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Nötig sind Zeit und Geduld

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Die heiße Diskussion über das Schreiben der Glaubenskongregation - ist sie Symptom flir eine mangelnde Rezeption des Zweiten Vatikanums?

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Die heiße Diskussion über das Schreiben der Glaubenskongregation - ist sie Symptom flir eine mangelnde Rezeption des Zweiten Vatikanums?

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Der biblische Befund ist nicht so einhellig, wie das Schreiben der Glaubenskongregation vorgibt, das (im Unterschied zum Hirtenwort der südwestdeutschen Bischöfe) nur Mk 10,11-12 als Beleg anführt. Es stimmt auch nicht, „daß die Weisung Jesu in dieser Sache von einer erschreckenden Klarheit ist”, wie bei der Vorstellung des römischen Textes in Wien behauptet wurde. Sicher äußern nach Mt 19,11 die Jünger ihre Betroffenheit über die Weisung Jesu; diese wird aber unmittelbar vorher vom Evangelisten samt der eingefügten Unzuchtsklausel (Mt 19,9) wiedergegeben, die zu einer Differenzierung nötigt. Wer die mannigfaltige Wiedergabe des Wortes Jesu in der Bibel und seine Rezeption in der Kirchengeschichte beachtet, kann daher im Blick auf Jesu Verbot der Ehescheidung nicht pauschal erklären: „Die Kirche, wer immer in der Kirche, ob Papst, ob Bischöfe, ob Seelsorger, niemand hat das Recht, das Wort Jesu zu lösen.” Gewiß gilt, wie das Schreiben der Glaubenskongregation feststellt, daß es keinen „Konsens der Väter” für pastorale Lösungen gibt. Aber es gibt auch keinen Konsens gegen solche Lösungen, noch eine gemeinsame Lehre aller Kirchen, wenn mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Kirchen des Ostens ernst genommen werden.

Es heißt in dem Schreiben: „Es kommt dem universalen Lehramt der Kirche zu, in Treue zur Heiligen Schrift und zur Tradition das Glaubensgut zu verkünden und authentisch auszulegen.” Dies setzt voraus, daß eine authentische Auslegung sich wirklich auf die ganze Bibel und die ganze kirchliche Tradition stützt. Wenn das kirchliche Lehramt (konkret eine päpstliche Kongregation als dessen Organ) hingegen wesentliche Aussagen und Fakten verschweigt, kann es in diesem Punkt nicht den Anspruch erheben, eine verbindliche und authentische Auslegung vorzuschreiben. Es kann daher nicht verwundern, daß mündige Christen, ob Bischöfe, Pfarrer oder Laien, einem so offenkundig fehlerhaften Schreiben ihre Zustimmung verweigern.

Jeder Anfänger im Studium der Theologie lernt schließlich, daß solchen Dokumenten nicht die Bedeutung einer unfehlbaren Definitio ex cathedra zukommt. Jeder Student der Kirchengeschichte lernt außerdem, daß Päpste sich oft geirrt haben. Das Heilige Offizium, die Vorgängerin der Glaubenskongregation, und andere päpstliche Kommissionen haben mehrfach Meinungen vertreten und Vorschriften erlassen, die sich später als Irrtümer erwiesen. Das hat Papst Johannes Paul II. bei der Rehabilitation von Galileo Galilei am 31. Oktober 1992 ausdrücklich erklärt. Er hat dabei die bedauernswerte Verurteilung Galileis mit päpstlichen Verurteilungen von Ergebnissen der neueren Bibelwissenschaft am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verglichen und gesagt: „Das war eine voreilige und unglückliche Entscheidung.” Solches wird in wenigen Jahren - daran ist kaum zu zweifeln - auch für das neue Schreiben offen oder stillschweigend zugegeben werden.

Unbeschadet der für die Glaubenskongregation beschämenden Mängel dieses Schreibens ist sein Anliegen berechtigt und ernst zu nehmen: die Sorge um die Unauflöslichkeit der Ehe. Dies haben auch die in dem Schreiben angesprochenen südwestdeutschen Bischöfe sehr stark betont und keineswegs in Frage gestellt, entgegen ihrer Verleumdung durch den römischen Kardinal Alfons Maria Stickler. Diese Forderung der Unauflöslichkeit kann nicht klar genug und in Kontrast zu heute verbreiteten Meinungen als der entschiedene Wille Jesu eingeschärft werden: Nicht bloß die Wiederheirat, sondern schon jede Ehescheidung widerspricht nach Jesu Wort dem Willen des Schöpfers: „Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen!” Wenn bei der Diskussion über das Schreiben der Glaubenskongregation dies mitunter einem modischen Trend zufolge abgeschwächt oder verdrängt wird, so ist dem aus der Sicht der Bibel und der kirchlichen Tradition mit Recht zu widersprechen.

