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Neue Funde in der Wüste Juda

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Die Handschriften von Chirbet Qumran.

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Die Handschriften von Chirbet Qumran.

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Wieder einmal geht durch die Weltpresse eine Welle von Nachrichten über neuerliche Handschriftenfunde biblischen Inhalts in der Wüste Juda. Wäre nicht die Gefahr zu groß, daß durch unrichtige oder voreingenommene Berichterstattung die Öffentlichkeit in die Irre geführt wird, so wäre noch lange nicht die Zeit gekommen, über diese allerneuesten Funde Mitteilungen zu machen. In den ausführlicheren Berichten selbst angesehener Tageszeitungen, wie des „Manchester Guardian“ und der „Jerusalem Post“, erscheint aber wieder der Name des französischen Gelehrten Prof. Dupont-Sommer, der seit zwei Jahren in Pressekonferenzen, im „Figaro Littėraire“ und in seiner nunmehr auch ins Englische übersetzten Schrift über die Handschriftenfunde vom Toten Meer mehrfach erklärte, daß das Christentum in all seinen Lehren über Christus einen Vorläufer in der jüdischen Sekte hatte, der diese Handschriften entstammen. Obwohl es fast keinen (mit Ausnahme Kahles) ernsten Gelehrten gegeben hat, der die Thesen Dupont-Sommers unwidersprochen zur Kenntnis nahm, aber zahlreiche, die ihrer sorgsamen Widerlegung eigene Studien widmeten, gibt es immer wieder Kreise, die an der Verbreitung der Dupont- Sommerschen Theorien Interesse haben, weil ihnen anderes wichtiger ist als wissenschaftliche Sachlichkeit. Weil diese Kreise sich vornehmlich der Presse bedienen, muß ihnen auf derselben Ebene entgegengetreten werden. Trotzdem soll und muß aber vermieden werden, daß gelehrte Auseinandersetzungen in die Unsachlichkeit der Publikumsdiskussion hin- eingezogen werden. Dies sei vor allem an die Adresse derer gerichtet, die durch Pressekonferenzen und Mißbrauch der Sensationslust der Tagespresse das Publikum vorzeitig beeinflussen und einen consensus communis schaffen wollen, bevor noch die ernste Forschung ein abschließendes Wort gesprochen hat, was erst sehr spät oder vielleicht auch niemals erfolgen kann.

Bisher wurde auf Grund archäologischer und anderer Argumente vermutet, daß die Sekte, der die neugefundenen Handschriften angehörten, etwa zwischen 100 und 80 v. Chr. aus Palästina nach Damaskus fliehen mußte und daß anläßlich dieser Flucht die Texte in der Höhle, wo man sie 1947 und 1949 fand, versteckt wurden. Auch meinten die meisten, daß im Zusammenhang mit dieser Flucht der Lehrer der Gerechtigkeit, der als letzter Prophet die leitende Persönlichkeit der Sekte war und in dem Dupont-Sommer den Vorläufer Christi sah, eines gewaltsamen oder natürlichen Todes starb. Das gewichtigste Argument, das für diesen Ansatz sprach, war die von den Archäologen allgemein angenommene These, daß die in der Höhle gefundene Keramik größtenteils vor- römisch-hellenistisch sei und nach dem Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. kaum noch hergestellt worden sein könnte.

