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Nicht für Durdisdinittskonsumenten

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KATHOLISCHE KIRCHE UND SCHOLASTISCHES NATURRECHT. Von August M. Knoll. Europa-Verlag, Wien-Frankhirt a. M. 144 Seiten, davon 89 Textseiten und 45 Seiten Anmerkungen. Preis 48 S.

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KATHOLISCHE KIRCHE UND SCHOLASTISCHES NATURRECHT. Von August M. Knoll. Europa-Verlag, Wien-Frankhirt a. M. 144 Seiten, davon 89 Textseiten und 45 Seiten Anmerkungen. Preis 48 S.

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Im Europa-Verlag, Wien—Frankfurt am Main—Zürich, erscheint eine Buchreihe unter dem Titel „Europäische Perspektiven“, die — nach den Worten der Verlagsankündigung — „nicht für den literarischen Durchschnittskonsumenten bestimmt“ ist. Da in unserem, häufig zu Unrecht so bezeichneten Massenzeitalter der Drang, nicht zum Durchschnitt zu gehören, besonders ausgeprägt ist, kann diesen „Paperbacks für Anspruchsvolle“ ein großer Absatz vorausgesagt werden.

Von den bisher erschienenen Bänden hat ein Werk tatsächlich 6chon überdurchschnittliches Aufsehen erregt: Knolls „Katholische Kirche und Scholastisches Naturrecht.“ Eine ins einzelne gehende Auseinandersetzung mit dieser Schrift müßte den Rahmen einer Buchbesprechung bei weitem übersteigen. Es wird allerdings notwendig sein, daß über die, vom Autor offensichtlich als Herausforderung aufgestellten Thesen, die Diskussion weiter fortgesetzt wird. Im Rahmen dieser Rezension sei zunächst nur auf das Wesentlichste Bezug genommen.

Der Verfasser geht an sein Thema als Soziologe und zugleich ausgestattet mit umfangreichem historischem Material heran. Wer dies tut, muß sich im klaren sein, daß er: erstens, mit soziologischen Methoden nur das Menschliche an der Kirche heraussiebt, ohne damit derem Wesen voll gerecht werden zu können, und daß, zweitens, mit historischem Material nicht philosophische Fragen beantwortet werden können. Wollte man selbst eine ganze Bibliothek darüber schreiben, wie häufig in der Weltgeschichte gegen elementarste Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen wurde, so hätte man doch damit nicht das geringste zur Beantwortung der Kernfrage — ob es nämlich allgemein-gültige, dem Menschen schon von Natur aus einleuchtende Gerechtigkeitsprinzipien gibt — geleistet. Die Beachtung dieser Grundsätze hindert natürlich nicht daran, die Kirche auch in ihren menschlichen Erscheinungsformen wissenschaftlich — also insbesondere wissenssoziologisch und ideologiekritisch — zu betrachten, und natürlich auch nicht daran, Fehlleistungen der scholastischen Natur-rechtsausdeutung historisch-wissenschaftlich zu erfassen. Ein Autor, der sich dieser sicherlich undankbaren Aufgabe unterzieht, muß nur bei seiner Darstellung darauf achten, die Akzente so zu setzen, daß die angeführten Einschränkungen, die sich aus dem Blickpunkt solcher Betrachtungsweise notwendig ergeben, klar zum Ausdruck kommen. Gerade das aber ist Prof. Knoll zuwenig gelungen, und so weiß der Leser häufig nicht, wo der Hauptakzent liegt; beispielsweise, ob die Betonung auf den folgenden Ausführungen ruht; „Die Kirche hat eben als religiöse Heilsanstalt zur Aufgabe .Seelsorge', die Verkündung des Wortes ... und sie stellt sich zu diesem Zweck auf den Boden jeder Ordnung, und ihre Einstellung dazu ist notgedrungen opportunistisch, nicht revolutionär. Sie ist Schutz- und Wandschirm jeder Ordnung“ (Seite 16), oder ob der Verfasser grundsätzlich folgendes anerkannt wissen möchte: „Und die Kirche tritt — in thesi auf jeden Fall, in praxi oft nicht entschieden genug — in Aktion, wo ein König oder ein Untertan, ein Herr oder ein Sklave, ein Aristokrat oder ein Leibeigener, ein Bischof oder ein Laie, ein Gatte oder eine Gattin, ein Vater oder eine Mutter, ein Sohn oder eine Tochter, ein Jude oder ein NichtJude, ein Weißer oder ein Neger, ein Unternehmer oder ein Arbeiter, ein Bürokrat oder ein Techniker, ein Sowjet-kommissär oder ein Kolchosbauer, ein Universitätsprofessor oder ein Student usw., je in ihren Beziehungsgeflechten die Treue zum Menschen, die Ehrfurcht vor dem Menschen schlechthin, himmelschreiend verletzten“ (Seite 17).

