6754481-1967_41_03.jpg
Digital In Arbeit

Öhne christliche Etikette

Werbung
Werbung
Werbung

Der Begriff der „christlichen Demokratie“ stößt heute fast allgemein auf verbreitetes Unbehagen; die Etikette „christlich“ — sei es im Zusammenhang mit Politik im allgemeinen, mit Parteien oder Gewerkschaften — ist suspekt geworden. Das Adjektiv „christlich“ ging in der Geschichte allzu häufig Hand in Hand mit einem Monopolanspruch auf das christliche Handeln, auf die christliche Lösung. Die Erkenntnis moderner Theologen, daß es kein „christliches Handeln“ an sich, keine „christliche Lösung“ an sich gibt, sondern immer nur eine Pluralität christlicher Möglichkeiten, auch und insbesondere im politisch-gesellschaftlichen Bereich, entzieht, wie Fritz C so kl ich feststellt, den „christlichen Parteien“ ihre Legitimität. Die „christliche Demokratie“ hat nach Friedrich Heer zwar eine würdige Vergangenheit in Europa, eine Zukunft jedoch bestenfalls in Lateinamerika. Aus den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, aber auch aus dem heutigen wissenschaftlichen Demokratiekonzept läßt sich jedenfalls, wie Wilhelm F. Czerny nachweist, keine politische Aktualität ableiten. Die Historikerin Weinzierl sieht in den katholischen, aus der Defensive gegen Französische Revolution und Liberalismus entstandenen Parteien vor allem Anwälte kirchlicher Interessen, in denen die überzeugten Demokraten vielfach in der Minderheit waren. Die „christliche Demokratie“ gehört damit heute ebenso der Vergangenheit an wie der „politische Katholizismus“. Rupert Gmo s er geht noch weiter und bestreitet nicht nur die politische Aktualität, sondern stellt den Begriff selbst in Frage, da ihm ein fundamentales Mißverständnis des Verhältnisses von Religion und Politik, von Christentum und Demokratie zugrundeliege. An den unwandelbaren Prinzipien der katholischen Soziallehre versucht Robert P r antn er festzuhalten. Der Wirtschaftsliberale Krejci sieht die Christlichkeit dieser Parteien durch „Konzessionen an den kollektivistischen Zeitgeist“ gefährdet und fordert die Berücksichtigung möglichst vieler liberaler Elemente. Felix Butschek anerkennt zwar die christlich-demokratischen Parteien als Ordnungselemente in der Nachkriegsära, weist aber gleichzeitig auf den sozialen Strukturwandel hin, der aus den progressistischen Sozialreformen konservativ-bürgerliche Sammelpar-teien machte.

Welches -Fazit ergibt sich daraus für' die Situation der christlich-demokratischen Parteien; deren Vorbild, das französische MRP, sich vor kurzem auflöste?

Entstanden aus dem Willen, nach dem totalitären Chaos Europa nach sittlichen Prinzipien neuzuordnen, aus dem Gefühl eines Bankrotts der alten politischen Ideologien und nicht zuletzt auch als ein Bollwerk gegen den expansiven Kommunismus, sehen sich die christlich-demokratischen Parteien heute ihrer programmatischen Basis beraubt. Dazu trug nicht nur der allgemeine Prozeß der Entschärfung ideologischer Gegensätze bei, dazu führte vor allem das Umdenken der Kirche im politisch-gesellschaftlichen Bereich. Wenn auch manche Politiker den alten Bindungen noch nachtrauern, die Zukunft wird zeigen, daß beide Partner von dieser Entwicklung profitieren:.Die Kirche und die Parteien konservativer oder sozialistischer Richtung, in denen sich Christen heute legitimerweise engagieren — als christliche Demokraten in allen Parteien, als Politiker, die sich nicht durch den höheren Auftrag, sondern durch die bessere Politik auszuweisen haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung