Option Gerechtigkeit

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Wer hätte das gedacht: Eine neue Bibelübersetzung schafft es mühelos, Schlagzeilen in großen deutschsprachigen Tageszeitungen zu provozieren! Die Bibel in gerechter Sprache, von bekannten evangelischen Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftlern herausgegeben, wird seit ihrem Erscheinen überaus kontrovers diskutiert.

Bibelübersetzungen sind Großprojekte. Dass eine komplette Neuübersetzung in so kurzer Zeit verwirklicht werden konnte, ist nicht nur der Leidenschaft der Herausgebenden und einem Kreis von über 50 evangelischen und katholischen, großteils jungen Übersetzenden zu verdanken, sondern auch vielen einzelnen Spenden der Kirchenbasis und der Unterstützung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.

Eine notwendige Ergänzung

Die Bibel in gerechter Sprache" ist vor dem Hintergrund der Problemlage einer in Bezug auf Judentum, Frauen und Diskriminierte recht unbeweglichen Übersetzungslandschaft kirchlich gebundener deutscher Bibeln zu verstehen. Sie versucht nicht nur eine "behutsame" Annäherung an eine gerechte Sprache, sondern verfolgt Gerechtigkeit als ausdrückliche Option.

Die neue Bibel wendet sich dabei nicht nur gegen die Diskriminierung des Weiblichen, sondern auch gegen eine Verschleierung von unrechten Herrschaftsverhältnissen. So lässt etwa die herkömmliche Übersetzung von "Knecht" und "Magd" für unfreie Personen an minderbezahlte Landarbeiter denken; Sklaven und Sklavinnen hingegen waren in der Antike Menschen ohne Personenrechte.

Vielfältige Gottesnamen

Gab es vor dem Erscheinen der Einheitsübersetzung noch Übertragungen, die den Gottesnamen ausschrieben - was freilich in Anbetracht des jüdischen Verbotes, den Gottesnamen auszusprechen, und aufgrund der Unsicherheit der Vokalisierung problematisch ist - so ist der Gottesname seither aus den deutschsprachigen Bibeln verschwunden.

Den wenigsten Bibellesenden ist bewusst, dass dort, wo "Herr" in ihrer Übersetzung steht, in den seltensten Fällen "Herr" im Originaltext steht.

Auch wenn Adonaj (hebräisch) und Kyrios (griechisch) in der Antike als Umschreibung des göttlichen Namens verwendet wurden, ist die Praxis, JHWH mit "Herr" zu übertragen, problematisch: Der Gottesname wird dadurch sowohl seines dynamischen als auch seines geschlechtsneutralen Aspekts beraubt. Denn die Namenserklärung in Ex 3,14 (vgl. Abb. oben) legt im Hebräischen die Gottheit weder grammatikalisch auf ein Geschlecht noch semantisch auf Herrschaft fest.

Umschreibungen von JHWH

Die Bibel in gerechter Sprache geht von der These aus, dass Gottes Name unübersetzbar ist. Sie verwendet daher eine Vielzahl von Umschreibungen und hebt diese typographisch als Platzhalter hervor. Einige dieser Bezeichnungen haben im Judentum eine lange Tradition (zum Beispiel: Adonaj, ha-Schem, der Name, ha-Makom), andere sind von der Verdeutschung der Schrift von Buber/Rosenzweig inspiriert (zum Beispiel: Du). Die Verwendung dieser Bezeichnungen, leitet zur Reflexion über die jüdischen Wurzeln des Christlichen an - was Christgläubigen nie schaden kann!

Wenn auch jeweils die weibliche Form vorgeschlagen wird (etwa: der/die Ewige; der/die Eine, die/der Heilige), ist dies keine inhaltliche Verfälschung der Heiligen Schrift (das wäre es nur bei ausschließlich weiblichen Bezeichnungen!), sondern ein berechtigter Reflex auf das Bilderverbot, das die eine und einzige Gottheit von jeglicher geschlechtlicher Fixierung freihalten will (vgl. Dtn 4,16ff.).

Wider Gottes Trivialisierung

Die vielfältigen Umschreibungen des göttlichen Namens widersetzen sich zudem einer unverantwortbaren Trivialisierung der Gottesvorstellung. Denn ein "Herr" ist im heutigen Sprachgebrauch ein Mann und verweist auf das Geschlecht eines Menschen, wohingegen der Herr/ Kyrios in der Bibel die Herrschaftsposition bezeichnet und sowohl für menschliche als auch für göttliche unumschränkte Macht steht.

