Nicht selbstverständlich

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Die Kirchen Österreichs begehen am 17. Jänner den Tag des Judentums. Einmal mehr ein Anlass, über die Lebensmöglichkeiten und deren Behinderungen für Juden in Europa und Österreich nachzudenken.

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Die Kirchen Österreichs begehen am 17. Jänner den Tag des Judentums. Einmal mehr ein Anlass, über die Lebensmöglichkeiten und deren Behinderungen für Juden in Europa und Österreich nachzudenken.

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Am 17. Jänner begehen die christlichen Kirchen Österreichs wieder den "Tag des Judentums". Dieser Gedenktag am Vorabend der alljährlichen "Gebetswoche für die Einheit der Christen" will die Verbundenheit der Christen mit dem jüdischen Volk in Erinnerung rufen und aufs Neue die jedenfalls nach der Schoa grundlegend veränderte, auch christlich-theologische Sicht aufs Judentum besiegeln. Österreichweit finden ab dem 16. Jänner verschiedene Veranstaltungen zum "Tag des Judentums" statt, auf der Webseite des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Verständigung" (www.christenundjuden.org) sind diese aufgelistet.

Ein wesentliches Anliegen des "Tages des Judentums" ist auch, für jüdisches Leben und Kultur ein Zeichen zu setzen: Gerade Christen wollen sich heute als Anwälte für jüdische Lebensmöglichkeiten in Europa verstehen. Zwei Bücher setzen sich mit den - durchaus fragilen -Rahmenbedingungen dabei auseinander.

Antisemitismus ist Alltag

Der Band "Schonzeit vorbei" von Juna Grossmann ist für den Leser mehr als ernüchternd. Grossmann, Kulturmanagerin und jüdische Bloggerin in Berlin (irgendwiejuedisch.com), schreibt in dem kleinen Buch über das "Leben mit dem täglichen Antisemitismus", und was sie dazu berichtet, zeigt, dass auch 70 Jahre nach der Schoa der Dämon der Judenfeindschaft mitnichten verschwunden ist. Die Autorin, 1976 in Ostberlin geboren, erlebte schon Anfang der 2000er Jahre als Host im Jüdischen Museum Berlin, wie sie sich gegenüber Besuchern rechtfertigen musste: Grossmann beschreibt da etwa "zwei weißhaarige Herren einer katholischen bayerischen Reisegruppe", die sie fragten:"Warum kommen all die Juden zu uns? Sie haben doch jetzt ihre Heimat, wo sie hingehen können?"

Dass Grossmanns Heimat Berlin ist, war diesen Besuchern völlig unverständlich, und die Bloggerin kann noch viele andere Beispiele berichten, wie eine deutsche Jüdin fast selbstverständlich als Israelin betrachtet wird, obwohl sie vielleicht gar keine wirkliche Beziehung zu Israel hat.

Das Beispiel zeigt, wie verstockt die deutsche Volksseele in Bezug auf das Judentum heute noch sein kann, und was Grossmann sonst noch alles aus den 15 Jahren seither berichtet, macht betroffen: Juden, die die Mesusa, die kleine Schriftrolle mit dem Sch'ma Jisrael, dem jüdischen Glaubensbekenntnis, die traditionell an den Türen jüdischer Häuser und Wohnungen angebracht sind, entfernen, damit niemand merkt, dass da Juden wohnen - ein Zeichen, was mitten in Europa schon wieder möglich ist.

Das Bild von den auf Koffern sitzenden Juden ist auch in Grossmanns Kopf präsent -immer noch, und ganz real. Das Buch "Schonzeit vorbei" rüttelt auf und muss als Weckruf verstanden werden, dass die Geister der Vergangenheit immer noch -oder schon wieder - die Gegenwart vergiften.

Was (junge) Juden Europas denken Komplementär zu den düsteren, aber beileibe nicht ausschließlich hoffnungslosen Befunden von Juna Grossmann kann man den Sammelband "Weil ich hier leben will " lesen. Der vom liberalen Rabbiner und Direktor der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam, Walter Homolka, sowie Jonas Fegert und Jo Frank vom Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk herausgebrachte Band gibt den Stimmen und Einschätzungen junger und jüngerer Juden in Deutschland Raum. Über das Leben in heterogenen Gemeinschaften ist darin ebenso zu lesen wie über die zaghaften bis erfolgreichen Versuche, jüdisches Leben in Mitteleuropa zu leben. Nur als ein Beispiel dafür mag der Beitrag von Benjamin Fischer gelten, der unter anderem bis 2017 Präsident der European Union of Jewish Students war, und der eine Lanze für die Pflege jüdischer Vielfalt gerade im Europa von heute bricht.

Der religiöse Pluralismus sei ein "inhärenter Teil des Judentums", so Fischer, und er beschreibt, wie sich dieser entwickeln kann und könnte -nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass viele jüdische Gemeinden in Deutschland als Einheitsgemeinden für alle jüdischen Strömungen (orthodox, konservativ, liberal etc.) konzipiert sind, de facto aber oft von den Orthodoxen dominiert werden. Ein buntes Mosaik an jüdischen Zugängen bietet der Band -trotz aller Schwierigkeiten, die etwa die Zuwanderung aus dem Osten auch für die bestehenden jüdischen Gemeinden bedeutet.

Das theologische Buch zum Anlass

Das "theologische" Buch zum "Tag des Judentums" erscheint zwar erst Ende Jänner: Walter Homolka und der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet nähern sich in "Christologie auf dem Prüfstand" dem größten Graben, der zwischen Christen und Juden besteht, von der jeweils eigenen Seite: Während Homolka auf den "historischen Jesus" aus jüdischer Sicht zugeht, beleuchtet Striet in seinen Ausführungen, wie christliche Theologie angesichts des "Judeseins Jesu" zu formulieren ist. Ein wichtiges Unterfangen, das gerade auf christlicher Seite immer neue Reflexion braucht, zumal - siehe den Traktat des emeritierten Papstes Benedikt XVI. über den christlich-jüdischen Dialog aus 2017 -viele vermeintlich christliche Offenheiten gegenüber dem Judentum längst noch nicht abgesichert sind. Das Religionsgespräch in Buchform zwischen Homolka und Striet will hier einen zweifellos notwendigen Beitrag dazu leisten.

Schonzeit vorbei Über das Leben mit dem täglichen Antisemitismus Von Juna Grossmann Droemer 2019 160 Seiten, kt., € 15,50

"Weil ich hier leben will ..."Jüdische Stimmen zur Zukunft Deutschlands und Europas Hg. von Walter Homolka, Jo Frank und Jonas Fegert Verlag Herder 2018 224 Seiten, geb., € 20,60

Christologie auf dem Prüfstand Jesus der Jude - Christus der Erlöser Von Walter Homolka und Magnus Striet Herder 2019 144 Seiten, geb., € 16,50

Jüdisches Leben

Der Aderlass der Schoa trifft die jüdischen Gemeinden Europas bis heute - aber jüdisches Leben ist nicht verschwunden, sondern muss sich heute neu behaupten -und immer noch mit Antisemitismus kämpfen.

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