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Ohne Kirche und Dogmen?

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Karl Rahner, ein berühmter Mitbruder des Autors, hat vor mehr als einer Generation den vielzitierten Begriff des „anonymen Christen” geprägt und damit auf das vielfältige Christentum außerhalb der (katholischen) Kirche hingewiesen. Noch, früher, vor mehr als hundert Jahren, hat der französische Theologe Alfred Loisy die zynische Bemerkung gemacht: Jesus hat das Reich Gottes verkündet, und gekommen ist die Kirche. Schon im Neuen Testament wird Kirche als Institution relativiert. Jesus belehrt seine Jünger über die Grenzen der Institution (Mk 9,38-40: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns). Die Apokalypse beschreibt die absolute Zukunft ohne 'Tempel, hingegen als Stadt mit zwölf offenen Toren (Offb 21,22-25).

In diese katholische Kirchenkritik stimmt Rupert Lay wuchtig ein. Seine „ketzerischen” Thesen haben ihm ein ordensinternes Lehr- und Publikationsverbot eingebracht. Das Buch verstößt formal nicht dagegen, denn es ist eine Sammlung seiner Schriften von 1988 bis 1995, nicht „aus dreißig Jahren publizistischer Tätigkeit”, wie der Klappentext maßlos übertreibt.

Der umstrittene Jesuitenpater ist ein sonst kaum mehr anzutreffendes Universalgenie. Außer dem 'Theologiestudium hat er Abschlüsse in Philosophie, Betriebswirtschaft, Medizin und Chemie. Er ist habilitierter Physiker, ausgebildeter Psychoanalytiker, begehrter Manager- und Politikerberater und -trainer, Universitätsprofessor und Hobbytaucher. Als Priester und Ordensmann scheint er die Heimatlosigkeit in dieser Welt zu l(i)eben, als „Sohn” des Ignatius hingegen versucht er das berühmte „Gott-finden-in-allen-Dingen”. Er sucht eine Beligiosität, die „Gott und Welt in eins sehen kann”. Im Rahmen seiner pastoralen '1 atigkeit hat er dazu genug Gelegenheit.

Reiche und einflußreiche Persönlichkeiten, die sich ihm anvertrauen, erkennen in der institutionalisierten Großkirche zu wenig bis gar nicht die lebensbejahende Botschaft Jesu. Die „Agentenkirche” lebt die Heilsgemeinschaft nicht mehr wirklich. Dogmen aus 20 Jahrhunderten verdunkeln mit ihren nicht mehr zeitgemäßen Formulierungen das Evangelium, statt es zu erhellen und in der Welt von heute zu realisieren. Dabei räumt der Verfasser ein, daß es schwerwiegende Abweichungen von christlicher Religiosität wie Aberglauben durchaus gibt. 'Trotzdem hält er an der Notwendigkeit des von ihm sehr geschätzten Ketzertums fest.

So weit, so gut, so problematisch. Zwar beginnt die Christentumsgeschichte bereits mit einer grundsätzlichen Religionskritik; zwar ist es unbestritten, daß durch Jahrhunderte Ketzer, die wie Franz von Assisi später als I Ieilige verehrt wurden, Fortschritte der Kirche ermöglicht haben; zwar hat das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich darauf verzichtet, Dogmen zu formulieren und damit Christen auszugrenzen. Dennoch bleiben die Gedanken Lays vielfach unscharf und undeutlich.

Es ist heute nicht mehr möglich, unter Ausschaltung einer langen 'Traditionsgeschichte auf den eigentlichen, wirklichen, unverfälschten Ursprung des Christentums zu stoßen. Man kann nicht einfach die Bibel zitieren, um die wahre Absicht Jesu wiederzuentdecken, dies würde sofort fundamentalistisch. So ist die exegetische Auseinandersetzung mit dem Psychoanalytiker Eugen Drewermann viel zu kurz(sichtig) geraten. Wenn Lay den Dialog der 'Theologie mit den Naturwissenschaften fordert, rennt er, offene 'Türen ein. Andererseits sieht er gerade letztere viel zu rosig, wenn nicht naiv. Daß Physik, Chemie oder Medizin nur mit Tatsachen, klaren Begriffen, Vorurteilslosigkeit zu tun haben, bestreitet die moderne Wissenschaftstheorie.

Zum Verhältnis von Dogmatik und Glaube: Ganz ohne Institution, ohne immer wieder neue - Formulierungen seiner Grundsätze wird das Christentum nicht auskommen. Die Theologie darf sich sicher nicht mehr als unfehlbare, ängstliche Hüterin absoluter Wahrheit verstehen, aber das gemeinsame, dialogische Suchen nach ihr deswegen nicht aufgeben. Es bleibt Lay und seinen Oberen zu wünschen, daß seine Anliegen nicht mit „Denkverboten” mundtot gemacht werden.

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