Nicht mehr im Untergrund

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Auch das ist Brasilien, 500 Jahre nach der Christianisierung: Wenn da ein "heiliger Vater" das Orakel spricht, dann ist man irgendwo zwischen Afrika und Südamerika.

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Auch das ist Brasilien, 500 Jahre nach der Christianisierung: Wenn da ein "heiliger Vater" das Orakel spricht, dann ist man irgendwo zwischen Afrika und Südamerika.

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Die Konkurrenz am Markt der Religionen ist auch in Brasilien größer geworden. Nur noch zwei Drittel der Bewohner gehören der katholischen Kirche an. "Jesus lebt"- Bewegungen und afro-brasilianische Kulte sprechen die Menschen dort an, wo die Kirche oftmals versagt hat: auf der emotionalen Ebene.

"Anbetung der Natur" Das Taxi bringt uns in eine "Candomble" am Rande der Stadt. Uns - das sind vier österreichische Journalistinnen und Journalisten, die sich auf einer Projektreise des ÖED befinden und sich im Zuge dessen auch mit den in Bahia weit verbreiteten afro-brasilianischen Kulten beschäftigen. 2000 "Terreiros" - Kulthäuser dieser afro-brasilianischen Tradition - gibt es in Salvador, 174 katholische Kirchen nehmen sich demgegenüber recht bescheiden aus.

Wir sind schon gut eine halbe Stunde auf den Straßen von Salvador da Bahia unterwegs und kommen in jene Stadtrandviertel, die vor allem von Nicht-Weißen bewohnt sind. Wir biegen in eine Sackgasse, sind endlich da und vereinbaren mit dem Taxifahrer, dass er hier auf uns warten soll. Durch ein unscheinbares Gittertor kommen wir in einen kleinen Vorhof: ein Brunnen mit einer in Gold getauchten, nixenförmigen Statue in der Mitte vermittelt das Gefühl, hier bereits empfangen zu werden.

Noch ein paar Stufen abwärts, dann stehen wir vor dem Eingang des Versammlungszentrums. Der Eingang ist links und rechts mit zwei bedrohlich und zugleich beschützend wirkenden männlichen Statuen verziert, die in der Hand ein Schwert halten. Dote Pai Amilton Sacramento, Hausherr des Terreiro Vodunzo, begrüßt uns. Im Inneren des Hauses befindet sich ein großer Versammlungsraum.

Dort üben linker Hand eine Gruppe von Burschen und Mädchen Samba, rechter Hand sieht man die Jüngeren anmutig und kraftfvoll sich bewegend, ihre "Capoeira"-Techniken verfeinern.

Wir folgen Dote Amilton, der in diessem Terreiro als "heiliger Vater" angesprochen wird, in einen Raum, der aussieht wie ein gewöhnliches Wohnzimmer. Wir setzen uns, die Fragestunde kann beginnen.

Candomble heisst - so übersetzt dies Dote Amilton - "Anbetung der Natur". Luft, Sonne, Meer, Feuer, unberührte Landschaft sind Elemente sakraler Verehrung. Im Einklang mit der Natur zu leben ist eines der Ziele, die Anhänger von Candombles verfolgen. Im dicht verbauten Gebiet einer brasilianischen Stadt gestaltet sich das allerdings schwieriger als in der unendlichen Weite des westafrikanischen Ursprungslandes. Im Yorubaland (Nigeria) liegen großteils die Wurzeln dieser religiösen Tradition, die von den Sklaven aus Afrika "heimlich" in die neue Heimat, den Nordosten Brasiliens, importiert wurden.

Verborgene Religion An der Oberfläche christianisiert haben sich die afrikanischen Gottheiten bei vielen schwarzen Brasilianern im Verborgenen gehalten und werden von mehreren Millionen bis heute verehrt. Da die Verehrung "heidnischer" Götter von der katholischen Kirche unter Androhung schärfster Strafen verboten war, wurde man sozusagen im Untergrund aktiv: Während die Heiligen der katholischen Kirche als Statuen sichtbar, zum Beispiel am Tisch platziert wurden, positionierte man die dem Zuständigkeitsbereich der Heiligen entsprechenden Statuen der afrikanischen Gottheiten unter dem Tisch.

Die afrikanischen Gottheiten tragen Namen wie "Oxum", die Flussgöttin oder "Ogun", der Herr von Eisen und Krieg oder "Oxala", der Herr der Götter, der dem Geist Jesu Christi entspricht beziehungsweise von manchen für Jesus Christus gehalten wird. So war man jahrhundertelang "Diener zweier Herren", ein Faktum, das nur von Vertretern der katholischen Kirche als problematisch empfunden wurde und bis zum heutigen Tag für Konflikte sorgt.