Der Autor geht nun aber auch innerhalb seiner Methoden, deren Begrenztheit er ohnedies schon zu wenig deutlich aufscheinen läßt, von einer viel zu engen Basis aus. Er behauptet: „Kirchliche Entscheidungen fällt nur die Kirche als Hierarchie. Soziale Rundschreiben zeichnen Päpste, soziale Kundgebungen in den Diözesen zeichnen Bischöfe“ (Seite 9). „Die kirchliche Soziallehre, sofern sie das Wort Gottes außerreligiös, politisch, sozial interpretiert, ist klerusbedingt“ (Seite 79). Anderseits schreibt Professor Knoll aber auch: „Jede Sozialenzyklika der Kirche, ehe sie noch im Vatikan überlegt und entworfen wird, kann daher von vorneherein bestimmt und berechnet werden von jedem Kenner der .kirchlichen Soziallehre', das heißt, der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche, wie auch der jeweiligen Struktur von Gesellschaft und Wirtschaft und nicht zuletzt der hierin eingebetteten Finanzkammern der Kirche“ (Seite 61). Damit aber sagt der Autor richtig, daß die kirchliche Soziallehre nichts anderes ist als die Anwendung der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche auf die jeweilige Struktur von Gesellschaft und Wirtschaft. Das hat bereits Pius XI. klar ausgedrückt, wobei er gleichzeitig betont, daß der Ausbau diesei katholischen Soziallehre Aufgabe des Klerus u n d der Laien ist. Ein Versuch, die interessenbeeinflußten, ideologischen Seite dieser Soziallehre — die zweifellos auch vorhanden sind — nur aus der „Klerusbedingtheit“ zu erklären, muß daher schor wegen des falschen Ansatzpunktes in die Irre führen.

Ebenso unzulässig ist auch die Einschränkung der kirchlichen Wirksamkeiten auf einen rein religiösen Bereich. Professor Knoll schreibt einerseits: „Nur dies ist aber Christus ... .Agnus Dei', Lamm

der Welt. Sein Kommen und Dasein lag in dieser Aufgabe allein, nicht in der Aufgabe, Wissenschaft und Kunst, Politik und Wirtschaft zu betreiben“ (Seite 61). Anderseits anerkennt der Verfasser: „Umgekehrt aber führt .Spartacus' ohne .Paulus', ohne den Geist des Christentums, die Welt — in neue Ketten“ (Seite 89). Wollte die Kirche und mit ihr die Katholiken jemals darauf verzichten, die Prinzipien ihrer Glaubens- und Sittenlehre im profanen Bereich, insbesondere im Bereich der menschlichen Gesellschaft, zu verwirklichen, so bliebe es tatsächlich bei einem leeren Gerede. Dann, aber nur dann, hätte Prof. Knoll mit seiner Formulierung recht: „So ist das scholastische Naturrecht... kein Ordnungsgrundriß für jedes System im Sinne einer konstruktiven Mitgift. .. sondern — ein leeres Gerede und Gehäuse, in dem jedes System Platz finden kann“ (Seite 55).

