Der Würstelstand in meiner Nachbarschaft wirbt mit einem ausgefallenen Slogan. "... denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein", lautet der am Dach angebrachte Werbetext. Manchmal darf es eben auch eine Burenwurst oder eine Käsekrainer sein.
Wer von denen, die sich hier ihre Wurst schmecken lassen, wohl noch weiß, dass es sich bei diesem Werbespruch um ein Bibelwort handelt? Als Jesus in der Wüste vom Teufel verführt wurde, Steine in Brot zu verwandeln, um seinen bohrenden Hunger zu stillen, konterte er mit besagtem Zitat aus dem Alten Testament (Dtn 8,3). Das Bibelwort hat bekanntlich eine Fortsetzung, und die lautete nicht "Käsekrainer" oder "ein Gulasch und ein Seidel Bier, das ist mein Lebenselexier", sondern, ja "... sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde Got-tes geht". Ob daran wohl gelegentlich jemand denkt, wenn er sich am Würstelstand seine Burenwurst mit süßem Senf zum Brot bestellt?
Gewiss, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Das ist gut biblisch, "Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei allen seinen Mühen, das ist eine Gabe Gottes", weiß der Prediger Salomo (Prediger bzw. Kohelet 3,13). Aber der Hunger des Menschen nach Liebe, nach Anerkennung, nach Lebenssinn und in alledem auch nach Gott lässt sich nicht auf materielle Weise stillen. Wenn etwa der Kult um gesunde Ernährung religiöse Züge annimmt, handelt es sich doch nur um eine Ersatzbefriedigung für unser Bedürfnis nach Transzendenz.
Auch der Spruch aus Bertold Brechts "Dreigroschenoper": "Erst kommt das Fressen, dann die Moral", stimmt nachdenklich. In der Tat gibt es eine Form von Moral und auch von Religion als Luxus der Satten und Mächtigen. Wo beides aber gänzlich fehlt, kommt nach dem Fressen das gefressen werden - ohne Gnade. Eben darum: Nicht vom Brot allein!
Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.