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Die Entwicklungen im größten neuen EU-Mitgliedsland als Fanal für Europa.

Lech" - der polnische Vorname stand einst für Freiheit; jeder verband ihn mit einem kleinen, schnauzbärtigen Elektriker von der Danziger Lenin-Werft. Der "polnische Arbeiterführer" Waesa wurde zur Symbolfigur des Widerstands gegen das Sowjetimperium - der David, der dem kommunistischen Goliath unerschrocken die Stirn bot.

Heute denkt man bei "Lech" an Staatspräsident Kaczynski, der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder, Regierungschef Jaroslaw, als doppelköpfiger Protagonist des nationalen Ressentiments gegen Europäisierung, Liberalisierung und Öffnung des Landes figuriert. "Völlig unverantwortlich" nannte Walesa den politischen Kurs der Zwillinge, die einst mit ihm in der Solidarnosc kämpften (wobei nicht verschwiegen werden soll, dass der Held der Arbeiterbewegung als Staatspräsident selbst zunehmend autokratische Züge entwickelte). Seit dem Machtwechsel im Herbst des Vorjahres hat das offizielle Polen die liberale, europäisch gesonnene Öffentlichkeit inner-und außerhalb des Landes mehrfach vor den Kopf gestoßen; mit der jüngst vom Präsidenten erhobenen Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe und einer EU-weiten Diskussion darüber haben die besorgniserregenden Entwicklungen eine neue, wahrhaft unerhörte Dimension erhalten. Daran ändert auch nichts, dass Premier Jaroslaw kurz darauf ausrückte und die Äußerungen des Bruders als "Privatmeinung" abtat. "Privat"? Als Staatsoberhaupt? In einem Radioninterview? Über ein solch brisantes Thema?

Zusätzlich verschärft hat sich die Situation durch die Regierungsbeteiligung zweier Gruppierungen, die weit rechts von der ohnedies schon weit rechts stehenden Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) angesiedelt sind: der fundamentalistisch-nationalkatholischen "Liga Polnischer Familien" (LPR) und der radikalpopulistischen Bauernpartei "Samoobrona" (Selbstverteidigung; sic!). Neben deren Parteichefs gehen Haider, Stadler, Strache und Westenthaler als Salonintellektuelle durch.

Entsprechend entsetzt reagiert auch die aus der Dissidentenbewegung hervorgegangene polnische Intelligenz. Tadeusz Mazowiecki, Schlüsselfigur der Wende von 1989 und erster nichtkommunistischer Premier des "Ostblocks", sprach angesichts der Regierungsbildung von einem "schwarzen Tag für die politische Karriere von Jaroslaw Kaczynski; sein einstiger Mitstreiter und Finanzminister, der heutige Notenbankchef Leszek Balcerowicz, sieht sich zunehmendem Druck seitens der Regierung ausgesetzt.

Was ist los mit diesem Land - dem größten der neuen EU-Mitglieder und einem der "Schicksalsländer" des Kontinents? Der Politologe Aleksander Smolar sieht im Kurs der Zwillinge den Versuch, "die Erfolge der letzten 17 Jahre kleinzureden, ja zu negieren", wie er kürzlich in einem Standard-Interview ausführte. Die derzeitige Politik richte sich gegen das "Modell der Modernisierung", so Smolar. Dieses Modell habe zwar "seit 1989 viele Erfolge" gezeitigt, doch setzte es "eindeutig auf das Individuum". Die Schattenseiten dieser Entwicklungen seien "eine starke Ausdifferenzierung der polnischen Gesellschaft in Reiche und Arme und Massenarbeitslosigkeit" gewesen, so der Intellektuelle.

Das Schlüsselwort lautet "Modernisierung". Sie ist tatsächlich so ambivalent, wie Smolar sie berschreibt. Sie lässt sich steuern, gestalten - gewiss; aber sie ist niemals ein friktionsloser, schmerzfreier Prozess.

Polen mag vor dem Hintergrund seiner Geschichte eine causa sui generis sein - nicht einfach mit anderen europäischen Ländern vergleichbar. Im Kern aber spiegelt sich in der momentanen Befindlichkeit des Landes eine gesamteuropäische Gefahr: die aus dem Unmut über die Mühen der Modernisierung gespeiste Abwendung von Europa, der vermeintlich sichere Rückgriff auf nationale Mythen, historisch Narrative, allenfalls noch (pseudo)religiös aufgeladen.

"Noch ist Polen nicht verloren": Mit diesem Satz aus der Hymne hoffte und bangte Hubert Feichtlbauer in der Furche 1981 für Lech Walesa. Heute hat das alte Wort einen ganz anderen Klang - für Polen, aber auch für Europa.

rudolf.mitloehner@furche.at

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