Schon diese wenigen Beispiele sollen zeigen, daß es der Autor auf Grund seiner Schreibweise wahrscheinlich nicht wird verhindern können, daß er in Zukunft von Kräften und Institutionen als Gewährsmann zitiert werden wird, in deren Bereich er bisher geistig nicht beheimatet war. Zugleich hat er die Erfüllung einer Aufgabe der katholischen Soziallehre bedeutend erschwert, nämlich der Menschheit und insbesondere der sozialwissenschaftlichen Intelligenz folgendes klar zu machen: In der katholischen Gesellschaftslehre sind zwei Bestandteile enthalten: ein Bestand von Vernunft Wahrheiten, die auch dem Nichtchristen zugänglich sind, und die OffenbarungsWahrheiten im strengen Sinn des Wortes. „Eine große Zahl reiner Vernunftwahrheiten ruht so in der Glaubenshinterlage der Kirche, indem 6ie entweder gleichfalls förmlich in den Offenbarungsquellen sich ausgesprochen finden oder so eng mit eigentlichen Offen-barüngswahrheiten zusammenhängen, daß sie durch diesen Zusamenhang jedem Zweifel entrückt und vollkommen sicher verbürgt sind. Zu diesem Kreise von Wahrheiten gehören gerade die bedeutsamsten, die Sinndeutung der gesellschaftlichen Wesensanlage des Menschen und des menschlichen Gesellschaftslebens betreffende Einsichten. Das will besagen: das menschliche Erkenntnisvermögen kann sie unmittelbar aus den ihm zugänglichen Erkenntnisquellen, den im Bereich der Tatsachenwelt ihm vorliegenden Gegebenheiten, einwandfrei und sicher erheben. Dadurch aber, daß sie zugleich auch in der Offenbarung enthalten sind oder mindestens einschlußweise oder mittelbar durch die Offenbarung und die Glaubensverkündigung der Kirche mitverbürgt werden, sind sie zunächst einmal im Kreise der Bekenner des Christentums nicht Sondergut der erleuchtetsten philosophischen Geister, sondern Gemeingut der Gläubigen“ (Oswald von Nell-Breunine SI.).

Es ist sehr bedauerlich, daß im Schatten der oben besprochenen Broschüre ein anderer Band der genannten Buchreihe erschienen ist, der eingehendes Studium und Diskussion auf breitester Grundlage verdienen würde, nämlich das Buch von Johannes Kleinhappl, „Arbeit, Pflicht und Recht“ (112 Seiten, Paperback, Preis 48 S).

Mit wissenschaftlicher Nüchternheit und zwingender Logik geht der Autor daran, Fragen der Wirtschaftsethik vom Angelpunkt der „Arbeit“ her zu durchleuchten. „Die Arbeit ist die erste und wichtigste aller wirtschaftlichen Handlungen des Menschen. Die Arbeit, genauer gesagt, der arbeitende Mensch, ist die einzige und alleinige Hauptwirkursache aller wirtschaftlichen Güter.“ Von diesem Standpunkt aus entwickelt der Verfasser Schlußfolgerungen für die Eigentums- und Einkommensordnung. Wenn man auch bezweifeln muß, daß diese Schlußfolgerungen eine praktikable Wirtschaftsethik ergeben, so wäre es doch sehr wünschenswert, daß sich vor allem die Träger der katholischen Soziallehre mit dieser kleinen aber inhaltsreichen Schrift eingehend auseinandersetzen.

Sehr anregend sind schließlich auch zwei weitere Neuerscheinungen der Buchreihe „Europäische Perspektiven“ des Europa-Verlages: Josef Hindels, „Hitler war kein Zufall“ (20Ö Seiten, Paperback, Preis 68 S), und Joan Robinson, „Über Keynes hinaus — Ausgewählte ökonomische Essays“ (144 Seiten, Paperback. Preis 52 S).

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