Schon 1949 wurde in unmittelbarer Nähe der Fundhöhle ein kleiner Ruinenhügel Chirbet Qumran festgestellt, der schon damals in eine mögliche Beziehung zur Fundhöhle gesetzt wurde. Dezember 1951 und Jänner 1952 wurden an diesem Hügel unter der Leitung von Lancaster Harding, Direktor der Antikenabteilung im Staate Jordanien, und Pere de Vaux von der dominikanischen ficole Biblique in Jerusalem systematische Grabungen veranstaltet, die folgendes Ergebnis zeitigten: Im Hauptgebäude dieser Siedlung wurde ein Krug gefunden, der in seiner Form nahezu mit den Krügen übereinstimmt, in denen die Handschriften in der Höhle geborgen waren. Dieser Krug war in den Fußboden eingelassen und wurde anscheinend für Haushaltszwecke benützt. Das Gebäude war augenscheinlich nur kurze Zeit bewohnt. Die elf daselbst gefundenen Münzen weisen in die Zeit der römischen Prokuratoren zur Zeit des Kaisers Augustus bis zum ersten jüdischen Krieg, der mit der Einnahme Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 n. Chr.- endete. Unter dem Eindruck dieser Tate Sachen nahm de Vaux in einem Bericht an die Academie des inscriptions et belles lettres seinen bisherigen Ansatz, daß die in der Höhle gefundenen Krüge vorrömisch seien, offiziell zurück. Ebenso nahm er seine frühere Schlußfolgerung zurück, daß die Krüge als Behälter für die Rollen besonders für diesen Zweck angefertigt wurden, und stellte dagegen fest, daß sie auch für den gewöhnlichen Hausgebrauch gedient hatten. Auch hält es de Vaux entgegen seiner ersten Ansicht für unwahrscheinlich, daß die römischen Lämpchen, die in der Höhle gefunden wurden, auf eine Ausplünderung im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. zurückzuführen seien; er meinte vielmehr, daß sie aus der Zeit der Bergung der Handschriften in der Höhle selbst stammen könnten. Durch den Grabungsbefund in Chirbet Gumran ist nunmehr wahrscheinlich, daß die Handschriften im Verlauf des jüdischrömischen Krieges, etwa im Jahre 70 n. Chr., in der Höhle geborgen wurden und daß die Siedlung selbst anläßlich desselben Ereignisses verlassen wurde.

De Vaux bringt nun die Siedlung von Chirbet Qumran mit einer vom älteren Plinius in seiner Naturgeschichte erwähnten Essenersiedlung in der Umgebung- von und in Engadda selbst in Zusammenhang, wo die Essener ein vollkommen weltabgeschlossenes Gemeinschaftsleben ohne Frauen und Geld unter den Palmen geführt haben sollen. Im Zusammenhang damit erwähnten nun der „Manchester Guardian“ wie die „Jerusalem Post“ den Professor der Sorbonne Dupont-Sommer, der angeblich als erster den engen Zusammenhang zwischen den Texten aus der Höhle und dem Essenismus festgestellt haben soll. Diese Nachricht ist ausgesprochen falsch und nur dazu angetan, auch die übrigen Dupont- Sommerschen Thesen dem Leserpublikum schmackhaft zu machen. Lange vor dem Erscheinen der Dupont-Sommerschen Arbeiten stellten schon Prof. S u k e n i k von der hebräischen Universität Jerusalem, P. August Bea S. J., der Rektor des Pontificium Institutum Biblicum, und der Verfasser dieser Zeilen den nahen Kontakt zwischen dem Schrifttum dieser Sekte und der Lehre des Essenismus fest.

Was beweisen nun die Grabungsergebnisse von Chirbet Qumran? Handelt es sich bei den in der Höhle gefundenen Handschriften vielleicht gar um frühchristliche Dokumente, vielleicht judenchristliche, wie auch schon vermutet wurde? Infolge von Argumenten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ist dieser Schluß vollkommen unmöglich. Die Handschriften stehen in keinerlei direktem Zusammenhang mit dem Christentum. Ist durch das Grabungsergebnis wenigstens die Abfassungszeit der Texte in etwa bestimmt? Ja, aber nur insoweit, als der Terminus ante quem als das Jahr 70 n. £hr. anzugeben ist. Der Terminus post quem kann nur aus den Texten selbst eruiert werden, und damit sind wir am selben Ziel, das auch schon vor der Grabung erreicht war. Auch bisher war der Inhalt der Texte der sicherste Hinweis für ihre chronologische Einordnung.

In den Texten scheinen vier verschiedene religiös-politische Parteien auf, die einander bekämpfen. Der Frevelpriester und 6ein Anhang; die Abtrünnigen oder Missetäter, die auf der Seite des Lügenmannes standen und nicht an den Lehrer der Gerechtigkeit geglaubt hatten; da6 Haus Absalom, das dem in größter Not befindlichen Lehrer der Gerechtigkeit nicht gegen den Lügenmann geholfen hat; und schließlich die Anhänger des Lehrers der Gerechtigkeit, die trotz aller Rückschläge und Verfolgungen an seine Prophetenwürde glaubten und fest waren im Befolgen der göttlichen Gebote. Der Frevelpriester verfolgte nicht nur die Mitglieder der Sekte und den Lehrer der Gerechtigkeit aufs schwerste, sondern konfiszierte auch den Besitz der Missetäter, stand also in offenem Gegensatz zum Lügenmann und seinem Anhang., Außerdem stand es in der Gewalt de Frevelpriesters, mit einem Heer über seine Feinde herzufallen und diese auszuplündern.