Da dies im heutigen Deutsch nicht mehr assoziiert wird, sollte man - wenn schon nicht der Geschlechtergerechtigkeit wegen - wenigstens zur Bewahrung der Heiligkeit Gottes vor trivialer Profanisierung - auf die Umschreibung mit "Herr" verzichten.

Zur Anordnung der Bücher

Christlichen Menschen wird auffallen, dass die biblischen Bücher nicht an ihrem "gewohnten" Platz stehen, sondern der jüdischen Kanonanordnung, Tora - Prophetie - Schriften, gefolgt wird.

Was für Ungeschulte eine unbequeme Neuerung darstellen mag, kommt lediglich der Forderung nach Gerechtigkeit nach: Das so genannte Alte Testament entspricht im Kanonumfang der protestantischen Kirchen der Hebräischen Bibel, die zuallererst - sowohl historisch als auch theologisch - die Heilige Schrift des Judentums ist.

Wenn manche Bücher doppelt abgedruckt sind, einmal in der hebräischen Textversion unter dem Kanonteil der Schriften und das andere Mal in der griechischen unter den (in den protestantischen Kirchen als Apokryphen bezeichneten) deuterokanonischen Büchern, mag dies für katholische Lesende gewöhnungsbedürftig sein.

Nur so aber kann man der Unsitte, Texte zu kreieren, die in den Ursprachen nicht existent sind, entkommen. Die griechischen Versionen von Ester oder Daniel haben eine andere theologische Aussage und kommen eben nicht durch "Zusätze" zum hebräischen Text (so die Einheitsübersetzung) zustande.

Ein Bibeltext, wie er ist

Die Bibel in gerechter Sprache verzichtet zur Gänze auf Versuche der Gliederung. Überschriften sind Leseleitlinien, die das Vorverständnis der Texte bei den Lesenden prägen und den folgenden Text nicht mehr neutral wahrnehmen lassen.

In Anbetracht der Tatsache, dass der ursprüngliche Bibeltext keine Überschriften kennt, was vielen Bibellesern und-leserinnen nicht bewusst ist, ist deren Fehlen in dieser Übertragung ein Akt der Gerechtigkeit gegenüber dem Text.

Kreative Übertragung

Wer sich an die Übersetzung der Bibel wagt, wird immer Kritik ernten. Zu emotional beladen ist der Umgang mit diesem bedeutendsten Buch der abendländischen Kulturgeschichte, das seit Jahrtausenden als heilig geachtet wird. Über Einzelfragen werden sich Fachleute immer streiten, und kritische Anmerkungen sind auch zu dieser Übertragung zuhauf zu formulieren. Wer diese Übersetzung jedoch kategorisch ablehnt, sollte sich zuvor über die Alternativen im Klaren sein.

Diese Bibel deklariert ihre hermeneutischen Voraussetzungen und gibt gar nicht vor, keine Interessen zu haben. Sie richtet sich an eine Gruppe von überaus wachen Menschen, die sowohl ihre Menschenrechte als auch ihre Menschenwürde nicht an den Pforten religiöser Einrichtungen abzugeben bereit sind. Alle westlichen Demokratien, zu denen die Staaten zählen, in denen Deutsch gesprochen wird, haben inzwischen Richtlinien gegen Diskriminierung erlassen, an die sich die Bürgerinnen und Bürger zu halten haben.

Gerade in Zeiten, in denen gerne mit dem Finger auf islamische Glaubensgemeinschaften gezeigt wird, weil diese Frauen diskriminierten, muss uns Christen und Christinnen bewusst sein, dass sich dieser Finger auch gegen uns richtet, wenn Versuche einer gerechten Übersetzung der Heiligen Schriften lächerlich gemacht oder verdammt werden.

Keine Panik!

Sehr viele Pfarren werden überwiegend von tatkräftigen, in ihrem Glauben starken Frauen getragen, die mit beiden Beinen im Leben stehen. Sie haben ein Anrecht darauf, wenigstens eine deutschsprachige Übersetzung zu haben, die sie nicht marginalisiert und Frauen wenigsten dort sichtbar macht, wo sie mitgemeint sind.

Die Bibel in gerechter Sprache ist nicht die einzige deutsche Übertragung, und wenige Menschen werden sie als die einzige verwenden - Panikmache wegen Traditionsverlust ist also nicht angesagt.

Die Autorin leitet das Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

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