Neue Welt als Puzzle

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Bei Symposien und Tagungen, etwa jenen des Europäischen Forums in Alpbach oder der GLOBArt Academy in Pernegg, wurden die globalen Themen debattiert. Die Globalisierung erfordert internationale Kooperation, wozu die einzelnen Staaten aufgrund ihrer Interessenlage noch nicht im erforderlichen Ausmaß bereit sind.

Franz Fischler, schon fast legendärer Agrar-Kommissar der Europäischen Union und um kritische Worte an die Adresse der österreichischen Bundesregierung nie verlegen, begrüßte diesmal ausdrücklich eine ihrer neuen Initiativen: Die Koalition hatte in ihrem Ministerrat nach der Sommerpause beschlossen, auf europäischer Ebene für eine Steuer auf Finanztransaktionen zu werben. Diese steht damit noch keineswegs vor ihrer Realisierung, ist aber, wie einige andere bei den großen Tagungen dieses Herbstes debattierten Vorschläge auch, geeignet, zur fälligen Neuordnung einiger Institutionen und Regelwerke dieser Welt beizutragen. Zu groß sind die Probleme, die auf der Agenda stehen.

Die Wucht der Krise als Chance nutzen

Die spekulativen und teils nur mit Gewinnabsicht auf Kredit finanzierten Geschäfte auf den Finanzmärkten gelten als die Ursache der dann auf die Realwirtschaft durchschlagenden Krise der Finanzmärkte. Die Rettungspakete verbrauchten Milliarden Dollar, die Kosten pro Bürger liegen in den entwickelten Ländern bei über 1000 Euro. Jetzt, wo sich die globalen Staubwolken vom Einsturz hunderter Firmen und Banken verziehen, nehmen nationale und internationale Politik die Finanzmärkte an die Kandare und die Banken unter Kontrolle. Soll die nötige neue Ordnung gelingen, – ein überfälliger Schritt.

Frankreichs Präsident Nikolas Sarkozy und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel haben vor den ersten EU-Gipfeln des Herbstes und dem G-20-Gipfel Ende dieses Monats in Pittsburgh ein ambitioniertes Ziel ins Auge gefasst: Keine Bank dürfe mehr so groß werden, dass sie eine nationale Regierung erpressen könne. Zudem sollten die Finanzmärkte neue Regeln erhalten, die Transparenz und Kontrolle vorsehen. Das wurde auch dieser Tage beim Europäischen Forum Alpbach diskutiert, wobei auch die Probleme umgehend benannt wurden. Großbritannien werde, so berichtet Christian Leffler, Kabinettschef von Margot Wallström, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, nur zustimmen, wenn dieses Regelwerk den Finanzplatz London ausreichend respektiere und entsprechend behandle. Die Bundesregierung hat also, will sie für die Steuer auf Finanztransaktionen werben, eine schwierige Aufgabe vor sich. Trotz verlockender Einnahmen.

80 Milliarden Euro an Erlös

„Wenn wir das Finanzsystem transparenter und gerechter machen wollen, ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer unverzichtbar“, sagte Fischler in einer Reaktion zum Regierungsbeschluss. Die Initiative sei dringend, denn es gebe bereits eine „starke Tendenz“, auf den Finanzmärkten jenen Weg weiterzugehen, der zur aktuellen Krise geführt habe. Es sei „unverständlich“, dass es bei Finanztransaktionen das Privileg der Umsatzsteuerbefreiung nach wie vor gebe, während zugleich darüber nachgedacht werde, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Diese Steuer auf ledigliche Geldgeschäfte, konkret eben auf Finanztransaktionen, würde „das Finanzsystem stabilisieren, hochspekulative Finanzgeschäfte eindämmen und allein in Europa bei einem geringen Steuersatz von 0,1 Prozent einen Ertrag von rund 80 Milliarden Euro bringen“, argumentiert Fischler. Für Österreich wäre mit einem Steueraufkommen von ein bis zwei Milliarden Euro zu rechnen. Allerdings: Die Debatte über diese Steuer, von nach einem ihrer Vordenker Tobin-Tax genannt, hat in anderen europäischen Ländern noch nicht einmal begonnen.

