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Ohne politische Aktualität

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Der Begriff „christliche Demokratie“ bezeichnet eine historische Leistung, vergleichbar etwa den Begriffen „christliches Abendland“ oder „isacrum Imperium“. Rüokblik-kend (erscheinen solche Bezeichnungen meist zugleich als Fehlbezaich-nungen, war doch die Geschichte des christlichen Abendlandes reich an unchristlichen Varkommnissen, die Politik des Heiligen Reiches häufig mehr profan als heilig und die christliche Demokratie nie die christliche Demokratie. Um mit Karl Rahner zu sprechen: „Es gibt nie die4 christliche Kultur, die christliche Bildung, die christliche Politik, die christliche Partei usw. Es kann, grundsätzlich wenigstens, immer nur Dinge geben, die insofern unchrist-lich sind, als sie mit bestimmten christlichen Allgemeinnoiimen in Widerspruch stehen; es kann christliche Kulturen, Bildungsweisen, Parteien usw. geben, insofern diese, faktisch einigermaßen und grundsätzlich gewillt, mit diesen Prinzipien harmonisiert sind; aber es kann nie (außer der Kirche selbst) ein konkretes Einzelnes im Bereich der Weltgeschichte und der Kultur den Anspruch erheben, allein und grundsätzlich exklusiv die christliche Realisation zu sein ... Wir Christen sollen uns rühmen, die richtigen Maximen für eine sinnvolle Gestaltung des menschlichen Daseins zu haben... Aber als Christen können wir kein einheiitliches Programm haben, wenn ein solches konkret sein soll.“

Dessen ungeachtet kann der an sich zweifelhafte Begriff „christliche Demokratie“ zeitweilig politische Aktualität beanspruchen. Ebenso wie es falsch wäre, aus der Unzulänglichkeit des Begriffes „Heiliges Reich“ schließen au wollen, daß es dieses besser gar nicht gegeben hätte, ist es ein historisches Faktum, daß der Ursprung der Demokratie in ihrer neuzeitlichen Form von der

im 19. Jahrhundert zum Schutz der christlichen beziehungsweise katholischen Weltanschauung angetreten. Gleicherweise erschien vielen der Rückgriff auf das Humanuni und Christianum als Grundidee des polir tischen Wiederaufbaues auf dem Trümmerfeld der Naziherrschaft und des zweiten Weltkrieges geboten.

Inzwischen hat die moderne Demokratie begriffen, daß sie sich menschenwürdig nur verstehen kann als staatliche Integration der pluralistischen Interessen, Meinungen, Bestrebungen und letztlich auch Weltanschauungen. Die Christen anderseits haben gelernt, daß man zum Christentum nur bekehren, aber nicht zwingen, in Weltanschauungsfragen - also nur überzeugen und nicht überstimmen kann. Sowohl nach den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils als auch nach den Erkenntnissen der politischen Wissenschaften kann daher . dem Begriff „christliche Demokratie“ für die Gegenwart '■ keine politische Aktualität zuerkannt werden!

Dieses demokratische Modell kann aber nur dann ohne unüberwindliche Schwierigkeiten in die politische Praxis unigesetzt werden wenn jedes Parteiprogramm! ein echtes Staatsprogramm ist, also' die Verwirklichung des Gemeinwohles für alle Bürger anstrebt. Weltanschauungsparteien sind demnach keine geeigneten Bausteine für die Errichtung einer demokratischen Ordnung; sie wirken nicht integrierend, sondern desintegrierend, vertiefen die Gegensätze und beziehen Fragen in den politischen Meinungsstreit ein, die mit Hilfe des Mehrheitsprinzips nicht zu beantworten sind. '

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das bedeutet nicht, daß das Christentum in Gesellschaft, Staat und Politik keine Aufgabe zu sehen habe, wohl aber, daß die auf den Einzelmenschen zielende apostolische Aufgabe des Christentums nicht über den Umweg der Politik erfüllt werden kann. Mit anderen Worten: Wenn die Bürger eines Staates als einzelne (!) Christen sind, dann werden Staat und Parteien christlichen Grundsätzen entsprechen, ohne daß sie dies in ihren Bezeichnungen, Symbolen usw. besonders betonen müßten! Für das christliche Apostelat ist die Politik ein ablenkender Umweg, für die christliche Gestaltung von Gesell-

schaft, Staat und Politik ist umgekehrt das Apostolat ein potestas inidireota.

Daß die österreichische Volkspartei von vielen ihrer Gründer als christlich-demokratische Partei konzipiert war, scheint mir ebenso eine Tatsache wie die, daß sich allmählich auch in ihr das Bewußtsein der geänderten Verhältnisse durchzusetzen beginnt. Sagte doch ihr Generalsekretär und Kluböbmann in einem Interview mit der „Wiener Kirchenzeitung“ zutreffend: „Die katholische Kirche ist derzeit dabei, ein leidvolles Kapitel der Geschichte Österreichs aufzuarbeiten: Es ist ihr gelungen, Kontakt zur österreichischen Sozialdemokratie zu finden und damit Gelegenheit au haben, an Stelle eines kulturkämpferischen Schlagaustausches ein religiöses Gespräch einzuleiten. Daß nach so vielen Jahren kulturpolitischen Kampfes und kulturkämpferischer Auseinandersetzungen mit der Sozialdemokratie jetzt ein Weg des Gespräches gefunden wurde, muß jeden Katholiken über alle parteipolitischen Überlegungen hinweg mit Genugtuung erfüllen, ist doch damit ein Beitrag für den inneren Frieden in Österreich und eine größere Wir-kungsmöglichkeit der Kirche ermöglicht ...“ Auch der „christliche“ (Partei-)Politiker soll der Kirche dienen und nicht sich ihrer bedienen!

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