Aus dem Zusammenhang ergibt sich mit Sicherheit, daß der Ausdruck Frevelpriester nur eine Schmähbezeichnung für einen Hohepriester sein kann. Zur Zeit aber, da der zweite Tempel in Jerusalem stand, waren es nur die makkabäischen Könige, die gleichzeitig das Hohepriesteramt innehatten und als Könige auch die Macht hatten, über äußere Feinde herzufallen. Aus den Anspielungen der Texte selbst ergeben sich wieder die Jahre etwa 110 bis 60 v. Chr., die für die Verfolgung der Sekte und den Tod des Lehrers der Gerechtigkeit in Frage kommen. In dieser Zeit scheinen die Hinweise wieder am besten auf Alexander Jannai (103 bis 76 v. Chr.) zu passen. Die neueste Forschung hat auch noch etliche andere Gründe für die makkabäische Entstehungszeit der Texte vorgebracht, denen kaum noch widersprochen werden kann. Wenn der Frevelpriester also mit einem makkabäischen Hohepriesterkönig gleichzusetzen ist, so ist unter dem Lügenmann wahrscheinlich ein berühmter pharisäischer Lehrer zu verstehen, während die Abtrünnigen und Missetäter selbst Pharisäer wären. Das Haus Absolom wird wahrscheinlich die jüdisch-monastische Sekte des Essemismus bedeuten, die der Sekte selbst, der die Texte entstammen, sehr nahestand.

Wie verhalten sich nun die Ergebnisse der Grabung von Chirbet Qumran zu diesem Textbefund? Auf Grund der Grabung selbst konnte festgestellt werden, daß die Siedlung von den letzten Jahrzehnten v. Chr. bis etwa 70 n. Chr. bewohnt war. Aus einer anderen Quelle ist bekannt, daß nach dem Tod des Lehrers der Gerechtigkeit die Sekte nach Damaskus auswandern mußte. Es ist leicht denkbar, daß zu- mindestens eine Gruppe von dort wieder nach Palästina zurückkehrte, als in der augusteischen Zeit wenigstens bis zu einem gewissen Grad wieder Ruhe und Ordnung in Palästina herrschten. Es ist purer Zufall, daß uns keine Texte aus dieser späteren Zeit mehr erhalten sind, da in der Höhle nur sieben Handschriften mehr gefunden wurden, während sich nach vorsichtiger Schätzung einmal etwa 150 bis 160 darin befunden haben müssen. Unter den sieben vorhandenen Texten befinden sich auch zwei Abschriften des Buches Isaias, die sich chronologisch nicht näher bestimmen lassen, da — wie es auf der Hand liegt — aus ihrem Inhalt nichts über ihre Abfassungszeit herausgelesen werden kann. Sie sind Abschriften des Prophetenbuches, das etliche Jahrhunderte vorher entstanden ist.

Während der Grabungen in Chirbet Qumran wurde die Aufmerksamkeit der Ausgräber auf eine weitere Höhle im Wadi Marabaat gelenkt, in dem eine Höhle gefunden wurde, die auf zeitweise menschliche Benützung vom 8. Jahrhundert v. Chr. bis zum 2. Jahrhundert n. Chr; schließen läßt. In ihr wurden zahlreiche Textfragmentchen, darunter auch solche aus dem 1., 2. und 5. Buche Mosis, gefunden. Ein Ehevertrag ist aus dem 7. Jahr Hadrians datiert (124 n. Chr.) und gibt somit einen wertvollen chronologischen Hinweis. Unter anderen Texten wurden auch noch zwei Briefe gefunden, die der Führer im jüdischen Aufstand (130 bis f35 n. Chr.) Simeon bar Kochba (ben Kosebah) gegen die Römer verfaßt hat. In einer anderen Höhle sollen noch im Monat März Angehörige des Jerusalemer Hauses der American School of Oriental Research zwei mit hebräischen Lettern beschriebene Bronzetafeln gefunden haben.

Somit bescherte uns der Boden des Heiligen Landes einen wahrhaften Schatz von neuen wissenschaftlichen Informationsquellen über die inneren Verhältnisse des Landes in den beiden Jahrhunderten vor und nach Christus. Gerade weil diese Texte aus der „Fülle der Zeit“ stammen, ist es angebracht, mit der notwendigen Sachlichkeit und ohne ein wie immer geartetes Vorurteil an ihre Bearbeitung heranzugehen.

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