Noch am Beginn EINES WEGES

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"Nostra Aetate" markiert die katholische Kehrtwendung im Verhältnis zum Judentum. Dennoch bleibt zwischen Christen und Juden noch viel zu tun.

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"Nostra Aetate" markiert die katholische Kehrtwendung im Verhältnis zum Judentum. Dennoch bleibt zwischen Christen und Juden noch viel zu tun.

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Bei der Karfreitagsliturgie 1963 in Rom deklamierte der Diakon die Fürbitte für die Juden "Orems et pro perfides Judaeis - Lasst uns auch beten für die treulosen Juden ". Der dem Gottesdienst vorstehende Papst Johannes XXIII. unterbrach die Feier, denn er hatte bereits 1959 das "treulos" aus der Fürbitte entfernen lassen - der Diakon musste das Ganze noch einmal rezitieren.

Diese Episode illustriert gut, wie schwer es auch für einen Papst war, eine neue Sicht aufs Judentum durchzusetzen. Die Karfreitagsfürbitte kann als ein besonders für sich sprechendes Beispiel für die fast zwei Jahrtausende währende Theologie der Verachtung der Kirche gegenüber dem Judentum gelten. Denn auch nach der Entschärfung durch Johannes XXIII. hieß es in der Fürbitte noch, dass "Gott wegnehme den Schleier von ihren Herzen", und: "Gott, du schließest sogar die treulosen Juden von deiner Erbarmung nicht aus; erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen."

Und erst fünf Jahre zuvor war ein besonders "perfider" Zusatz aus den liturgischen Anweisungen des römischen Messbuchs entfernt worden, die -i m Gegensatz zu den anderen Fürbitten - beim Gebet für die Juden das Niederknien untersagte: "Hier unterlässt der Diakon die Aufforderung zur Kniebeugung, um nicht das Andenken an die Schmach zu erneuern, mit der die Juden um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten."

Ein äußerst schwieriger Prozess

Das alles galt 1955 immer noch, erst mit der Konzilserklärung Nostra Aetate, die am 28. Oktober 1965 promulgiert wurde, geschah die 180-Grad-Kehrtwendung der katholischen Kirche in ihrem Verhältnis zum Judentum (© Philipp Cunningahm, siehe das Interview umseitig).

Aber auch die Kehrtwendung war ein äußerst schwieriger Prozess. Zwar hatte Johannes XXII. während des Krieges als Nuntius in Istanbul Freundschaft mit Juden geschlossen und eine nicht mehr ablehnende Sicht aufs Judentum entwickelt. Und in der Vorbereitung des Konzils kam auch bald die Frage nach einer Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum auf, der französische Historiker Jules Isaac und der aus Europa emigrierte Gelehrte Abraham Joshua Heschel leisteten von jüdischer Seite her wichtige Vorarbeiten, auf katholischer Seite waren das Kardinal Augustin Bea, der Leiter des damals neuen Einheitssekretariats und Prälat Johannes Österreicher, ein aus Wien stammender Priester, der wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA emigriert war.

Doch der Widerstand gegen eine Judenerklärung war groß: Zum einen -man kennt Ähnliches von den derzeitigen Aktivitäten des konservativen Kirchenlagers - gab es große Vorbehalte, der antijüdischen "Tradition" abzuschwören, denn Tradition wurde auch hier als eine Säule des katholischen Christentums gesehen. Zum anderen ging es um Politik: Insbesondere die Bischöfe aus den arabischen Ländern fürchteten negative Konsequenzen ihrer sich im Konflikt mit Israel befindlichen Regimes wenn das Zweite Vatikanum sich zur "Judenfrage" äußern sollte. Teilweise gab es auch unverhohlene Drohungen - etwa des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser.

So wurde von einem Judenkapitel, das zunächst im Ökumene-Dekret des Konzils stehen sollte, Abstand genommen. Es ist nicht zuletzt der Diplomatie des Wiener Kardinals Franz König zu verdanken, dass ein eigenes Dokument über die nichtchristlichen Religionen angedacht und dann auch beschlossen wurde: Nostra Aetate ist zwar das kürzeste Dokument des Konzils, aber es revolutionierte den kirchlichen Zugang zu den Religionen insgesamt - und eben besonders zum Judentum, wobei dies ob der genannten politischen Implikationen im vierten Kapitel des Dokuments ein wenig "versteckt" wurde. In diesem vierten Kapitel der Erklärung heißt es, dass die Berufung Israels, des "Stammes Abrahams", unwiderruflich sei. Im Bewusstsein des "mit den Juden gemeinsamen Erbes" beklagt die Kirche "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben."

