Nicht der Vater, wohl eher ein Mitläufer

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Max Weber beschrieb Calvin in „Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus“ (1904/20) als Vater dieses Wirtschaftsmodells. Achtet man auf die Entwicklungen zu Calvins Lebzeiten, wird klar: Weber übertrieb.

„Aber Juristen und Kaufleute und Händler und Krämer frönen mehr der Habsucht als arme Arbeiter. Mit ihnen hat es die Bewandtnis: Eben noch sind sie arm, nun sind sie reich, wegen des Unrechts das sie tun.“ So schrieb es der englische Theologe John Wyclif im 14. Jahrhundert in seiner Abhandlung über die sieben Todsünden. Die Habgier, das Bestreben, mehr haben zu wollen, als einem zusteht, war eine von ihnen. Und die Händler und Kaufleuten galten als besonders stark von dieser Sünde infiziert. Konnte ein Händler mit einem guten Geschäft viel Geld einnehmen, so machte er sich in den Augen seiner Umgebung verdächtig.

Gesellschaft wird beweglich

Die Wirtschaft war im Mittelalter „eingebettet“ in eine Gesellschaft, die – zumindest ihrem Anspruch nach – von religiösen Normen bestimmt war: Es gab keine unabhängige Wirtschaftslehre, sondern nur eine christliche Ethik, die für die Wirtschaft festlegte, dass keine Zinsen genommen werden durften, und dass eine Ware zu einem angemessenen Preis verkauft werden sollte.

Dies änderte sich im Verlauf von knapp drei Jahrhunderten gründlich: Die Wirtschaft wurde mehr und mehr zu einem autonomen Bereich der Gesellschaft, der nach eigenen Regeln funktionieren sollte. Während im Mittelalter diejenigen, die große Gewinne erzielten, als Habgierige galten, so waren diese nun die Motoren des Wachstums und Fortschritts. Die Gesellschaft war nicht mehr statisch wie im Mittelalter. Die Wirtschaft wuchs und veränderte damit auch die Sozialstrukturen. Die Annahme, dass der wirtschaftliche Fortschritt allen zugutekomme, ersetzte die ethische Regulierung der Wirtschaft. Das Symbol dafür ist die „unsichtbare Hand“ von Adam Smith, dem Vater der modernen Nationalökonomie. Danach kommt die Selbstsucht der Reichen über die wirtschaftlichen Prozesse letztlich allen zugute, so als „wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre“. Aus der verachtenswerten Sünde ist eine nützliche Tugend geworden.

Johannes Calvin (1509–64) war in diesem Szenario eine Figur des Übergangs. Genf, die Stadt, in der Calvin wirkte, war eine Handelsstadt. Calvin anerkannte die Notwendigkeit der Kreditvergabe und damit auch der Zinsnahme. Das alte Argument, man könne keinen Zins nehmen, weil doch Geld unfruchtbar sei und kein Geld hervorbringe, leuchtete ihm nicht mehr ein. Calvin dachte vom Darlehensnehmer aus, der Geld brauchte und damit wirtschaftete, also aus einer Investition einen Gewinn erzielte, mit dem er den Zins rückzahlen konnte. Trotzdem blieb Calvin bei der mittelalterlichen Perspektive, wonach das ganze Leben von Gottes Gebot bestimmt werden sollte: Auch wenn es zum Zinsnehmen seiner Meinung nach keinen eindeutigen Schriftbeleg gebe, so solle man doch nach der Liebe und Billigkeit entscheiden: Dass man so handle, wie man selber behandelt werden wolle. Und das heißt vor allem, dass man keinen Zins von Bedürftigen nehmen soll, die Geld leihen, weil sie in Not geraten sind.

Calvin im Trend

Anders, als es die Legende will, hat Calvin damit nicht dem Kapitalismus zum Durchbruch verholfen. Schon lange vor ihm gab es Banken und Geldverleiher, die auf die eine oder andere Art gewinnorientierte Geldgeschäfte betrieben. Und mehr und mehr hatte sich auch die Schultheologie des Mittelalters auf Ausnahmen vom strikten Zinsverbot verständigt, ebenso revidierten humanistische Gelehrte zu Calvins Zeit das alte Zinsverbot der Kirchen. Calvin lag im Trend.

Was Calvin freilich von der Schultheologie unterschied: Er predigte einen starken Vorsehungsglauben. Der war eine Konsequenz seiner Rechfertigungslehre und seiner Gottesvorstellung. Gottes Gnade ist es, nach der Lehre der Reformatoren, die die Menschen rettet, nicht das sittliche Handeln der Menschen. Also kann der Mensch, so folgerte Calvin, nichts tun, was Gott nicht schon vorher geordnet hat. Gott hat die Menschen zum Heil oder eben zum Unheil vorherbestimmt und er regiert auch das Handeln der Menschen, der Seligen wie der Verlorenen. Für Zufall gibt es keinen Raum, alle Veränderungen in der Welt sind verborgene Wirkungen von Gottes Hand.

Ohne Reue reich

Die Folge dieses Konzeptes kann aber nichts anderes sein, als dass alles Geschehen letztlich als Gottes Wille gedeutet wird: Unbill wird als Strafe Gottes, gutes Geschick – und damit eben auch wirtschaftlicher Erfolg – wird als Segen Gottes gedeutet. Dieser Vorsehungsglaube unterscheidet sich zwar von der „unsichtbaren Hand“ von Adam Smith. Aber jedem Glaube an einen Gott, der alles regelt, wohnt eine Tendenz zur Rechtfertigung des Faktischen inne: So wie es ist, ist es von Gott gewollt. So konnten Calvins Nachfolger mit gutem Gewissen reich werden und sich vorbehaltlos der neuen Zeit verschreiben.

Eine Textsammlung zu Calvin und

Kapitalismus findet sich unter: www.reformiert-info.de

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