Neues Rezept gegen Ärztemangel

Werbung
Werbung
Werbung

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl plant die Abschaffung des Turnus und die Einführung einer Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner, so wie es in mehreren europäischen Ländern Praxis ist. So soll der Arztberuf in den kommenden Jahren wieder an Attraktivität gewinnen.

Die Diskussion um die Ausbildung von Jungmedizinern ist um eine Facette reicher. Nach den Debatten rund um die Aufnahmetests, Zulassungsbeschränkungen sowie die deutschen Studierenden an den heimischen Medizin-Universitäten geht es nun um den sogenannten Turnus, den Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP), zuständig für die universitäre Ausbildung an den Hochschulen, abschaffen will. Dass die frischgebackenen Mediziner in Österreich nach dem Studium eine mehrjährige praktische Ausbildung zu absolvieren haben, mache den Arztberuf unattraktiv. Immer mehr österreichische Studierende würden nach Deutschland gehen, wo man bereits nach Abschluss der Hochschule die Approbation verliehen bekommt, befürchtet Karl.

„Österreichs Ärzte werden gezielt abgeworben, weil es in Deutschland einen Ärztemangel gibt. Da ist es ein Gebot der Stunde, an einer Attraktivierung des Ärzteberufs zu arbeiten“, findet Karl und erntet Zustimmung von Vertretern der Ärztekammer sowie dem Rektor der Medizin-Uni Wien, Wolfgang Schütz.

Gleichzeitig soll mit der Abschaffung des Turnus die Facharztausbildung zum Allgemeinmediziner geschaffen werden.

Turnus oder Facharzt?

Wer in Österreich ein Medizinstudium absolviert hat, darf noch lange nicht praktizieren, also selbstständig Patientinnen und Patienten behandeln. Es bedarf einer zusätzlichen Ausbildung, um in einem Krankenhaus oder in einer Praxis als vollwertiger Arzt eine Anstellung finden zu können.

Wer als Allgemeinmediziner in Österreich tätig werden will, muss eine mindestens dreijährige praktische Ausbildung vorweisen können, den Turnus. In diesen drei Jahren durchläuft der angehende Mediziner alle wichtigen Teildisziplinen seines Faches. Am Ausbildungsplan stehen neben Allgemeinmedizin auch Fächer wie Chirurgie, Frauenheilkunde, Interne Medizin, Kinderheilkunde, Neurologie oder Psychiatrie. Erst nach diesem Turnus und einer positiv abgelegten Prüfung erwirbt der Mediziner das „ius practicandi“, also die Approbation. Auf den Punkt gebracht: Erst mit diesem „ius practicandi“ wird der Mediziner zum eigentlichen Arzt.

Promovierte Mediziner, die beabsichtigen, sich auf einem Teilgebiet der Heilkunde zu betätigen, haben sich einer mindestens sechsjährigen praktischen Ausbildung in dem betreffenden Sonderfach sowie in den hierfür einschlägigen Nebenfächern zu unterziehen. Erst dann erhalten sie die Approbation, sofern sie nicht den Turnus vor ihrer Facharztausbildung absolviert haben.

Anders die Situation in Deutschland: Einen Turnus gibt es dort, wie übrigens in zwölf anderen europäischen Staaten, nicht. Vielmehr wird bereits während des Studiums Wert auf praktische Ausbildung gelegt.

Das Medizinstudium dauert in Deutschland mindestens zwölf Semester, also sechs Jahre. Es ist in zwei Teile gegliedert. Nach einem vorklinischen Teil, der zwei Jahre umfasst, haben Studierende einen klinischen Teil zu absolvieren, der vier Jahre in Anspruch nimmt. Das letzte Jahr des klinischen Studiums entfällt auf eine zusammenhängende praktische Ausbildung in einem Krankenhaus, dem Praktischen Jahr. Erst dann treten Medizinstudierende in Deutschland zu den letzten Prüfungen ihres Studiums – der zweiten Ärzteprüfung – an, erhalten im Anschluss daran aber die Approbation, also die uneingeschränkte Berechtigung zur Ausübung des Arztberufs.

Aber nicht nur das schnellere Erteilen einer Approbation macht für viele Mediziner, die in Österreich studiert haben, einen Wechsel ins Ausland attraktiv. Viele Turnusärzte beklagen, dass sie für Hilfsdienste eingesetzt werden und die medizinische Ausbildung auf der Strecke bliebe. Besonders die administrativen Tätigkeiten, die zusätzlich zur eigentlichen praktischen Berufsausbildung bewältigt werden müssen und anderorts von Stationssekretären erledigt werden, machen dem Nachwuchs sehr zu schaffen.

Darauf, dass die Arbeitsbedingungen für Ärzte in Österreich wieder attraktiver werden müssen, um bereits aktive Ärzte im Land zu erhalten und neue zu gewinnen, weisen Experten seit vielen Jahren hin. Die Situation in Europa wird immer prekärer, Länder wie Deutschland und Großbritannien, aber auch die skandinavischen Staaten leiden, besonders am Land, unter Ärztemangel und werben immer geschickter um gut ausgebildete Mediziner in Österreich.

So lockt beispielsweise Dänemark gezielt österreichische Mediziner nach Süddänemark und bietet ihnen die Möglichkeit, ihren Turnus dort abzuschließen. Im Jänner 2009 hat sich die erste Gruppe junger österreichischer Ärzte in den hohen Norden aufgemacht. „Die österreichischen Ärzte bekommen einen intensiven Sprachunterricht, wir helfen ihnen bei der Wohnungssuche und damit, die notwendigen Papiere zu besorgen und die unvermeidliche Bürokratie zu bewältigen“, so der Human-Resources-Konsulent eines dänischen Krankenhauses.

Österreich oder Dänemark?

Der Anfang sei schwierig gewesen, berichtet ein junges österreichisches Medizinerpärchen aus Innsbruck, das nach Südwestjütland ging. Aber mittlerweile sei sogar so viel Zeit und Energie übrig, dass die beiden ihre Hobbys wieder ausüben können. „Wir haben von allen Seiten sehr viel Hilfe bekommen“, schwärmen die Österreicher.

Doch es gibt auch Kritik an den Plänen von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl. Laut SPÖ-Gesundheitsminister Alois Stöger mache es keinen Sinn, den bisherigen Turnus in verschiedenen Spitalsabteilungen abzuschaffen. Denn eine Verschlechterung der praktischen Ausbildung sei zu befürchten, heißt es vonseiten des Ministeriums. „Ein gut ausgebildeter Arzt ist das Ziel, nicht einer, der möglichst kurz ausgebildet wurde“, so eine Sprecherin des Ministers.

Gegen eine Abschaffung des Turnus spricht sich auch die Ärztekammer für Niederösterreich aus. Eine Ausbildung zum Facharzt sei auch heute schon ohne vorherigen Turnus möglich, so Ärztekammer-Niederösterreich-Präsident Christoph Reisner, und verteidigt die dreijährige Ausbildung im Anschluss ans Studium. „Schließlich profitieren wir alle davon, da sich genau dadurch eine wesentlich umfangreichere Einsatzmöglichkeit für die ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitssystem ergibt.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung