"Österreich lebt von seiner Kultur"

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Roland Geyer, Intendant der Musikfestivals "Klangbogen Wien" und "Osterklang" über Kunst und Politik, Kunst in Zeiten von Budgetkürzungen, und über die Operette - ein Genre, das zusammen mit der Musik des 20. Jahrhunderts die große Leidenschaft des Quereinsteigers darstellt, dessen berufliche Karriere als Software-Designer begann.

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Roland Geyer, Intendant der Musikfestivals "Klangbogen Wien" und "Osterklang" über Kunst und Politik, Kunst in Zeiten von Budgetkürzungen, und über die Operette - ein Genre, das zusammen mit der Musik des 20. Jahrhunderts die große Leidenschaft des Quereinsteigers darstellt, dessen berufliche Karriere als Software-Designer begann.

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Die Furche: Diese Woche hat die Tango-Oper "Maria de Buenos Aires" im Rahmen des Festivals "Klangbogen Wien" Premiere. Im Februar, nach der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung, sagte ein argentinischer Sänger aus politischen Gründen ab. Wie sind Sie mit der in Künstlerkreisen herrschenden regierungskritischen Stimmung umgegangen?

Roland Geyer: Es ist uns - und auch verschiedensten anderen Institutionen - gut gelungen, die Künstler zu überzeugen, hierher zu kommen. Gerade "Maria de Buenos Aires" ist ein Projekt, das dem in Österreich sicherlich vorhandenen Rassismus entgegensteht. Der Aufschrei der Künstlerschaft im Februar und im März hat sich inzwischen zu einem stillen Protest gewandelt. Die Künstler haben gesehen, dass es besser ist, in dieses Land zu kommen und hier ihre Meinung kundzutun, als Österreich zu meiden.

Die Furche: Hatte oder hat die politische Situation Auswirkungen auf Ihre künftige Planung?

Geyer: Für mich macht das keinen Unterschied. Ich mache jetzt nicht mehr ausländerfreundliche Projekte als vorher. Klarerweise lasse ich nicht zu, das ein Projekt in die andere Richtung beeinflusst oder gar verhindert wird. Die Österreicher sind ja selbst ein sehr polyglottes Volk ist und ich finde es wichtig, dass wir auch so denken.

Die Furche: Derzeit kommt es seitens des Bundes bei vielen Kulturinstitutionen zu Budgetkürzungen. Sind Sie auch davon betroffen?

Geyer: Wir erhalten kein Geld vom Bund, sowohl "Osterklang" als auch "Klangbogen" werden ausschließlich von der Stadt Wien finanziell unterstützt. Wenn aber bei der geplanten Ausgliederung beide Festivals in Kultur-Ges. m. b. Hs umgewandelt werden, werde ich sehr wohl auch einmal mit dem Bund sprechen. Andere Fes-tivals bekommen Unterstützung - das meine ich nicht neidisch, sondern ich halte das für sehr wichtig. Aber ich sehe nicht ein, warum das nicht auch für "Klangbogen" und "Osterklang" gelten soll. Möglicherweise ist auch die Stadt Wien durch einen neuen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und Kürzungen anderer Art des Bundes tangiert.

Die Furche: Was halten Sie generell von den überhand nehmenden Sparmaßnahmen im Kulturbereich?

Geyer: Ich finde die prinzipielle Einstellung des Bundes bedenklich. Ich verstehe, dass gespart werden muss, ich verstehe, dass eine Sanierung des Budgets erreicht werden muss - nur man darf eines nicht vergessen: Österreich lebt von seiner Kultur. Das kann man gar nicht laut genug sagen. Was haben wir denn an großer Schwerindustrie, was haben wir denn an Handelsriesen? Die Kultur ist doch das, was über einen florierenden Tourismus, gerade den Städtetourismus in Wien, einen wesentlichen Faktor für den Wohlstand der Österreicher ausmacht. Die Politiker dieses Landes räumen der Kultur nicht mehr den Stellenwert ein, der notwendig ist.

Die Furche: Was könnten Künstler und Kulturmanager tun, um diese Einstellung zu korrigieren?

Geyer: Ich glaube, es ist sehr wichtig, den Politikern klar zu machen, wie wichtig Kultur für diesen Staat ist und sie in die Verantwortung mit einzubinden. Heute sagt die Politik: Ihr macht das schon und kümmert euch darum, dass genug Geld über Kartenerlöse und Sponsoren eingenommen wird. Sponsorengelder dürften aber eigentlich nur der Zucker auf dem Kaffee sein, die Chance, noch ein zusätzliches künstlerisches Element draufzusetzen oder noch ein größeres künstlerisches Risiko einzugehen. Ich will nicht ein bestimmtes Stück nur aus dem Grund auf den Spielplan setzen, weil zum Beispiel keine Tantiemen mehr zu zahlen sind. Ich mache auch Operette nicht aus dem Grund, um einen Publikumshit zu landen, sondern weil ich es wichtig finde, dass der ausländische Kulturgast im Sommer in Wien etwas speziell Wienerisches erleben kann - und das auf einem anderen Niveau, als es diese vielen Kostüm- und Salonorchester suggerieren.

Sich nur an ein Massenpublikum zu richten, ist der falsche Weg. Diesen Weg zu gehen, bedeutete soviel, wie die ORF-Kultursendung am Montag gegen den Musikantenstadel auszutauschen. Damit sage ich nichts gegen den Musikantenstadel, aber es handelt sich um zwei verschiedene Ausrichtungen. Das eine ist Entertainment und Kommerz, das andere Kunst und Kultur. Ich glaube, dass Österreich Kunst und Kultur braucht und sich nicht auf Entertainment und Kommerz zurückziehen darf.

Die Furche: Stichwort "Operette": Die letzten Operetten-Produktionen des "Klangbogen" erfreuen sich nicht ungeteilter Zustimmung. Worin liegt die Schwierigkeit, heute Operette adäquat auf die Bühne zu bringen?

Geyer: In Wien wurde über Jahre hinweg die Operette für ein 50 plus-Publikum gemacht. Dass man auch das ältere Publikum erfreuen möchte, ist sehr wichtig, so kann man aber kein junges Publikum ansprechen. Ich bringe in diesem Zusammenhang immer ein verrücktes Beispiel: Der Schuhhersteller Humanic hat vor 20 Jahren erkannt, dass das Publikum mit dem Produkt mitaltert. In den sechziger Jahren kauften die 20- bis 30jährigen, in den achtziger Jahren kauften dann die 50jährigen bei Humanic. Die Überlegung lautete: Wenn wir so weitermachen, beginnt uns unser Publikum in 20 Jahren wegzusterben - oder wir versuchen etwas ganz Neues, um das junge Publikum anzusprechen. Daraus entstand die berühmte "Franz"-Werbung.

Man muss sich auch bei der Operette trauen, neue Wege zu beschreiten, man muss sich trauen, die Operette so weit zu entwickeln, dass sie theoretisch auch in einem leeren, schwarzen Bühnenbild funktioniert - dafür würde man hier wahrscheinlich gekillt werden. Dass diese Wege steinig und dornig sind, dass diese Wege teilweise nicht verstanden werden, und dass diese Wege auch die Gefahr bergen, nicht aufzugehen, ist klar.

Darin sehe ich das Hauptproblem und weniger in dem oft erhobenen Vorwurf, die Libretti seien dümmlich. Aber wo liegt der große Unterschied zwischen dem Libretto von Lehars "Land des Lächelns" und dem Libretto von Puccinis "Madame Butterfly"? Der Ansatz ist ähnlich, aber niemand würde sagen: "Butterfly" hat ein dummes Libretto oder "Land des Lächelns" ein kluges. Was uns fehlt, ist eine Modernisierung, eine Adaptierung dieser Libretti in neue Formen. Ein Großteil der Operettenmusik ist wirklich erstklassig und es wäre schade, mit dem Genre auch diese Musik sterben zu lassen.

Die Furche: Wo sehen Sie die Zukunft der Operette im Spektrum zwischen den Extrempunkten Mörbisch und etwa Kalmans "Csardasfürstin" in Dresden, wo eine kopflose Leiche über die Bühne tanzt?

Geyer: Mindestens die Hälfte des Mörbisch-Publikums sagt nachher: Es war wunderschön und das Feuerwerk war klass'. Wo ein Feuerwerk notwendig ist, um den letzten Effekt zu erzeugen, dort will ich die Operette nicht ansiedeln. Mörbisch ist für mich kein Kunstprojekt.

Ich will die Operette nicht mit rein plakativen Mitteln aufsprühen lassen. Ich habe die "Csardasfürstin" in Dresden nicht gesehen, deshalb kann ich nicht sagen, ob das ein richtiger Ansatz ist. Aber man darf Operette nicht mit Unterhaltungsindustrie gleichsetzen. Wenn Sie heuer das Werberlied in Mörbisch sehen, haben Sie das Gefühl: Des is a Hetz'. Aber eine Rekrutierung ist keine "Hetz'" - das ist beinhart. Muss man die Operette denn immer so bringen, dass das Publikum es als lieblich empfindet?

Die Furche: Fixer Bestandteil des "Klangbogens" ist die zeitgenössische Oper. Warum?

Geyer: Wenn man den Anspruch erhebt, ein Kunstmusikfestival zu machen, dann darf die zeitgenössische Musik nicht fehlen. Dieses Konzept hat sofort eingeschlagen. Letztes Jahr standen die Leute vor dem Semperdepot Schlange wie vor der Kinokasse und haben gebettelt, sich noch irgendwo in eine Ecke stellen zu dürfen. Nichtsdestotrotz darf man nicht blauäugig sein: Es ist in Wien nicht gelungen, die Musik der letzten 20 Jahre an ein größeres Publikum heranzubringen. Das Semperdepot ist zwar immer voll, aber von Besucherströmen von 1.000 Besuchern pro Abend darf man nur träumen. Das stimmt mich traurig, denn ich hege für die Musik des 20. Jahrhunderts den gleichen Enthusiasmus wie für die Operette.

Das Gespräch führte Michael Kraßnitzer ZUR PERSON Mathematiker als Intendant Roland Geyers Weg zum Musikintendanten der Stadt Wien war kein gerader: Ursprünglich arbeitete der studierte Mathematiker und Wirtschaftler als Software-Designer, bevor er im Zuge eines (nicht abgeschlossenen) sportwissenschaftlichen(!) Doktoratsstudiums in einen Amstettner Sport- und Kulturveranstaltungsbetrieb hineinrutschte. 1983 wurde er Intendant der Amstettner Sommerfestspiele, 1987 Geschäftsführer der "Jeunesse Musicale" in Österreich. 1997 wurde er zum Musikintendanten der Stadt Wien bestellt, womit er auch zum Intendanten der Wiener Osterfestspiele "Osterklang" und des Sommerfestivals "Klangbogen" avancierte. Noch immer hat der 1952 geborene Wiener, der sich für Operette ebenso begeistert wie für zeitgenössische Musik, einen Lehrauftrag in Mathematik.

Der in Geyers Geburtsjahr als "Musikalischer Sommer" gegründete "Klangbogen" erlebte in den letzten Jahren einen großen Aufschwung, der von Geyer 1997 ins Leben gerufene "Osterklang" vereint alljährlich in der Karwoche sakrale und weltliche Musik und "lotet dabei das Verhältnis zwischen Mensch, Gott und Universum aus". MK

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