Neben der Neuordnung der Finanzmärkte sind neue Regeln für die Wirtschaftsweise und neue Strukturen für internationale Organisationen die Themen der Tagungen, etwa des Europäischen Forums in Alpbach oder der GLOBArt Academy in Pernegg.

„Wir leben in einer Welt der Widersprüche“, sagte etwa Inge Kaul, deutsche Politikwissenschafterin und Beraterin nationaler und internationaler Organisationen in ihrem Referat in Pernegg. So würden neue Chancen, etwa im technischen und im medizinischen Fortschritt, wachsenden Wohlstand und ein gesünderes sowie längeres Leben versprechen. Individuell erlebt werde hingegen oftmals das Gegenteil: Gefangen in einem Netz von Krisen, erlebten Einzelne den Verlust von Arbeit und Einkommen, neue Krankheiten, müssten wir Zerstörung der Umwelt, Terrorismus und Kriege zur Kenntnis nehmen. Gerade in der aktuellen Krise konzentriere sich die Politik immer mehr und immer ausschließlicher auf deren Bewältigung, während die Einlösung ihrer Versprechen für eine bessere Welt in den Hintergrund gedrängt werde, analysierte Kaul.

Die gegenwärtigen Probleme hätten ihre Ursache vor allem in der während der letzten Jahrzehnte erfolgten Politik der kleinen Globalisierungsschritte: „Damit haben wir uns, kaum bemerkt, in eine grundlegend andere, in eine offene, vernetzte und interdependente Welt begeben“.

Die gegenwärtige Phase der Globalisierung sei ein junges Phänomen, insbesondere im Vergleich zu den seit Jahrhunderten andauernden Bemühungen der Staaten um nationale Souveränität. Dieses Bemühen präge das politische und ökonomische Denken – und sei nicht mehr den Umständen und der Zeit gemäß.

Entdeckung einer neuen Weltordnung

Jene Politikansätze, die relativ geschlossene Staatsgrenzen voraussetzen, würden weiterhin verfolgt werden. So, als ob all die kleinen Globalisierungsschritte in Richtung auf Integration von Verkehr und Kommunikation, von Marktöffnung und Liberalisierung der Finanzmärkte nicht stattgefunden hätten. Die heutigen Politikansätze nähmen, wie Kaul treffsicher analysierte, nur bedingt zur Kenntnis, dass „nicht nur wir Fortschritt wollen und Wachstum suchen, sondern auch andere Länder, allen voran Brasilien, China und Indien“. Sie wurden zu lange lediglich als Märkte gesehen, sind aber zunehmend auch neue politische und ökonomische Mächte sowie Konkurrenten. Inge Kauls Schlussfolgerung: „Notwendig ist mithin die Entdeckung einer neuen Weltordnung.“

Die Welt sei an einem „Transformationspunkt“ angekommen. Eine neue Sichtweise, neue Politikkonzepte seien notwendig. Vor allem sei die Globalisierung mitzudenken, um „dem Paradox des nur-national-definierten Selbstinteresses“ zu entkommen. In einer zunehmend interdependenten und vernetzten Welt sei eine zu enge Fokussierung auf nationale Interessen „kontraproduktiv“. Mehr und mehr Probleme verlangten nach internationaler Kooperation. Ein zu eng verstandenes Selbstinteresse führt zum Zusammenbruch oder zur Verzögerung internationaler Verhandlungen über die Lösung dringender Probleme. Kaul nannte in diesem Zusammenhang etwa den Klimawandel. Aber gemeint sind auch die Finanzmärkte oder lahmgelegte internationale Institutionen. Das Puzzle muss neu zusammengesetzt werden.

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