"Neutralität ist eine Philosophie"

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Der immerwährende Streit um die Interpretation der österreichischen Neutralität eignet sich sehr gut für einen Feierstunde, sind Otto Tausig und andere Künstler überzeugt. Am 26. Oktober organisieren sie deswegen eine Matinee im Wiener Volkstheater und lassen - im Gegensatz zum offiziellen Österreich - die Neutralität zu ihrem 50. Jubiläum hoch leben.

Die Furche: Herr Tausig, ist die Neutralität nur mehr etwas für Künstler?

Otto Tausig: Warum?

Die Furche: Weil Sie und andere Künstler eine Matinee für die Neutralität am Staatsfeiertag veranstalten, das offizielle Österreich die Neutralität im Jubiläumsjahr aber ausspart.

Tausig: Umso wichtiger, dass ein paar Künstler Texte lesen, mit Szenen und Musik eine Würdigung der Neutralität auf die Bühne bringen. Und es gibt ja auch noch das Publikum, das mit uns die Neutralität feiert.

Die Furche: Was feiern - hat die Neutralität nicht ihre Pflicht erfüllt und kann jetzt gehen?

Tausig: Diese Stimmen, die sagen, die Neutralität war nur damals nötig, die nehmen die Neutralität als einen Schmäh. Für mich war die Neutralität nie ein Schmäh, für mich ist die Neutralität ein großer Wert, den wir uns um jeden Preis erhalten, ans Herz drücken und bewahren sollen.

Die Furche: Heute wird der Begriff Solidarität gegen die Neutralität ausgespielt - sind neutrale Staaten unter den veränderten politischen Bedingungen Trittbrettfahrer, die auf Kosten anderer in Sicherheit leben?

Tausig: Ich bin kein absoluter Pazifist, dem Hitler hat man auch nicht mit gutem Zureden Paroli bieten können. Aber Krieg ist der letzte Ausweg, Krieg ist etwas so Grauenhaftes, dass er nur in Notwehrsituationen berechtigt ist. Wenn wir überfallen werden, dann müssen und dürfen wir uns wehren; und wenn unser Nachbar überfallen wird, dann sollen wir ihm beistehen. Aber wir sollen das entscheiden können und nicht von anderen dazu verpflichtet werden.

Die Furche: Österreich hat sich durch Verfassungsänderungen aber schon zur Teilnahme an vielen militärischen Aufgaben verpflichtet ...

Tausig: Ja, die Neutralität ist leider unterhöhlt, aber was noch da ist, sollten wir doch um jeden Preis bewahren.

Die Furche: Wie die Neutralität bewahren, von der Juristen sagen, dass es sie gar nicht mehr gibt?

Tausig: Wenn Sie so wollen, ist die Neutralität keine juristisch abgesicherte Sache, aber sie ist eine Philosophie, sie ist eine Politik, sie ist ein Wunsch ... Das gibt es ja öfter: Österreich ist sehr stolz auf die Sozialpartnerschaft - die ist auch in keinem Gesetz niedergeschrieben, juristisch gibt es die ja dann auch gar nicht. Trotzdem gibt es die Sozialpartnerschaft. Und die Neutralität gibt es vom Gesetz her jetzt fast auch nicht mehr, aber wie auch immer, es gibt sie trotzdem: Und zwar dann, wenn wir für die Neutralität einstehen, wenn wir sagen, wir wollen nicht an jedem Krieg teilnehmen müssen; das heißt ja nicht, dass wir nicht solidarisch sein können, aber das müssen wir von Fall zu Fall entscheiden dürfen. Und prinzipiell sind wir eben gegen den Krieg, gegen jeden Krieg. Und wenn es uns gelingt, das aufrecht zu erhalten, wird sich jede Regierung hüten, ihre Wähler zu verschrecken, indem sie die Neutralität einfach in den Wind schreibt.

Die Furche: Sie, Herr Tausig, waren in Ihrem Leben nie neutral, Sie haben Position ergriffen, Demonstrationen, Proteste organisiert ...

Tausig: ... das geht ja in die selbe Richtung, das war ja auch immer eine Verteidigung unserer Neutralität. Natürlich bin ich dagegen, wenn wir Waffen erzeugen und liefern und mit dem Tod von Menschen Geschäfte machen. Wenn in der Politik noch ein Funken Moral ist, dann muss man gegen alle Geschäfte mit dem Tod Einspruch erheben.

Die Furche: Dann liefert halt ein anderes Land diese Waffen, könnte ein um Arbeitsplätze raufender Politiker sich verteidigen.

Tausig: Das hat man uns immer gesagt, und ich habe geantwortet: Dann müssen halt die Menschen dort in diesem Land dagegen aufstehen; ich kann nur immer dort aufstehen, wo ich bin, aber Geschäfte mit dem Tod müssen überall bekämpft werden.

Die Furche: Ist dieses Jubiläumsjahr für Sie ein Anlass zum Feiern?