Schon im Alten Testament klingt an, was nicht zuletzt auch Jesus zu seiner scharfen Verurteilung veran-laßte: Ehescheidung und leichtfertige Wiederheirat bringen Unheil über das ganze Land. Diese Überzeugung liegt nämlich dem Text von Dtn 24,1-4 zugrunde, auf den sich im Evangelium die Pharisäer für ihr Zugeständnis des Scheidebriefs berufen. Er wendet sich gegen einen Mißbrauch der eingebürgerten Erlaubnis, nämlich die Rückkehr einer Geschiedenen nach abermaliger Scheidung zu ihrem früheren Mann, und schließt mit den Worten: „Das wäre dem Herrn ein Greuel; du sollst das Land, das der Herr, dein Gott dir als Erbbesitz gibt, nicht der Sünde verfallen lassen” (Dtn 24,4). Dasselbe Anliegen steht auch hinter der Kritik, die der Prophet Maleachi am Ausstellen eines Scheidebriefs äußert: „Nehmt euch also um eures Leben willens in acht! Handle nicht treulos an der Frau deiner Jugend. Wenn einer seine Frau aus Abneigung verstößt, dann befleckt er sich mit einer Gewalttat, spricht der Herr der Heere” (Mal 2,15f.).

sünde nicht verharmlosen

Ehebruch, Ehescheidung und Wiederheirat dürfen also nicht verharmlost werden. Was Sünde ist, darf nicht aus menschlichen Gründen als „nicht so schlimm” verniedlicht werden, auch nicht unter Berufung auf Jesu Barmherzigkeit. Diese besteht ja gerade darin, dem Sünder trotz seiner Schuld gnädig zu sein und zu vergeben (vgl. Joh 7,53-8,11). Andererseits widerspricht es der Bibel und der kirchlichen Tradition, jeden Geschiedenen und Wiederverheirateten undifferenziert als öffentlichen Sünder zu diffamieren. Die kirchliche Praxis kennt auch hier den Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Sünde. Sie weiß außerdem darum, daß selbst der größte Sünder Vergebung erhoffen darf, sowohl von Gott als auch der Kirche und der Mitmenschen (vgl. Mt 18,21: „nicht bloß siebenmal, sondern siebenmal siebzigmal”).

Auf der Linie der Botschaft von Gottes Erbarmen liegen aber auch die schon in der Bibel und vor allem in der kirchlichen Tradition belegten Versuche, in der seelsorglichen Praxis den in ihrer Ehe gescheiter-

ten Christen einen Neuanfang zu ermöglichen, ohne damit das Gewicht von Jesu Verbot der Ehescheidung grundsätzlich abzuschwächen. Dazu gehört neben der Erlaubnis einer „Trennung von Tisch und Bett” auch die Praxis der römisch-katholischen Kirche, in begründeten Fällen die Nichtigkeit einer Ehe durch kirchliche Ehegerichte juridisch festzustellen, um den Weg zu einer neuen Eheschließung zu ebnen.

Dieser kirchlichen Praxis entsprechen auch die heutigen Überlegungen seelsorglich engagierter Bischöfe und Priester im Hinblick auf standesamtlich Geschiedene und Wiederverheiratete, die von der Ungültigkeit ihrer ersten Eheschließung überzeugt sind, dies aber gerichtlich nicht beweisen können. Können sie gehindert werden, nach reiflicher Prüfung ihres Gewissens und nach Rücksprache mit ihrem Seelsorger an der Eucharistie teilzunehmen?

1980 hat Joseph Ratzinger als Erz-bischof von München und Freising an Priester, Diakone und alle im pa-storalen Dienst Stehenden in einer „authentischen Information über die Bischofssynode” unter anderem geschrieben: „Sie (die Synode) benennt als eine eigene Kategorie diejenigen, die zu der begründeten Gewissensüberzeugung von der Nichtigkeit ihrer ersten Ehe gekommen sind, auch wenn der gerichtliche Nachweis dafür nicht möglich ist: in solchem Fall kann - unter Vermeidung von Ärgernis - in Entsprechung zu dem begründeten Gewissensurteil die Kommunionzulassung gewährt werden.” Diese Aussage der Bischofssynode fehlt in „Familiaris Consortio”. Das Schreiben der Glaubenskongregation lehnt diesen Weg ab, weil dabei zu wenig der Öffentlichkeitscharakter der Ehe berücksichtigt werde. In der Bibel und der Tradition gibt es dafür keinen Anhalt.

Man kann fragen, ob die neuerdings mehrfach empfohlene Anstrebung der Nichtigkeitserklärung einer Ehe oder die Berufung auf das eigene Urteil darüber überhaupt der

richtige Weg ist. Es gibt doch sehr viele Fälle, wo die Betroffenen ehrlicherweise nicht an der Gültigkeit der Erstehe zweifeln. Das neue römische Dokument (wie auch schon „Familiaris Consortio” 1981) kennt diesbezüglich nur eine Ausnahme: wenn beide Partner, die aus familiärer Bücksicht ihr Zusammenleben nicht aufgeben können, auf den Geschlechtsverkehr verzichten.