Nostra Aetate ist eines der Konzilsdokumente, das die Lefebvrianer völlig ablehnen. Zumindest auf der intellektuellen Ebene begann sich die katholische "Umkehr" bald bemerkbar zu machen - die Karfreitagsfürbitte wurde völlig neu formuliert (vgl. die kursorische Darstellung auf Seite 4/5 oben), es entstanden christliche-jüdische Dialog-Institutionen, und die Päpste Johannes Paul II. (der die Juden "unsere älteren Brüder" nannte), Benedikt XVI. und Franziskus engagier(t)en sich weithin sichtbar fürs Judentum.

Von jüdischer Seite kam der Respons viel zaghafter und später - am klarsten ist die Erklärung von namhaften Theologen und Rabbinern "Dabru emet - Sagt die Wahrheit" aus 2000, in der diese jüdischen Stimmen ihre Glaubensgeschwister darauf hinweisen, wie viel sich bei den Christen in den letzten 50 Jahren getan hat.

Zumindest die Begegnung ist unkompliziert geworden - wenn der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg dieser Tage meinte, nach Nostra Aetate sei ein "Dialog auf Augenhöhe" möglich geworden, so zeugt dies davon. Das ist auch in der theologischen Reflexion in vielen Bereichen der Fall, wenn es auch nicht überall angekommen ist, wie in dem von Reinhold Boschki und Josef Wohlmut herausgebrachten Sammelband "Nostra Aetate 4" nachzulesen ist, in dem das für verschiedene theologische Fächer und Zugänge beleuchtet wird.

Noch lang nicht alles eitel Wonne

Aber im katholisch-jüdischen Verhältnis ist noch lang nicht alles eitel Wonne, wie 2008 die Auseinandersetzungen um die neue Karfreitagsfürbitte für den vorkonziliaren Ritus zeigen, den Benedikt XVI. wieder zugelassen hatte, um den Traditionalisten entgegenzukommen, und für den er statt der antijüdischen Karfreitagsfürbitte eine neue formulierte. Diese wurde von jüdischer Seite als "Missionierungsversuch" aufgefasst, den die jüdische Seite am Gespräch kategorisch ablehnt.

Es gibt auch massive katholische Kritik an Nostra Aetate und einem bis heute virulenten Schweigen der Christen zum Antisemitismus, etwa im neuen Buch von Maximilian Gottschlich "Unerlöste Schatten" (vgl. Seite 5 dieser FURCHE).

Unterm Strich kann Nostra Aetate dennoch als Beginn eines neuen Wegs der katholischen Kirche in Bezug auf das Judentum angesehen werden. Dessen Ende ist noch lange nicht absehbar.

Obwohl die Beziehungen der Christen zu den Juden einzigartig sind (oder sein sollten), so hat gerade Nostra Aetate auch und gerade die Religionen an sich im Blick. Im Schlussabsatz der Erklärung heißt es: "Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht." Dieser Satz prangt zurzeit weithin sichtbar an der Wiener Ruprechtskirche (Bild links) - als kirchliches Statement gerade für die aktuelle gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung.

Nostra Aetate

4 Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Judentum - bleibende Herausforderung für die Theologie.

Hg. Reinhold Boschki, Josef Wohlmuth, Schöningh 2015.258 Seiten, kartoniert, € 36,90

Dialog auf Augenhöhe

Am 28. Oktober jährt sich die Promulgation der Erklärung "Nostra Aetate" zum 50. Mal. Das Dokument des II. Vatikanums stellt einen Meilenstein einer neuen Sicht der katholischen Kirche auf die Religionen und dabei insbesondere aufs Judentum dar. Dennoch ist dies erst ein erster Schritt in eine "interreligiöse Zukunft).(Vgl. dazu auch die Kolumne "Glaubensfrage" auf Seite 15.)

Redaktion: Otto Friedrich

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