Ohne Grenzen

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Das Motto der Bewerbung für die Winterspiele 2006 ("ohne Grenzen") muß eher als Anspruch, denn als Beschreibung der Realität gelesen werden.

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Das Motto der Bewerbung für die Winterspiele 2006 ("ohne Grenzen") muß eher als Anspruch, denn als Beschreibung der Realität gelesen werden.

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Wenige Kilometer nördlich von Klagenfurt, zwischen dem Ulrichs- und dem Magdalensberg, liegt die sogenannte Lindwurmgrube. In diesem künstlichen Erdloch entdeckte man im Mittelalter den Schädel eines eiszeitlichen Wollnashorns, den man sogleich als das Haupt des sagenhaften Lindwurms identifizierte. Das heute im Kärntner Landesmuseum ausgestellte Fossil diente später dem steinernen Klagenfurter Hausdrachen als Vorbild. Der Umstand, daß das gehörnte (!) Wappentier der Stadt die Gesichtszüge eines heute in Afrika lebenden Steppentieres trägt, ist ein vortreffliches Symbol für die geografische Ambivalenz dieser Stadt, die je nach Blickwinkel einmal nahe der Adria, dann wieder inmitten der Alpen zu liegen scheint.

Klagenfurt wird gerne als "südliches Bollwerk" des deutschen Kulturraumes bezeichnet und gilt - mit seinen italienisch beeinflußten Bauwerken und slowenischen Bevölkerungsresiduen - gleichzeitig als nördlicher Vorposten eines mediterranen Lebensgefühls. Geografisch scheint nur eines festzustehen: daß die Stadt östlich von Villach liegt. Dieses Bewußtsein beeinträchtigt seit jeher das metropolitane Selbstwertgefühl der Klagenfurter, für die jenseits des Wörther Sees stets der Goldene Westen, Schlaraffenland lag. Während nämlich innerhalb der eigenen Mauern bis Mitte des 19. Jahrhunderts die konservativen Landstände regierten (eine Einmaligkeit in der deutschen Verfassungsgeschichte), herrschte im bambergisch und später napoleonisch geprägten Villach eine geradezu weltbürgerliche Offenheit. Der Hochmut der kleineren Schwesterstadt, wie er sich alljährlich im Villacher Fasching entlädt, ist auch altersbedingt. Zu einer Zeit, als in der Paracelsus-Stadt schon römische Postkutschen verkehrten, hauste diesseits des Wörther Sees noch der Lindwurm. Das wurmt die Klagenfurter noch heute. Es ist bezeichnend für diese Situation, daß Kärntens Landeshauptstadt kein eigenes Stadtmuseum besitzt, im Gegensatz zu Villach, St. Veit oder Friesach.

Wie sehr man sich bemühte, den Makel der späten Geburt loszuwerden, läßt sich einmal mehr am Lindwurmbrunnen, diesem trügerischen Wahrzeichen der Stadt, erkennen. Das etwas inhomogene Kunstwerk zeigt nämlich als Bezwinger des rhinozerosartigen Untiers den antiken Helden Herkules, der zur Zeit der Stadtgründung schon längst im Olymp weilte. Historisch richtiger wäre es gewesen, an seiner Stelle einen Viktringer Zisterziensermönch oder einen jener slawischen Bauern darzustellen, die im Mittelalter die Gegend bonifizierten. Daß der Künstler mit diesem Problem gerungen hat, beweist die Tatsache, daß Herkules einen Schnurbart trägt.

Überhaupt legt Klagenfurt im Umgang mit seiner eigenen Geschichte eine geradezu südländische Lässigkeit an den Tag. Als man kürzlich den 800. Namenstag der Stadt feierte, berief man sich auf eine zwischen 1193 und 1199 verfaßte Pergamenthandschrift, worin erstmals von einem "forum Chlagenvurt" die Rede ist. Arithmetisch korrekt hätte man das Jubiläum 1996 begehen müssen Da man dabei aber mit den Ostarrichi-Feiern übers Kreuz gekommen wäre, legte man sich schließlich auf die Jahre 1997 und 1998 fest.

Eine weite Spielwiese für Interpretationen eröffnet auch der Stadtname selbst. Ob mit "Chlagenvurt" eine "Furt der Klage" oder eine Furt über das Flüßchen Glan gemeint ist, konnte bis dato nicht überzeugend geklärt werden. Intime Klagenfurt-Kenner entscheiden sich für gewöhnlich für letztere Variante. Denn, was sollte es in dieser Stadt auch zu beklagen geben? Laut Umfragen gehört die "Rose am Wörther See" - so die touristische Eigendefinition - zu den attraktivsten Europas, was allein schon der Umstand belegt, daß sich deutsche Primarärzte regelrecht darum reißen, in Österreichs drittgrößtem Krankenhaus als Oberarzt dienen zu dürfen. Geradezu legendär ist der hohe Freizeitwert der Stadt. Wer jemals das Klagenfurter Strandbad - angeblich das größte Mitteleuropas - von innen sah, weiß um den Unterschied zwischen otium und negotium (Muße und Geschäft) Bescheid. Dank der nahegelegenen Universität gehört es außerdem zu den belesensten Stränden der Welt. Schon von daher scheint die Bezeichnung Wörther See absolut gerechtfertigt.