Die Lehre von der Epikie

Auch dafür gibt es in der Bibel und der ältesten Tradition aber keinen Anhalt. Eine solche Lösung läßt sich außerdem nicht leicht mit der Mahnung des Apostels Paulus an die Eheleute vereinbaren, sich jeweils nur auf kurze Zeit zu entziehen, „damit euch der Satan wegen eurer Enthaltsamkeit nicht versuche” (1 Kor 7,5). Dieser Lösungsvorschlag geht außerdem von dem vorkonziliaren Verständnis aus, die Ehe sei ein Vertrag und im Hinblick auf die Zeugung von Nachkommenschaft geschlossen. Dabei wird nicht berücksichtigt, was das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hat, daß nämlich die Ehe ein „Bund” zwischen den Partnern ist, eine personale Liebesund Lebensgemeinschaft.

Den oben angeführten biblischen Texten und ihrer Rezeption in der kirchlichen Tradition entspricht hingegen eine andere Lösung: die oft vergessene Lehre von der Epikie, auf die neuerdings Günter Virt und Bischof Franz Kamphaus zurückgreifen. Sie geht davon aus, daß positive Gesetze, aber auch sittliche Gebote -so ausdrücklich Alphons von Liguori - nie die ganze Vielfalt des Lebens berücksichtigen können und es immer Ausnahmefälle gibt, in denen es unbeschadet der Gültigkeit eines Gesetzes erlaubt ist, gegen den Wortlaut einer Vorschrift zu handeln. Liegt eine solche Auffassung nicht vielen zum Teil sogar rechtlich fixierten Ausnahmen in der Bibel und der kirchlichen Tradition zugrunde? Ermutigen die dargelegten

Befunde nicht dazu, betroffene Ehepaare auf diese Lehre aufmerksam zu machen, damit sie in Einzelfällen und nach ernster Gewissensprüfung entsprechend handeln?

Diese Sonderlösung - Epikie kann niemals eine allgemeine Handlungsanweisung sein - ist heute vor allem auch deshalb zu bedenken, da sich die Situation der Eheleute gegenüber früher sehr verändert hat, wie die südwestdeutschen Bischöfe gut ausführen; die höheren Anforderungen an eine personal gelebte Ehe, die nicht mehr wie früher in die Großfamilie eingebunden ist; das Wissen um soziologische und psychologische Faktoren, die das Ja bei der Eheschließung nicht selten beeinträchtigen; das gesellschaftliche Umfeld, das heute stärker als früher eine eheliche Bindung gefährdet und oft zu ihrem Zerbrechen führt.

Mentalität einer Minderheit

Diese und andere Faktoren gestatten es in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Prüfung, wie dies auch von den südwestdeutschen Bischöfen verlangt wird, die Tugend der Epikie zu üben und die Entscheidung der Partner für eine Zweitehe zu respektieren. Ihr Empfang der Eucharistie, wenn er nicht aus konventionellen Motiven, sondern aus echtem religiösen Verlangen geschieht, kann dann nicht in Widerspruch zum Zeichencharakter der Ehe als Symbol der innigen Liebe zwischen Christus und Kirche gesehen werden. (Ein solcher Widerspruch liegt ja auch nicht vor, wenn die getrennten Partner im Einverständnis mit Rom aufgrund des Privilegium Paulinum eine Zweitehe eingehen.) Diese Liebe symbolisieren sie vielmehr durch das ihnen (dank der Vergebung ihrer Schuld) ermöglichte neue Leben in Christus und ihr neues Bemühen um eine personale Liebes- und Lebensgemeinschaft. Jesus hat, was viele Fromme als anstößig empfanden, Mahl gehalten mit Sündern, die zur Umkehr bereit waren (vgl. Lk 15,2, sowie 15,23). Darf die Kirche da anders handeln?

Das Schreiben der päpstlichen Glaubenskongregation spiegelt in dreifacher Hinsicht die Mentalität einer Minderheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wider: 1. Es entspricht nicht der Forderung der Konstitution „Über die göttliche Offenbarung” (Art. 14-18), bei der kirchlichen Verkündigung von der biblischen Botschaft auszugehen und die Ergebnisse der Bibelwissenschaft zu beachten. 2. In antiökumenischer Weise übergeht es entgegen den Aussagen des Ökumenismusdekrets die Bemühungen der anderen Kirchen, besonders der Ostkirchen, zumal noch die Bischofssynode 1980 in diesem Punkt „eine Berücksichtigung auch der Praxis der Ostkirchen gewünscht hat. 3. Es vernachlässigt das in der „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute” (II, 1. Art. 48) ausgesprochene neue Verständnis der Ehe als „Bund” (foedus). Die heftige innerkirchliche Auseinandersetzung über das letzte Schreiben der päpstlichen Glaubenskongregation ist daher ein Symptom dafür, daß maßgebliche Kreise in unserer Kirche sich wichtige Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils noch nicht zu eigen machen und es vermutlich viel Zeit und Geduld braucht, bis alle den von Johannes XXIII. erhofften „Sprung nach vorne” wagen.

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