Neue Priester für die Kirche

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Die Debatte um den Zölibat katholischer Priester nimmt wieder Fahrt auf. Dabei sollte die Kirche nicht von der Seite der Macht her argumentieren.

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Die Debatte um den Zölibat katholischer Priester nimmt wieder Fahrt auf. Dabei sollte die Kirche nicht von der Seite der Macht her argumentieren.

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Mit Papst Franziskus ist in mancher Hinsicht Bewegung in die katholische Kirche gekommen. Seine Rede von der "verbeulten Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist" (Evangelii gaudium), drückt Aufbruchssinn und Risikobereitschaft aus. In diesem Pontifikat wird manches möglich, was vorher ausgeschlossen schien. Wie der Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene. Seit der Bischofssynode 2015 stehen den Ortskirchen pastorale Regelungen offen, die der Präfekt der Glaubenskongregation noch vor kurzem aus dogmatischen Gründen abgelehnt hatte. Und selbst die Frage nach der Zulassung von Frauen zum Amt steht plötzlich auf der Agenda. Im vergangenen Jahr hat der Vatikan eine eigene Kommission zum Diakonat der Frau gegründet, um es wissenschaftlich zu untersuchen. Das Ergebnis ist offen -aber wer historisch nachforscht, muss mit neuen Einsichten rechnen.

Das Leitmotiv dieses Pontifikats zeigt sich im Mut, an Grenzen zu gehen und sie kirchlich zu passieren, wo es den Menschen dient. Da bietet es sich an, ein wichtiges Hindernis pastoraler Arbeit auf den Prüfstand zu stellen: den Priestermangel. Die Zahl der Priester und der Priesteramtskandidaten sinkt vor allem in Europa, aber auch in den USA und in vielen anderen Ländern dramatisch. Die Auswirkungen zeigen sich überall: Gemeinden werden zusammengelegt, große pastorale Räume lösen gewachsene Bindungen an die Kirche vor Ort auf.

Ein differenziert vorgebrachter Vorschlag

Dabei ließe sich diese Herausforderung im Vergleich zu den genannten leichter bewältigen. Der Zölibat betrifft eine disziplinarische Regelung, keine dogmatische Norm. Die Auflösung, zumindest aber Lockerung des Pflichtzölibats für Priester ist deshalb seit dem II. Vatikanum immer wieder diskutiert worden - ohne Änderungen der bestehenden Praxis. Aber auch diesbezüglich ist der Papst offen für "mutige Vorschläge", wie er Bischof Kräutler mitteilte. Seitdem hat die Zölibatsdebatte Fahrt aufgenommen. So legten der Freiburger Dogmatiker Helmut Hoping und der Mainzer Pastoraltheologe Philipp Müller einen differenzierten Vorschlag in der Herder Korrespondenz (März 2017) vor, der die Zulassung von verheirateten Diakonen zum Priesteramt ins Gespräch brachte. Die Resonanz war erheblich, schon weil das Konzept klug begründet und vornehm vorgetragen wurde.

Mit immer weniger Priestern stehe, so die Autoren, die "sakramentale Grundstruktur der katholischen Kirche" in Frage. Mit bewährten Diakonen als Sonderfraktion der sogenannten "Viri probati" ließe sich zwar nicht jedes Problem lösen, aber doch "eine spürbare Entlastung" erreichen.

Problematischer Code der Leitungsfunktion

Jedes Argument, das die Verfasser vorbringen, ist nachvollziehbar. Man fragt sich, warum die Kirchenleitungen zögern und die Bischofskonferenzen, die besonders vom Priestermangel betroffen sind, nicht einen Versuch starten - wenigstens mit einer "mutigen" Anfrage an den Papst. Aber vielleicht macht das Zögern doch Sinn - wenn auch möglicherweise aus anderen Motiven, als sie manche Bischöfe bewegen. Wenn an einem Vorschlag nichts falsch ist, heißt das noch nicht, dass er wirklich stimmt.

Das zeigt sich im Ansatz des Modells, für das Hoping und Müller so umsichtig argumentieren. Den Anlass ihrer pastoralen Sorge liefert der Mangel an Priestern, den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildet ein sakramentales Verständnis der Kirche, das den Zugang zum priesterlichen Amt bestimmt. Es wird gekoppelt an einen Code, der nicht weiter hinterfragt wird: an die Leitungsfunktion des Priesters. "Gemeinden leiten, das Wort Gottes verkünden und auslegen, der Eucharistie vorstehen, Beichte hören, die Krankensalbung spenden -diese priesterlichen Dienste sind unentbehrlich für den Aufbau der Kirche." Am ersten Satz des Textes hängt die Gedankenführung.

