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Félix Houphouët-Boigny hat westafrikanische Geschichte geschrieben. In Yamoussoukro steht sein vergessenes Vermächtnis: die größte Kirche der Welt. Ein Lokalaugenschein an einer Glaubensfrage.

Er war nach der Unabhängigkeit der erste Präsident und sollte es bis zu seinem Tod bleiben: Félix Houphouët-Boigny bestimmte 34 Jahre lang den Aufstieg der ehemaligen Elfenbeinküste zum Wirtschaftswunderland Westafrikas und hielt enge Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht intakt. Französisch ist weiterhin die Amtssprache für rund 60 Ethnien, die erst Frankreich zu einer Nation wider Willen gemacht hat. Der Marinestützpunkt Grand-Bassam wurde 1893 zur ersten Hauptstadt der Kolonie Côte d'Ivoire erklärt, die 1895 Teil von Französisch-Westafrika und 1958 zur autonomen Republik erklärt wurde.

Die Metropole Abidjan galt bald als "Afrikas Paris". Der Stadtteil Plateau ist ein Muster an europäischer Organisation und die futuristische Cathédrale Saint-Paul ein architektonisches Meisterwerk der afrikanischen Moderne der 1970er Jahre. Der italienische Architekt Aldo Spiritom gab dem Turm die Gestalt des Heiligen Paulus, mit dem mächtigen Kirchenschiff dahinter als stilisierte wehende Robe. Doch der Rasen rundum ist schlampig gemäht, die Wege verwachsen und das Innere der Kathedrale mit den prachtvollen Glasmosaiken menschenleer.

Leblose Denkmäler

Dass eine derart zusammengewürfelte Nation nur mit straffer Führung und etwas Wohlstand bestehen kann, ist keine neue Erkenntnis. Nach Boignys Tod 1994 ging es stetig bergab mit dem einstigen Musterland, das seinen Reichtum nur der Ausbeutung seiner agrarischen Ressourcen verdankte: Die Regenwälder sind großteils abgeholzt und haben Plantagen Platz gemacht, deren Produkte nach dem Zusammenbruch der Weltmarktpreise nicht mehr gefragt sind. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, über ein Drittel der globalen Kakao-Produktion ist immer noch hier zu finden.

Elefanten, die Namensgeber des Landes, sind weitgehend verschwunden und nur mehr in Nationalparks zu sehen. Doch diese sind geschlossen, seit Ebola-Epidemien und muslimische Milizen den labilen Frieden erschütterten. Und so bleiben Didier Drogba, als Fußballstar bei Chelsea vielleicht der bekannteste Ivorianer, und seine "Elefants" die letzten Erinnerungen an Zeiten, als Elfenbein Exportgut Nummer eins war. Die "Elefants" - das ivorische Fußballteam - lachen heute im ganzen Land von Werbetafeln.

Die Elfenbeinküste ist seit 2004 ein zweigeteiltes Land von der fünffachen Fläche Österreichs, das regelmäßig von Bürgerkriegen erschüttert wird. Der muslimische Norden erkennt die Regierung im vorwiegend christlichen Süden um Abidjan genauso wenig an wie umgekehrt, sodass rund 6.000 UNO-Soldaten zumindest oberflächlich für Ruhe sorgen. Viele von ihnen stammen aus dem muslimischen Bangladesh, um die Spannungen in dem einstigen Touristenland nicht weiter anzuheizen. Die tropischen Bilderbuchstrände sind menschenleer, die meisten Hotels liegen in Trümmern.

Die einzige Autobahn des Landes führt hunderte Kilometer lang durch sattes Grün, vorbei an brachen Kautschukplantagen und verwilderten Kaffeebüschen. Es ist eine apokalyptische Fahrt auf mehrspurigem Asphaltband, das einmal die Renommierstraße zwischen Zentrum und Hauptstadt war. Man sieht LKW-Wracks und verlassenen Häusern, Fahrzeit ungewiss - sie hängt zunächst vom Dauerstau rund um den Busbahnhof von Abidjan ab, danach von den Launen der Uniformträger an unzähligen Checkpoints, wo oft die Personaldokumente von Buspassagieren schweigend eingezogen und im Dunkel von windschiefen Holzhütten irgendwann wieder ausgehändigt werden - was dazwischen geschah, ist unklar: Es herrschst beredtes Schweigen!

