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Neu-Gnostizismus unterwegs

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Nachkriegszeiten sind immer Hochkonjunkturzeiten für das Wiederaufleben antichristlicher Pseudo-Spiritualität. Auf jeder Anschlagsäule erfährt man es heute, daß die verschiedensten okkulten und neu-gnostischen Zirkel und Gesellschaften ihre Werbetätigkeit wieder aufgenommen haben. Vortragsankündigungen: „Atome, Seele, Magie“. ' „Wer bist du? wohin gehst du? wozu leidest du?“ usw. locken Interessenten aus allen Weltanschauungslagern. Die Unkenntnis des Neu-Gnostizismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ist heute auch in den Schichten der Gebildeten so weit verbreitet, daß nicht wenige seiner geschickt auf die geistigen Werte und Wahrheiten des Christentums spekulierenden Terminologie verfallen.

Der Neu-Gnostizismus umfaßt alle jene halb religiösen, halb philosophischen Welt-ansdiauungslehren, die mit dem Gnostizismus der frühchristlichen Zeit theoretisch das pan-theistische Lehrfundament und praktisch die Teilung in Esoretiker und Exoretiker, das ist in Eingeweihte und Nichteingeweihte, gemein haben. In Österreich ist es die Theosophische und Ailthroposophische Gesellschaft (vorläufig noch kleine Zirkel im Wiederaufbau), die als Repräsentanten des Neu-Gnostizismus betrachtet werden müssen. Diese berufen sich auf eine höhere Erkenntnis, die sie ihren Anhängern über religiöse Wahrheiten zu vermitteln imstande seien, und verführen so zum Abfall von Gott durch Glaubenshch-mut. Die Verführungsgefahr ist um so größer, als der wichtigste Punkt im technischen Programm dieser beiden Irrlehren die Sorgfalt auf die christliche Aufmachung ihrer häretischen Lehrinhalte ist.

Was ist Gnosis („Erkenntnis“)? Es gibt eine richtige Gnosis vom Standpunkt des Christentums aus. Sie besteht darin, daß man mit der Vernunft tiefer in die clirist-lidie Lehre einzudringen sucht und so stufenweise in der Erkenntnis der von Gott geoffenbarten Glaubenswahrheiten fortschreitet. Die Gnosis der Apostolischen Zeit aber — denn auf sie greift der Neu-Gnostizismus zurück — war eine falsche Gnosis. Es war keine Durchforschung des geoffenbarten Lehrsatzes, sondern dessen Fälschung, ein Hineintragen heidnischer Elemente in die reine Lehre des Evangeliums. Der Gnostizis-mus war die erste Häresie, welche die Kirche ernstlich gefährdete.

Die Gnostiker befaßten sich in der Hauptsache mit den beiden Fragen! woher stammt das Böse? und wie ist diese sichtbare Welt, die nach ihrer Autfassung der Sitz des Bösen ist, entstanden? Mit der Antwort des Christentums auf diese Fragen gaben sie sich nicht zufrieden, sondern suchten darüber hinaus zu einer „tieferen“ Erkenntnis als die der „einfachen Gläubigen“ zu gelangen. So auch ihre Nachfolger im Geis'.e, die neu-gnostische Theosophie und Anthroposophie. Im „Geheimwissen“ wollen sie über das Offenbarungsgut hinaus Wissen und Weisheit bieten Durch das „Geheimwissen“, erklären sie, seien sie auch in der Lage, dem einzelnen Gläubigen seine eigene Religion erst so recht verständlich zu machen. Es sei darum gegenstandslos„ welcher Religion ein Mensch angehöre, Theosophie und Anthroposophie hätten niemals das Bestreben, jemanden zu bekehren, sondern im Gegenteil, sie wollten nidits anderes als ihm diese seine eigene Religion „erklären“ und ihn befähigen, die „tiefere Bedeutung“ dieser und überhaupt aller Religionen zu erfassen. Hierin liegt die größte Gefahr der modernen Gnosis.

Das Wesen der gnostischen Lehre ist Dualismus: Es gibt einen höchsten Gott, dem eine ewige Materie gleich machtvoll gegenüberstehe. Aus diesem höchsten Prinzip gehen durch Emanation die Äonen hervor, die mit dem Bythos an ihrer Spitze das Lichtreich bilden. Die emanierten Geister werden in dem Maße schwächer, als“ sie sich vom Bythos entfernen, so daß das schwächste Aon auf dem Pleroma (Fülle, Lichtmeer) in die Hyle (Stoff, Materie) herabfällt. Dieses herabgefallene Aon ist der Demiurg, der Weltenbildner. Er bildet nun aus der schon vorhandenen Materie die sichtbare Welt; er ist der Gott des Alten Testaments, von ihm wurden die Menschen gebildet. Ihre Seelen sind zwar göttlicher Abkunft, aber auf eine unnatürliche Weise vom Demiurgen mit den Körpern verbunden worden. Durch diese widernatürliche Verbindung der Geister mit der Materie entstand das Böse. Um die gefangenen Geister aus der Knechtschaft des Demiurgen zu erlösen, andte Bythos das Aon Christus in Gestalt des Menschen Jesu' in die Welt. Seine Aufgabe bestand nun darin, den Menschen ihre höhere Abstammung mitzuteilen und ihnen durch se ne Lehre und sein Beispie! den Weg zur Erlösung von der Materie zu zeigen.