Dieses Entree legt die Perspektive fest. Interessanterweise bildet nicht die geistliche Disposition des Priesters die Zentripetalkraft, auch wenn seine spirituelle Ausbildung durchaus im Blick bleibt. Aber sie ist zugeordnet. Sie wirkt als Aspekt, nicht als entscheidende Form, die alles andere bestimmt. Die Leitung der Gemeinden steht am Anfang, sie folgt nicht aus allem anderen. Ein Zufall? In historischer Hinsicht wohl kaum.

Über Jahrhunderte hat sich die Position des Priesters mit Attributen der Macht aufgeladen. Sie lassen sich politisch rekonstruieren und an den Übergängen von staatlichen und kirchlichen Sphären nachvollziehen. Der Code der kirchlichen Leitung, für die christologische Begründungen herangezogen werden, ist dabei an weltliche Formulare angelehnt: an hierarchische Macht und die Verfügung über Ressourcen, nicht zuletzt das Geld. Zwar sind mit kirchlichen Gremien Beratungsinstanzen für die Gemeindeleitung des Priesters vorgesehen. Und zweifellos betreffen ökonomische Agenden auch pastorale Erwägungen. Aber die letzte Entscheidung bleibt in der Regel beim zum Pfarrer bestellten Priester als Gemeindeleiter.

Diese Codierung des Amtes steht offensichtlich außer Frage. Mehr noch: An ihr hängt ein gehöriges Maß an Anziehungskraft. Nicht dass sich Priester auf Verwaltungsaufgaben stürzen, aber von ihrer Macht lassen die wenigsten. Dieser Code unterstützt das, was Papst Franziskus mit seiner Kritik am Klerikalismus in den Blick nimmt: den Aufbau einer Kaste. Auch wenn dies ekklesiologisch nicht so gedacht ist, kann man dies phänotypisch gerade dann beobachten, wenn Priester ihr Amt darstellen. Liturgische Präsentationslust macht dabei einen ebenso wichtigen Teil aus wie das inszenierte Standesbewusstsein definitiver Leitungsmacht im eigenen Sprengel.

Vorbild methodistische Kirche?

Eine überzogene Wahrnehmung? Man stelle sich einen anderen Code vor, an dem der Zugang zum priesterlichen Amt hinge. Er wäre über die Ohnmachtsseite der Christologie zu entwickeln. Er ließe sich leben über die Autorität der spirituellen Ausstrahlung und der theologischen Überzeugungsfähigkeit des Priesters, der nicht qua Amt das letzte Wort hat. In der methodistischen Kirche steht der Bischof zwar den Beratungen der kirchenleitenden Gremien vor, aber er hat kein Stimmrecht. Seine Perspektive kommt über sein Charisma und das Gewicht seiner Argumente zur Geltung.

Eine andere Form zu leiten, die von der Perspektive selbstverständlicher Amtsgewalt entkoppelt ist, sprengt die Grenzen eines Priestertums, das in seiner gegebenen zölibatären Form der Gefahr des Klerikalismus ausgesetzt bleibt. In jeder Kastenordnung gibt es Unberührbare: vor allem die Frauen. Und so liegt es wohl auch in der Logik der Sache, dass sich der Vorschlag einer Lockerung des Pflichtzölibats auf Diakone bezieht. Er bestätigt den Rahmen der Zulassungsbedingungen, stellt aber die Voraussetzungen nicht in Frage, weil er im Zeichen eines pastoralen Systemerhalts steht.

Vielleicht handelt es sich aber heute doch mehr um eine spirituelle Herausforderung für eine Kirche, die nicht mehr von der Seite der Macht her auf die Menschen und ihre Lebenswelten blicken kann? Was unter diesen Bedingungen ansteht, nicht zuletzt die Bewältigung bedrängender kirchlicher Sterbeprozesse, lässt sich nicht einfach über mehr Priester, sondern nur auf der Basis einer anderen priesterlichen Lebensform bearbeiten. Seit Jahrzehnten betet die Kirche für mehr Priester. Scheinbar ohne Erfolg. Was wenn ihr Gebet schon erhört wäre?

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie u. Ökumene an der Uni Salzburg

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