Nach 280 km Richtung Norden sind wir angekommen, nur ein paar Kilometer vor dem Niemandsland der Rebellenzone. Seit 1983 ist Yamoussoukro die offizielle Hauptstadt, auch wenn Abidjan weiterhin das politische und wirtschaftliche Zentrum ist. Zu Recht. Denn Monsieur Boigny hat sich und seinem Geburtsort mehrere Denkmäler gesetzt, die ihresgleichen suchen. Die Gigantomanie des Langzeitpräsidenten kannte keine Grenzen, als die Rohstoffpreise noch in den Himmel schossen: Sechsspurige Boulevards mit über 10.000 Straßenlampen verlaufen im Nichts. Die Fondation Houphouët-Boigny hat Auditorien für 4.500 Gäste, das Hotel Président ein Panorama-Restaurant im 14. Stock. Um den Präsidentenpalast liegt ein künstlicher See, wo täglich um 17 Uhr Privatkrokodile mit lebenden Hühnern gefüttert werden - auch so mancher Oppositionelle soll hier spurlos verschwunden sein. Und von den angeblich 290.000 Einwohnern ist kaum einer zu sehen.

Leere Papstvilla

Überragt wird das Geisterstadt-Szenario von einem grauen Riesenei, das sich aus dem nebeligen Dunst abhebt: Die Basilique Notre-Dame de la Paix von Yamoussoukro wurde 1989 eröffnet und ist die größte Kirche der Welt. 1.500 Zwangsarbeiter brauchten bloß drei Jahre für den Prunkbau - "ein Geschäft mit Gott", wie sich Monsieur Boigny stets ausweichend zu Kosten und Arbeitsbedingungen äußerte. In Frankreich habe es doch auch Armut gegeben, während Notre-Dame entstand, sagt der Guide, ohne den es keinen Rundgang gibt. Architektonisches Vorbild war der Petersdom im Vatikan, dessen Kuppelhöhe jedoch auf päpstlichen Wunsch nicht überschritten werden durfte - also macht ein überdimensionales goldenes Kreuz den Bau mit 158 m Höhe zum statistisch höchsten Gotteshaus der Welt. 1990, als Papst Johannes Paul II die Einweihung vornahm, war die Kirche zum Bersten voll: Die 7.000 Sitzplätze und 11.000 Stehplätze füllten sich aber nur noch ein einziges Mal, als der Papst 1994 die Beerdigungszeremonie für den Präsidenten zelebrierte.

Der Andrang zum Sonntagsgottesdienst hält sich in Grenzen. Kaum hundert Personen finden sich in dem kaleidoskopartigen Kuppelbau ein. Afrikas Katholiken stellen eine Minderheit von kaum 20 Prozent der 18 Millionen Ivorer und zeigen mäßiges Interesse, sich in dem riesigen Areal zu versammeln.

Dort gibt es auch eine eigene Villa für päpstliche Visiten, die bisher erst einmal genutzt wurde. Monsieur Boigny hat das Gelände dem Vatikan geschenkt, der für die Erhaltung jährlich über eine Million Euro flüssig machen muss. Von dem Spitalsbau, den der Präsident seinerzeit als Dank für die päpstliche Eröffnung zugesagt hat, ist außer dem Grundstein noch immer nichts zu sehen. Dass das umstrittene Riesenprojekt auch kirchenintern auf Kritik stieß, verwundert angesichts der Kosten kaum: Die Baukosten von 300 Millionen US-Dollar verdoppelten die Schulden des westafrikanischen Landes, in dem die Mehrheit der Bevölkerung weder adäquate sanitäre Verhältnisse noch Energie und Nahrung vorfindet, die Analphabetenrate bei 60 Prozent und die Lebenserwartung bei 46 Jahren liegt. (Animistische) Wunderheiler und (christliche) Sektenprediger in Schuppen und Lagerhallen rundum scheinen sich größeren Zulaufs zu erfreuen als die verwahrloste Basilika. Vielleicht kommt wieder einmal ein Papst, sagt der Guide. Eher wohl schon die Rebellen aus dem Norden, die die Basilika bislang verschont haben. Der UNO-Stützpunkt an der Zufahrtstraße wird kein Zufall sein: Ein Übergriff auf Boignys Vermächtnis wäre wohl der Auftakt zu einem westafrikanischen Flächenbrand.

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