"Ohne Heimat sind wir ein Tiger und kein Kätzchen"

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Wie viele Tode war er schon gestorben, bevor die Welt jetzt auf sein Sterben schaute?

Im blutigen "Schwarzen September" 1970, als Jordaniens Hussein "alle Guerillas, Gorillas und anderes Affenzeug" niederwarf. Im Oktoberkrieg 1973. Im libanesischen Drama der 70er Jahre. Im Existenzkampf mit Israel. Immer wieder gehetzt und verraten, belagert, eingekesselt und in die Flucht gebombt.

Wie oft war er Ziel von Verschwörungen und Attentaten arabischer und israelischer Geheimdienste und inner-palästinensischer Todfeinde - wie oft schon "endgültig erledigt" und "bis zur Bedeutungslosigkeit geschwächt"?

Warmherzig und scheu

45 Jahre im Schatten des Todes. Und doch lebte er - und wurde auch durch sein Überleben zum Symbol des palästinensischen Schicksals: Yassir Arafat, der Terrorist und Friedensnobelpreisträger. Der Vertriebene mit der zum Siegeszeichen erhoben Hand. Der Präsident eines Staates, den es nicht gibt. Der Mann großer Rhetorik und provokanten Lächelns, der sich im persönlichen Gespräch als warmherzig, scheu und introvertiert erwies. Der Bettler für sein in Elendslagern verzweifelndes Volk - mit den angeblich sagenhaften geheimen Finanzreserven.

Schon sein Auftreten signalisierte alle Widersprüche des Nahen Ostens: Das Kopftuch des Beduinen und die Khaki-Uniform des Kämpfers. Ein leidenschaftlicher Friedensprophet vor den Vereinten Nationen - mit Pistolenhalfter am Gürtel. Er verweigerte (als seine letzte Trumpfkarte) Israel lange das Existenzrecht - auch dann noch, als er längst den Dialog mit friedensbereiten Israelis begonnen hatte. "Solange wir keine eigene Heimat haben, sind wir ein Tiger und kein Schmeichelkätzchen", sagte er mir einmal. Und doch wusste er, dass das Gesetz des Stärkeren nicht auf seiner Seite war. Dass der Terror - die Gewalt der Ohnmächtigen - zwar Aufsehen bringen konnte, aber kein Ansehen. Dass nun Politik gefordert war und Kompromiss.

Aber das Schicksal hatte ihn an den Kreuzungspunkt unvereinbarer Widersprüche gesetzt:

* Hier prallten zwei Völker aufeinander, die beide Gefangene ihrer Geschichte waren: Der im Holocaust gewachsenen Sehnsucht der Israelis nach totaler Sicherheit und der tiefen Verwundung der Palästinenser durch Demütigungen und Unrecht. Diesem Teufelskreis war nur durch spektakuläre Friedensgesten zu entkommen.

* Genau die aber waren angesichts der Gesprächsverweigerung Israels und im Netzwerk palästinensischer Gruppierungen nicht möglich. Seine zerstrittene und fremdgesteuerte PLO mit Schlauheit und List zusammenzuhalten - ohne Blutvergießen aber mit permanenten Reibungsverlusten -, war sein größtes Verdienst. Denn für ein verstreut lebendes Volk unter fremder Besatzung ist allein eine letztlich unbestrittene Führung von unschätzbarem Wert. Zugleich aber ein Friedens-Dilemma ohne Ausweg: Der kleinste gemeinsame Nenner reicht nicht zum Aufbruch.

Finale voller Symbolkraft

"Ich lebe mit dem Strom der Geschichte, nicht gegen ihn. Deshalb bin ich nie deprimiert", sagte mir Arafat, als der Taifun wieder einmal scheinbar unentrinnbar heranrollte. Mag sein. Nur: Die Geschichte hat einen sehr langen Atem - zu lange für Arafats Lebensspanne. Sein Finale war von furchtbarer Symbolkraft: Ein Gefangener in Ramallah - ohne Licht am Horizont. Und dann: Ein "Vater der Nation" im Niemandsland zwischen Tod und Leben. Bewegungslos, hilflos - und ganz fern der Heimat. Heinz Nußbaumer

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