mittlerweile in weiten Teilen der Gesellschaft durchgesetzt: Die Gleichberechtigung der Frauen, die Bechte von Minderheiten und die eindeutige Abgrenzung vom Faschismus. Im Laufe der Zeit kamen Umweltschutz und Tierschutz als Gebotenes, Fremdenfeindlichkeit und sexuelle Diskriminierung von Frauen als Verbotenes hinzu.

Soviel zum weltanschaulichen Hintergrund von „political correctness”. Dieser Begriff tauchte um das Jahr 1990 in den USA auf. Unter der Regierung des republikanischen Präsidenten Bonald Reagan (1980 bis 1988) waren Diskriminierung, Anti-modernismus, und religiöser Fundamentalismus wieder salonfähig geworden. PC war nichts anderes als die Gegenbewegung zu dieser konservativen Wende. Doch anders als 1968 legen die „politisch Korrekten” Züge an den Tag, die sie am politischen Gegner immer vehement kritisiert hatten: Sie gebärden sich ebenso intolerant und repressiv wie rechte Republikaner. Ideologische Verkrampfung und Humorlosigkeit zeichnen Fanatiker jeder Couleur aus. Bezeichnenderweise treffen sich in Amerika „politisch korrekte”, fanatische Frauenrechtlerinnen mit christlichen Fundamentalisten in der gemeinsamen Verteufelung von Sexualität.

Lächerliche Sprachregelungen sollten subtile Diskriminierungen verhindern. Da wird der Kleinwüchsige zum „vertikal herausgeforderten”, der Betrunkene zum „chemisch Unpäßlichen”, die wehrlosen Toten zu „nicht lebenden Personen” - Euphemismen, die letztendlich dazu führen, daß nichts mehr beim Namen genannt werden kann, auch.nicht das zu kritisierende. „Ist dann ein Arschloch ein moralisch Alternativer? Ein Verbrecher etwa ein Vertreter inoffizieller Werte?”, empört sich der Leserbriefschreiber Konstantin D..

Berühmt-berüchtigt sind die Regeln des Antioch-College in Ohio geworden, die den Ablauf der zwischengeschlechtlichen Annäherung genau festlegen: Jeder Schritt muß laut und deutlich verbalisiert werden („Darf ich meine Hand auf deine Schulter legen?”) Ebenso laut und deutlich hat die Zustimmung zu erfolgen. Ein „Yes” unter Alkoholeinfluß gilt nicht; kommt es dann zu Intimitäten, ist der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt. Tatsächliche und vermeintliche Täter werden in Schauprozessen des Campus verwiesen und üben reuig Selbstkritik.

Sogar die Zeichensprache der amerikanischen Gehörlosen wurde von angeblich diskriminierenden Elementen gesäubert: „Japaner” wird nicht mehr durch die Andeutung geschlitzter Augen zum Ausdruck gebracht, „Schwarzer” (pardon: „Afroamerikaner”) nicht durch einen Finger, der die Nase plattdrückt.

Ob damit dem berechtigten Kampf gegen sexuelle Belästigung und der Diskriminierung von Minderheiten Gutes getan wird? PC jedenfalls treibt weiterhin die seltsamsten Blüten, auch in jüngster Zeit: ■ Im September und Oktober des Vorjahres wurden ein 7jähriger Schüler aus New York und ein 6jähriger Taferlklassler aus Lexington (US-Bundesstaat North Carolina) wegen „sexueller Belästigung” für einige Tage der Schule verwiesen. Sie hatten jeweils eine Klassenkameradin auf die Wange geküßt.

■ Im Bundesstaat Washington durfte ein zwölfjähriger Schüler nicht mehr am Unterricht teilnehmen, weil er einer Klassenkameradin die Zunge gezeigt hatte. Dies sei eine obszöne Geste, eine „Anspielung auf oralen Sex”, begründete die Schulleitung ihre Entscheidung im Dezember des Vorjahres.

■ Selbst die Piraten im Disneyland von Los Angeles müssen „politisch korrekt” werden. 30 Jahre lang gehörte es zur Show des Erlebnisparks, daß Seeräuber, wie es eben so ihre Art ist, den weiblichen Besucherinnen nachstellten. Mit diesem „diskriminierenden” Verhalten ist es seit Jänner dieses Jahres zu Ende.

Der deutsche Kultursoziologe Die-drich Diederichsen warnt vor der Lächerlichmachung von PC. „Als lebten die hierüber Amüsierten ansonsten in anarchistischen Utopien”, mokiert er sich seinerseits in seinem jüngsten Buch „Politische Korrekturen”. Immerhin seien die USA ein Land, wo etwa Republikaner-Rechtsaußen Pat Buchannan immer wieder den Begriff „Degenerate Art” - die übliche Übersetzung des Nazi-Ausdrucks „entartete Kunst” - verwende, und wo fundamentalistische Abtreibungsgegner auch vor dem Mord an Ärzten nicht zurückschreckten. Dies mag die Maßlosigkeit, mit der PC daherkommt, erklären.

Doch für Diederichsen ist der Begriff der „political correctness” vor allem „eine auf polemische, kuriose, paranoide Weise zustandegekommene Zusammenfassungsleistung von rechts”. Die aus „Gerüchten, Zu-schreibungen und Projektionen” bestehende Chimäre namens PC diene in erster Linie als Instrument, um politische Gegner des linken Spektrums mundtot zu machen. Außer dem Antioch-College fällt Diederichsen nichts und niemand ein, der sich selbst als „politisch korrekt” bezeichnet oder gerechtfertigterweise als solcher zu bezeichnen sei. „Jedenfalls hat auf Nachfrage noch kein PC-Opfer eine einflußreiche Institution oder Person genannt, die diesen flächendeckenden Terror ausübt”, behauptet er.

Die Beispiele aus den USA widersprechen ihm. Auch in Deutschland lassen sich Personen und Institutionen orten, die von ihren geistigen Brüderinnen in den USA nicht mehr allzu weit entfernt sind: ■ Als das Hamburger Schauspielhaus vor ein paar Jahren eine Aufführung der Operette „Der Zigeunerbaron” plante, wurde in einer internen Debatte allen Ernstes diskutiert, das Stück nicht besser in „Borna- und Sintibaron” umzubenennen. Nach der Aufführung gingen tatsächlich Proteste wegen des „diskriminierenden” Titels und Inhalts im Theater ein.

■ Das Bonner Bundesamt für Naturschutz riet vor zwei Monaten davon ab, sich den alljährlich zu Sylvester gezeigten Fernsehklassiker „Dinner For One” anzusehen, weil darin ein betrunkener Butler immer wieder über einen ausgestopften Tigerkopf stolpert. Die armen Tiger sind ja vom Aussterben bedroht! Da gibt es nichts zu lachen!!

Auch in unseren Breiten geistert seit einigen Jahren PC durch die Medien. Politiker wie Jörg Haider sprechen von „Tugendterror” der von einer „linken Kultur-Mafia” ausgehe und nennt in diesem Zusammenhang die Namen von Peter Turrini oder Elfriede Jelinek. Gerade diese beiden Schriftsteller dienen rechten Politikern als Zielscheiben für ihre Anti-„ Tugendterror” -Attacken. Kein Wunder, schließlich sind Turrini und Jelinek Symbolfiguren für das (mittlerweile schon etwas angestaubte) 68er-Denken. Doch sie sind zwar Vorbilder, Autoritäten, aber sicher keine fanatischen Einpeitscher, die die „linke Szene” auf Linie bringen und auf die Idee kämen, bizarre Verhaltenscodices ä la Antioch-College zu formulieren. Auch hat sich noch keine heimische Behörde zu PC-Verdächtigen Empfehlungen hinreißen lassen. („Zigeunerschnitzel müssen von den Speisekarten eleminiert werden!”)

Allerdings hat der Zeitgeist in Österreich merklich umgeschlagen: Noch vor etlichen Jahren wäre es nur schwer vorstellbar gewesen, daß Wolfgang Bachmayer, ehemaliger Spitzenkandidat des liberalen Forums in Wien, wegen einer unbedachten, als rassistisch interpretierbaren Äußerung auf einem Jahre zurückliegenden FPÖ-Seminar den Hut nehmen muß. Und vor ein paar Jahren hat die beharrliche Weigerung der Wiener Philharmoniker, Frauen in ihre Beinen aufzunehmen, vielleicht schon Kopfschütteln ob dieses aberwitzigen Anachronismus hervorgerufen, aber noch nicht so hohe Wellen geschlagen wie heute.

In früheren Zeiten waren das Vaterland oder der Glaube Werte, deren Mißachtung von der Staatsgewalt bestraft und von der Gesellschaft geächtet war. Noch heute macht sich (theoretisch) strafbar, wer religiöse Symbole oder die Bundeshymne in aller Öffentlichkeit herabwürdigt. Nun schlägt das Pendel auf die andere Seite aus: Man darf nicht mehr „Neger” sagen, wer sich kritisch gegenüber Fremden äußert, wird schnell ins rechtsextreme Eck gerückt und wer Frauen im Bundesheer für verzichtbar hält, gilt als Sexist. Immerhin: Es gibt keinen Paragraphen im Gesetzbuch, der - abgesehen von NS-Propa-ganda - die Äußerung solcher Wörter oder Gedanken unter Strafe stellt.

Trotz aller Ablehnung von Bassismus, Frauenfeindlichkeit und ähnlichem: Das ist gut so.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung