Opera buffa über die Zukunft der Religion

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Braunau liegt am Ganges und Adolf Holl ist ein Hindu. So wahrscheinlich wie das eine ist auch das andere in Holls persönlichem "Schattensystem", das er in seinem stilistisch brillanten Buch aufdröselt. Er sucht nach jenen "Selbstverständlichkeiten, die das Abendland eingebüßt hat" - im Umgang mit Zeit, mit Gott, mit der Welt im Ganzen. Der Theologe Holl benützt dabei den Religionssoziologen Holl, um eine Art opera buffa über die mögliche Zukunft der Religion zu erfinden. So muss man den sehr assoziativen Umgang mit Symbolen und Geschichte(n) wohl bezeichnen. Die Bedeutung von Symbolen kommt aus dem Zusammenhang, in dem sie verwendet werden. Doch in Holls persönlicher "Schattenwelt" ist Indien nur eine Projektionsfläche für allerlei Fantasien, die bedauerlicherweise aus der kolonialistischen Mottenkiste zu stammen scheinen - dem "Hindu-Reservat", so Holl. Anders kommt man wohl auch nicht auf die Idee, dass Hakenkreuz und indische Swastika mehr als die Form gemeinsam haben.

Der Hinduismus sei eine abschreckende Vielgötterei, meinten die Kolonialherren und Missionare des 19. Jahrhunderts, eine Ansammlung von Abstrusitäten und Gräuel, die man dennoch fasziniert betrachtete. Oder geht's um sex sells, wenn bei Holl vor dem Kali-Tempel in Kolkata "minderjährige Mädchen auf die Verwendung zum Liebesdienst" warten? Ist das Männerfantasie? Es gibt am Kali-Ghat täglich jede Menge Bettler und hunderte Gläubige, die kommen, um Kali zu verehren. Holl macht die Göttin gerne zur Bösen, schon weil sie die Zunge herausstreckt und auf einem Leichnam tanzt, ein Bild, das für einen Europäer schwer verdaulich sein kann. Die Menschen in Kolkata jedoch verehren Kali als Mutter des Lebens, und die Wut der Göttin richtet sich gegen die Dämonen, gegen die bösen Kräfte des Universums, die es zweifellos gibt.

Der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar machte Holl darauf aufmerksam, dass nach Hindu-Überlieferung das Böse nicht in Gottheiten wie Shiva oder Kali liegt, sondern vonDämonen verkörpert wird, mit denen die Gottheiten im Kampf liegen. Holl zitiert das Gespräch, doch weiß er es offenbar selbst besser, denn Gott Shiva ist bei ihm Bild für Atombomben oder Hitlers Vernichtungspolitik.

Holls Sehnsucht, die "Göttereien" nach der Art von Kindern wahrzunehmen, spielerisch und leicht, kann nicht in Erfüllung gehen - zu sehr herrschen der Geist der Schwere und simplen Dichotomien. So liest man sein Buch am besten nicht als Sachbuch, sondern als religious fiction.

Braunau am Ganges

Von Adolf Holl.

Residenz Verlag 2015

144 Seiten, geb. € 17,90

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