Zu den Eigentümlichkeiten der Gnostiker gehörte die Einteilung ihrer I ehre in eine esoterische und esoterische nach der Weise der heidnischen Mysterien. Die esoterische Geheimlehre habe Christus den Aposteln nur lür die Pneumatiker anvertraut, die exo-terische der Kirche für die große Masse des Volkes, für die Psychiker also, gegeben. Diese Unterscheidung wird auch heute noch von den Neu-Gnostikern festgehalten. Sie beanspruchen für 'ich ein „esoterisches Christentu m“, das ein weit über den „einfältigen Kirchenglau'oen“ hinausreichendes „Geheim wis-en“ beinhalten soll.

Was treibt die Mensdien der Theosonhie und der Anthroposophie in die Arme? Was ist der Zauber dieser beiden Gesellschaften, die doch durch die Fhantas'ik ihrer Lehren den modernen Menschen eher abstoßen, als anziehen sollten? Es gibt Naturen, für die erst eine Wahrheit wahr und ein Weg gangbar wird, wenn die Wahrheit von weit hergeholt und der Weg dunkel und abgründig ist. Das sind teils Veranlagungen, die nicht leben können ohne Bewegung und Erschütterung, teils Sdiwärmer des Okkulten, deren Ethik den klaren Anforderungen des Christentums nicht gewachsen ist. Diese schwärmen gerne aus in bindungslose Gemeinschaften mit ethischer Verbrämung; der klaren Struktur göttlicher Gebote weichen sie aus. Zu diesen Charakteren zählten Madame Blavatsky, die spiritistisch-buddhistisch orientierte Gründerin der Theosophischen Gesellschaft, und Dr. Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophischen Gesellschaft, und es ist auch das Charakteristikum dieser beiden Gesellschaften geblieben, daß sie vorwiegend solche Menschen anziehen, die gleich den beiden Gründern nidit ohne metaphysische Erschütterung leben können. Sie suchen die religiöse Sensation und ihr Hang zum Okkulten, zum Mysteriösen einerseits, andererseits aber die religiösen Freiheitsprivilegien und der Uti-litarismus in der Auffassung und Ausübung des sozialen Dienstes an der Menschheit, wie er in der Theosophie und Anthroposophie zum Ausdruck kommt, führt sie diesen neu-gnostischen Irrlehren zu.

Die moralische Einstellung des Theo-sophen und Anthroposophen ist durchaus autonom. Als ethischer Niederschlag einer häretischen Gnosis zeigt dieser Autonomismus noch eine besondere Dünkelhaftigkeit. Nicht nur, daß der Neu-Gnostiker von „jeder sittlichen Schwäche des Gehorsams“ gegen eine von außen an ihn herankommende Welt- und Sittenordnung oder von dem „Diktat irgendwelcher sittlichen Autoritäten“ „ungebeugt und ungebogen“ bleiben will, sondern er dünkt sich auch noch in einer besonderen Weise über alle konfessionelle Bindung erhaben: er ist Esoteriker. Man muß wissen, mit welchem Geisteshochmut in jenen Kreisen von der Esoterik gesprochen wird, um die Macht des , Zaubers dieses Wortes zu begreifen, eines Zaubers, dem schon der erste Mensch im Paradies erlag, als ihm die Schlange die gleisnerische Verheißung zuflüsterte: „Ihr werdet sein wie Gott, erkennend das Gute wie das Böse . . .“ Zu dieser Lockung für das Herz gesellt sich die für den Verstand: „Nicht glauben, sondern wissen.“ Dies ist die verführerische Verheißung neu-gnostischer Gemeinschaften an eine wissensstolze Welt. Nicht die da sagen: „Wir glauben nicht“, sind die gefährlichsten Feinde der Religion, sondern vielmehr die, die mit typisch esoterischem Hodimut verkünden: „Wir glauben und wir wollen auch, daß ihr glaubt, nur müßt ihr euren Glauben erst besser und tiefer durch unsere Belehrung verstehen lernen, dann wird euer Glaube sich zu theosophischem (beziehungsweise anthro-posophischem) W:ssen gewandelt haben.“

Es liegt eine nicht zu unterschätzende Werbemacht in der nach außen unanfechtbaren Art der Theosophie und Anthroposophie, für ihre Weltanschauung zu werben. Vorteilhaft sticht sie gegen das laute Werbegeschrei materialistischer Weltanschauungswerber ab. Ihre stille, ruhige Art führt in die Irre Denn es lebt noch in religiös eingestellten Menschen, wenn sie sich der Kirche vielleicht auch praktisch entfremdet haben, eine Erinnerung an die ruhige Sicherheit dieser Kirche fort. Sie folgen demnach instinktiv lieber der feinen Stille falschen Spiritua-'ismus als dem brutalen Lärm des Materialismus. Hierin liegt eine der Erklärungen für den merkwürdigen Reiz, den diese Gesellschaft auf eine gewisse Kategorie von modernen Gottsuchern auszuüben imstande ist. Auf jene Gottsucher nämlfch, für die in ihrem Wahrheitssuchen psychologische Momente weit ausschlaggebender werden als logische Erkenntnisse und die es ihrer religiösen Halbbildung verdanken, wenn sie durch die Wandelgänge von persönlicher Geneigtheit und Abgeneigtheit schließlich. beim Okkultismus landen, der ihnen weiter keine moralischen Verpfüditungen auferlegt, als sie gerade noch nach eigenem Belieben auf sich nehmen mögen, der sie aber in dem Dunstkreis seiner pseudo-Mystik sich selbst als Halbgötter schauen läßt.

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