Tausig: Gewiss, der Hitler ist nicht mehr da, wir haben eine demokratische Regierung und können wählen; wenn wir das Falsche wählen, dann ist das auch unsere Sache, aber wir können wählen. Ich selber brauche kein Gedankenjahr, ich lebe mit meiner Vergangenheit: Ich war ein Flüchtling vom Hitler, das werde ich nicht vergessen; meine Großeltern sind umgebracht worden, der Großteil meiner Familie ist umgebracht worden, das kann ich nicht vergessen. Wenn das Gedankenjahr dazu dient, dass diese Zeiten nie wieder kommen, habe ich nichts dagegen. Wenn es aber nur dazu dient, alles schön zu reden, dann höre ich gar nicht zu.

Die Furche: Ihre Autobiografie heißt "Kasperl, Kummerl, Jud" - mit dem Wahlerfolg der Kommunisten in der Steiermark sind die "Kummerl" wieder da - freut Sie das?

Tausig: Mein Leben ist Kampf gegen Armut, immer schon, deswegen war ich ein Kummerl, deswegen bin ich heute keiner mehr. Der Kommunismus ist kein praktischer Weg, um Armut zu bekämpfen. Ich gebe heute meine Gagen für Projekte - das sind keine Almosen, das ist eine Unterstützung für Menschen, die sich damit auf eigene Beine stellen können. So weit ich weiß, gibt der Ernest Kaltenegger auch einen Teil seines Einkommens her, und darum ist er populär.

Die Furche: Sind diese Wahlerfolge für Sie jetzt ein Erfolg des Kommunismus oder des Ernest Kaltenegger allein?

Tausig: Wieweit das jetzt wieder ein Kampf für ein System ist, das sich als nicht praktikabel erwiesen hat, weiß ich nicht. Die Grundidee des Kommunismus, dass die Menschen gleich sein sollen, dass Armut bekämpft werden soll, die gilt nach wie vor. In dem Sinn, bin ich immer noch ein Kummerl, aber nur in diesem Sinn. Der Kommunismus hat zu schrecklichen Dingen geführt. Das ist immer so, wenn man glaubt, man besitzt die ganze Wahrheit. Die Wahrheit besitzt man nicht, wir können uns ihr immer nur annähern.

Die Furche: Und was meinen Sie: Wie nahe sind wir der Wahrheit?

Tausig: Sehr weit davon entfernt - es ist gespenstisch, was wir heute sehen: Die Flucht aus New Orleans ist ja nicht nur eine Naturerscheinung. Da flüchten Tausende Menschen in ihren Autos und kommen nicht mehr weiter. Wir müssten in diesem Bild ja sehen, dass wir eine Situation wie bei Sodom und Gomorrha haben: Wir alle kommen nicht mehr weiter; wir können gar nicht mehr flüchten, weil wir diese Welt geschaffen haben. Eines Tages werden wir vielleicht einsehen, dass wir auf Dinge verzichten müssen zu Gunsten einer größeren Gerechtigkeit. Dann wird vielleicht eine solidarische Gesellschaft kommen - ich werde es nicht erleben, aber vielleicht erkennen die Menschen doch: Dieses System, das nur auf Mehr-Wollen basiert, ist nichts.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

50 JAHRE NEUTRALITÄT

Eine Matinee im Wiener Volkstheater,

26. Oktober, 11 Uhr

Eine Benefizveranstaltung zu Gunsten ehemaliger Kindersoldaten in Liberia, ein Projekt des Entwicklungshilfeklubs.

Kasperl, Kummerl, Jud

Im Garten von Otto Tausigs Wiener Wohnung steht eine wunderschön modellierte metallene Rose - die "Friedensrose Waldhausen". Im Mai dieses Jahres hat sie Tausig für sein Engagement für den "Entwicklungshilfeklub" verliehen

bekommen. Seit Jahren setzt er seine gesamten Gagen zur Unterstützung von Entwicklungshilfe-Projekten ein: "Das ist der einzige Zweck meiner Auftritte." Der Wiener Tausig musste wegen seiner jüdischen Abstammung 1939 mit 16 Jahren nach England emigrieren. Dort war er für fast zwei Jahre in einem Internierungslager. In dieser Zeit wurde er Kommunist, "und bereue es bis heute nicht, auch wenn ich jetzt nichts mehr mit der kp zu tun haben möchte. In dieser Zeit aber war es das einzig Richtige. Warum? Die Kommunisten waren die aktivsten Antinazis und sie waren konsequent für eine Österreichische Republik."

Wieder in Österreich studierte Tausig am Reinhardt-Seminar und war ab 1948 Schauspieler, Regisseur und Chefdramaturg am "Neuen Theater in der Scala". Es folgten Engagements in Deutschland und der Schweiz. Von 1970 bis 1983 war Tausig Schauspieler und Regisseur am Burgtheater, seither ist er wieder frei tätig und gastierte an allen großen Bühnen im deutschsprachigen Raum.

OTTO TAUSIG: KASPERL, KUMMERL, JUD - eine Lebensgeschichte

Nach seiner Erzählung aufgeschrieben von Inge Fasan

Mandelbaum Verlag, Wien 2005, 208 Seiten, geb., e 24,90

Wenn Sie das Buch über den Entwicklungshilfeklub bestellen, kommt dieser Betrag zur Gänze indischen Kindern,

die in Steinbrüchen arbeiten müssen, zugute.

Bestellungen: Tel.: 01 / 720 51 50 oder E-Mail: office@eh-klub.at

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