Auch Robert Musil, der berühmteste Sohn der Stadt, hat von den literarischen Möglichkeiten des Sees Gebrauch gemacht. In einem Brief schwärmte der Schriftsteller, wie schön es doch sei, in diesem "spazieren zu schwimmen". Leider hielt es ihn in seiner Geburtsstadt ebensowenig wie Ingeborg Bachmann. Für die provinzscheue Dichterin lag Klagenfurt eindeutig zu weit im Norden. Um diese Schmähung ungeschehen zu machen, veranstaltet die Stadt alljährlich ein Wettlesen in ihrem Namen.

Balsam auf die Wunden der Klagenfurter ist hingegen der Umstand, daß sich der (erst kürzlich verstorbene) weltbekannte Dichter Julien Green nach 97 Lebensjahren in der Stadtpfarrkirche St. Egid zur letzten Ruhe legte. Vermutlich wollte der frankoamerikanische Romancier seine Ex-Kollegen in der Academie francaise ärgern. Kennengelernt hatte er Klagenfurt, diesen "Hort des Friedens und des Glücks", bei der Uraufführung eines seiner Stücke durch das hiesige Stadttheater. Dieses seit kurzem runderneuerte Traditionshaus ist neben dem Landhaus und der Bischofsresidenz der einzige bedeutende profane Repräsentationsbau der Stadt. Es genießt einen ausgezeichneten Ruf, wenngleich sich sein Intendant - warum wohl? - seit Jahren darum bemüht, das Stadttheater in "Landestheater" umbenennen zu lassen.

Für die schönen Künste hat man in der 90.000-Einwohner-Stadt immer schon etwas übrig gehabt. Die Zerstörung der Landhausfresken Anton Koligs im Jahr 1938 bildet dabei ebenso eine unrühmliche Ausnahme wie die 60 Jahre später einsetzende Kampagne gegen deren Wiederherstellung durch Künstler-Enkel Cornelius Kolig.

Die Klagenfurter haben sich aber stets redlich bemüht, ihre inneren und äußeren Grenzen zu überwinden. Ein Beispiel dafür ist Minimundus. Diese niedliche Ansammlung globaler Sehenswürdigkeiten ist der ehrgeizige Versuch, die Welt an einem Ort, hinter einem Zaun, dingfest zu machen.

Grenzenlosigkeit ist auch das Motto, unter welches die Stadt ihre Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2006 gestellt hat. Das Dilemma dabei: Wie lassen sich "Spiele ohne Grenzen" (senza confini/bres meja) verwirklichen, wenn es für die Klagenfurter Stadtväter schon ein Problem darstellt, mit den anderen See-Gemeinden einen gemeinsamen Tourismusverband zu gründen? Flankierende Maßnahmen, um diesem Problem beizukommen, hat der amtierende Bürgermeister bereits vor Jahren ergriffen. Mit dem von ihm initiierten Ankauf der Bibliothek Sir Karl Poppers setzte er ein deutliches Zeichen in Richtung der vom Philosophen propagierten "Offenen Gesellschaft". Und diese wendet sich bekanntlich gegen jede Form von "Tribalismus" (Stammesbewußtsein), etwa der Krumpendorfer oder Pörtschacher.

Wie sehr man in Klagenfurt um Multikulturalität bemüht ist, zeigt auch ein Vorfall im Kärntner Haus der Literatur. Nachdem bei dessen offizieller Eröffnung die Reden nur auf Deutsch und Slowenisch gehalten worden waren, kam es prompt zum Eklat mit den Stadtoberen, die sich empörten, daß neben der "Fremdsprache" des Slowenischen nicht auch Italienisch gesprochen wurde.

Die wohl radikalste Lösung, um Klagenfurt aus seinem geografischen Dilemma herauszuhelfen, schlug ein eingeborener Satiriker vor. Er forderte die Niederreißung der Karawanken, um solcherart einen freien Zugang zum Meer zu schaffen. Die Verwirklichung dieser alpenadriatischen Vision hätte neben der zu erwartenden Klimaverschiebung auch eine positive Auswirkung auf das Selbstwertgefühl der Klagenfurter: Diese müßten nicht erst auf den Großvenediger klettern, um auf Venedig herabblicken zu können. Es genügte dafür bereits ein Sonntagsausflug auf den Ulrichsberg.

Der Autor ist Kulturredakteur der Kärntner "Kleinen Zeitung".

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