"Nostra Aetate" war viel zu zahm

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Maximilian Gottschlich, Grenzgänger zwischen Christentum und Judentum, identifiziert den "neuen Antisemitismus". Die Christen sind dabei mitten drin.

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Maximilian Gottschlich, Grenzgänger zwischen Christentum und Judentum, identifiziert den "neuen Antisemitismus". Die Christen sind dabei mitten drin.

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Eine Streitschrift ist Maximilian Gottschlichs neues Buch "Unerlöste Schatten - Die Christen und der neue Antisemitismus". Der Wiener Kommunikationswissenschafter, seit Jahren Grenzgänger zwischen Christentum und Judentum, hat sich seine Besorgnis und seinen Furor von der Seele geschrieben: Der Antisemitismus ist längst wieder zurück (bzw. war nie verschwunden), und er ist aufs Neue äußerst bedrohlich. Dass man das bei PEGIDA wie in Dresden erneut sehen kann, ist evident. Aber Gottschlich identifiziert Vorgänge mitten in der Gesellschaft. Neben dem "alten" Antisemitismus brandmarkt er den "Antizionismus" nicht nur, aber gerade linker Provenienz und auch gegen die muslimische Judenfeindschaft, die sich oft im Gewand antiisraelischer Parolen manifestiert, schreibt er mit Verve an

Mit seiner katholischen Kirche geht Gottschlich gleichfalls ganz und gar nicht sanft um: Vor allem an Nostra Aetate, deren 50-Jahr-Jubiläum Anlass für das Buch ist, hat er gar viel auszusetzen. Für Gottschlich stellt die Konzilserklärung als einen weichen Kompromiss dar, der der eminenten Bedeutung des Judentums für die Christen überhaupt nicht gerecht wird.

Keine Abkehr vom Antisemitismus

Er moniert, dass das Verhältnis zum Judentum unter den Einlassungen über die anderen Religionen abgehandelt wird. Das sei das Ergebnis sowohl der antijüdischen Tradition in der katholischen Kirche, die auch auf dem Konzil spürbar war, sowie der politischen Einflussnahme aus den arabischen Ländern, die wegen Israel einen positiven Zugang zum Judentum um jeden Preis verhindern wollten.

Für Gottschlich stellt die geschilderte Kompromisshaftigkeit ein Grundproblem dar, von der sich die Kirche bis heute -trotz erkennbarer Klarheit etwa durch Papst Johannes Paul II. - nicht befreit hat. In der Mitte, auch der katholischen Gesellschaft sei die Abkehr vom Antisemitismus nicht angekommen - im Gegenteil.

Vieles, was Gottschlich an Belegen für seinen Alarmismus zusammengetragen hat, stimmt und sollte zu größter Nachdenklichkeit - oder gut katholisch: Umkehr - veranlassen. Problematisch bleibt aber durchgängig, dass der Autor aus der Position eines unkritischen Zugangs zur Politik Israels argumentiert, auch wenn er hin und wieder schreibt, Kritik an Israel wäre möglich, ohne antisemitisch zu sein. Dennoch ist Differenzierung, wenn es um eine Beurteilung der Politik Israels geht, nicht seine Sache. Geschenkt, dass der Blick auch vieler Christen auf den Staat Israel gleichfalls undifferenziert und antisemitisch grundiert ausfällt. Aber mehr Differenzierung vice versa durch den Autor hätte dem Anliegen des Widerstands gegen jeden Antisemitismus, für das Gottschlich so streitbar eintritt, besser getan.

Unerlöste Schatten

Die Christen und der neue Antisemitismus. Von Maximilian Gottschlich, Schöningh 2015.227 Seiten, kartoniert, € 20,50

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