Davon weiß auch Dom Gilio Felicio, der erste Afrobrasilianer, der 1998 zum Weihbischof geweiht wurde, ein Lied zu singen. Die Teilnahme an Versammlungen von Candomble ist und bleibt in der katholischen Kirche unerwünscht. Der schwarze Bischof Gilio geriet daher schon mehrmals mit seinen Amtsbrüdern in Streit. Zwar unternehmen Vertreter der katholischen Kirche in jüngster Vergangenheit zaghafte Schritte mit anderen Religionen ins Gespräch zu kommen, berichtet Dom Gilio, aber die Umsetzung von der Theorie in die Praxis sei sehr schwierig. Dom Gilio war auch der erste Bischof, der in San Salvador vor zwei Jahren begonnen hat, mit Candombles zusammen arbeiten. Seitdem ist der schwarze Bischof, der seinen afrikanischen Wurzeln nachspüren will, bei seinen Kollegen schon des Öfteren in Ungnade gefallen, er aber will seine Arbeit fortsetzen.

Zurück zu Dote Amilton und den afro-brasilianischen Gottheiten, "Orixas" genannt. Uns interessiert das Glaubenssystem, die Sicht der Welt, das Warum und Wozu des Lebens. Die Antwort kommt schnell: "Wir leben, um diese Gottheiten anzubeten. Jeder Mensch ist Teil der Menschheitsfamilie. Wir haben eine ganzheitliche Sichtweise: wenn die Reichen nicht nur an die eigenen Kinder denken, dann würde es keinen Hunger geben", erzählt Dote Amilton. "Wir leben, wir vermehren uns, wir sterben. Und nach dem Tod sind wir alle schwarz. Jeder hat sein eigenes Schicksal. Die Gottheiten informieren uns über die Vorsehung. Das Orakel gibt uns Hilfestellungen, aber es geht nicht darum die Zukunft zu erforschen. Gott bestimmt die Vorsehung." Der Glaube an die Vorherbestimmung des Lebens ist ein wesentliches Element dieser religiösen Tradition. Die eigene Freiheit, die freie Willensausübung sieht Dote Amilton dadurch nicht eingeschränkt.

Die anschließende Diskussion darüber dreht sich im Kreis, denn der Mensch als Individuum, der sich seines eigenes Verstandes bedienen und die Fesseln der Religion abwerfen soll, steht hier einfach nicht zur Diskussion. Möglicherweise auch eine Form des westlichen Imperialismus: das Denkmodell der christlich-jüdischen Tradition des Abendlandes über afro-brasilianische Kulte stülpen und daran messen zu wollen.

Angst der Weißen Als geistigen Kindern eben dieser Tradition mangelt es uns an Instrumentarien, mit fatalistischen Zügen wie in den von Candomble geschilderten adäquat umgehen zu können. Dote Amilton ist auch das vertraut: "Die katholische Kirche in Brasilien akzeptiert diese Candombles nicht. Aber wir haben nichts gegen andere Religionen, auch nichts gegen die katholische Kirche. Die Kirche hat uns sogar geholfen unsere Kultur zu bewahren, zu entwicklen." Dote Amilton lächelt und fügt hinzu: "Sie weiß es nur nicht."

Der Einfluss der Kirche ist in den letzten Jahren geschwunden, wer heute zu einer Candomble gehört, hat offiziell nichts mehr zu befürchten. Wenn sich auch die Angst vor Candomble in großen Teilen der nichtschwarzen Bevölkerung gehalten hat und die unterschiedlichen religiösen Praktiken wie Weissagung durch Orakel, rituelle Tänze und Tieropferungen von außen betrachtet seltsam anmuten.

Als uns der Taxifahrer nach zwei Stunden wieder in Empfang nimmt, sind seine Augen vor Furcht weit aufgerissen. Während der Fahrt tischt er uns ein Schauermärchen nach dem anderen auf, die allesamt mehr an blutrünstige Voodoo-Praktiken erinnern als an das, was uns der "heilige Vater" Dote Amilton gerade erzählt hat. Diese Vielzahl, dieses Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen und religiöser Traditionen ist genauso typisch für Brasilien wie unser nächstes Ziel, mit dem der Abend in Salvador da Bahia ausklingt: das Konzert einer Sambagruppe am Hauptplatz, das die Stadt bis spät in die Nacht hinein mit schwungvollen Rhythmen erfüllt und Menschen jeglichen Alters zum Tanz animiert.

Die Autorin ist Redakteurin der Linzer Kirchenzeitung.

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