Osama Bin Laden spielt kein Quidditch

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Religiöser Fanatismus, nicht Zauberei in Jugendbüchern, macht unserer Welt wirklich zu schaffen, meint der Salzburger Theologe Gottfried Bachl.

Welche Rolle darf Magie in der Kinder- und Jugendliteratur spielen? Neben etlichen anderen Aspekten beschäftigte vor allem diese Frage das Harry-Potter-Symposion im Wiener Kardinal-König-Haus, das den erfolgreichen Büchern der britischen Autorin Joanne K. Rowling auf den Grund ging. Die Veranstalter bewiesen fast magische Kräfte, als sie bereits vor Monaten die Veranstaltung exakt zwischen der Welt- und der Österreich-Premiere des ersten Harry-Potter-Films ansetzten.

Harry Potter ist der Held in bisher vier Büchern, in denen er ständig Kämpfe gegen die Schwarzmagier, vor allem gegen Voldemort, den Mörder seiner Eltern, zu bestehen hat. Der von unausstehlichen Verwandten aufgezogene und gedemütigte Waisenknabe blüht auf, als er erfährt, dass er ein Zauberer ist und in die Magierschule Hogwarts aufgenommen wird. Deren weiser Direktor Dumbledore und die Mitschüler Ron Weasley und Hermine Granger sind Harrys wichtigste Verbündete im Ringen mit den dunklen Mächten, Quidditch, ein Ballspiel auf Hexenbesen, für das er viel Talent mitbringt, wird seine große Leidenschaft.

Harry Potter hat Joanne K. Rowling zur Multimillionärin gemacht und ihr damit viele Neider beschert, Standard-Kulturchef Claus Philipp zeigte beim Symposion die Schattenseiten seiner weltweiten Vermarktung auf. Die in Frankfurt wirkende irische Jugendbuchexpertin Emer O'Sullivan würdigte Rowlings Einfallsreichtum und Humor und übte Kritik an der deutschen Übersetzung. Reinhard Ehgartner vom Österreichischen BibliotheksWerk, gab bei weitgehender Würdigung für Erzähltechnik und Motivik der Autorin nur zu bedenken, dass sie einerseits glaubwürdig für Toleranz und gegen Rassismus eintrete, anderseits in der Schilderung der am "Trimagischen Turnier" teilnehmenden Teams (Briten, Franzosen, Slawen) Klischees übernehme und damit manchem Ressentiment Vorschub leiste. Der Germanist Kaspar Spinner sieht in der Elternlosigkeit Harrys einen wichtigen Aspekt, warum sich moderne Kinder gerne mit ihm identifizieren.

Bekanntlich hat Harry Potter auch etliche Kritiker auf den Plan gerufen, die fürchten, seine Abenteuer könnten jugendliche Seelen anfälliger für Esoterik, Magie und Satanismus machen, ein Vorwurf, den zunächst der Mediziner und Psychotherapeut Gottfried Wurst und dann der Salzburger Dogmatiker Gottfried Bachl entschieden zurückwiesen. "Schlimmste Magie ist es, wenn man Bücher beurteilt, ohne sie gelesen zu haben", befand Bachl, der als Theologe ein überwiegend positives Urteil zu den Potter-Büchern abgab. Er entdeckt in ihnen weder eine unmittelbare religiöse Botschaft noch eine antireligiöse Tendenz, es treten keine Personen aus dem religiösen Bereich auf. Die Zauberwelt werde nicht als ein Jenseits oder religiöses Mysterium, sondern als die andere Seite einer Wirklichkeit dargestellt. Weihnachten gibt es auch in der Zauberschule Hogwarts, freilich nur als ein Fest profaner Folklore (was es ja auch in unserer Realität bereits vielfach ist).

Beachtlich ethisch

Beachtlich findet Bachl das ethische Engagement der Hauptfiguren. Es gehe um die uralte Frage, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu lernen und sich zu entscheiden. Bachl zitierte den Zauberer Dumbledore: "Mehr als unsere Fähigkeiten zeigen unsere Entscheidungen, wer wir wirklich sind." Der Dogmatiker ordnet die Harry-Potter-Geschichten keineswegs dem Esoteriktrend zu, wie es oberflächliche Kritiker tun, sondern der Gattung "Verantwortungsmärchen". Darin wird für alte Werte wie Solidarität, Freundschaft, Fairness, Gerechtigkeit Stellung genommen, Kritik ernten unter anderem die Medien, der Aberglaube, Rassismus oder Sklaverei.

Die Autorin Joanne K. Rowling vertrete ein "Programm der liebevollen Humanität". Ausgangspunkt des Geschehens sei eine Mutterliebe, die sich für das eigene Kind opfert. "Wenn es etwas gibt, was Voldemort nicht versteht, dann ist es Liebe", lautet ein Zitat aus dem Buch. Magisches Handeln, das wie bei Goethes "Zauberlehrling" (Worte, Brauch, Formel) auf eine Mechanik hinausläuft, mit der bestimmte Ziele sicher erreicht werden sollen, zeige Ähnlichkeiten zum Handlungsschema der modernen Technik.

Bachl definierte drei Formen des magischen Handelns: erstens das des Dr. Faust, wo sich der Magier als gottähnlicher, über die Schöpfung herrschender Meister sieht; zweitens jenes, das nicht nach Gott greift, sondern im Kräftespiel der Geschöpfe untereinander Bedeutung hat; drittens jenes, dem er auch Harry Potter zuordnet: eine profane Spielform des Umgangs mit der Welt, die nicht als realistische Alternative zur Religion zu verstehen ist.

Unter Magie verstehe man einerseits die Wissenschaft von den göttlichen Kräften in der geschaffenen Natur, anderseits die praktische Nutzung dieses Wissens, der auch im gefährlichen Missbrauch - der betrügerischen und schädigenden Zauberei - bestehen könne. Vielfach werde zwischen der guten "weißen" und der bösen "schwarzen" Magie unterschieden. Bachl verwies darauf, dass jedenfalls alle Monotheismen dort einen scharfen, abwehrenden Ton anschlagen, wo Bitte und Gebet zu Gott durch Magie verdrängt werden.

Spielt der Satan in den PotterBüchern eine Rolle? Nicht nur für Bachl steht fest: Voldemort ist nicht der Teufel, nur ein sehr böser Mensch und Schwarzmagier. Wer nicht mit Ferndiagnosen arbeitet, kann auch nicht bestreiten, dass die Texte genau das verurteilen, was ihnen vorgeworfen wird. Denn in der Zauberwelt werden bestimmte Flüche über andere Personen streng bestraft, während sie in unserer realen Welt von höchsten geistlichen Autoritäten ausgesprochen wurden, wie Bachl an zwei Beispielen erläuterte: an Ajatollah Khomeinis Tötungsaufruf gegen Salman Rushdie und an einem Bannfluch von Papst Clemens VI. aus 1346, in dem Kaiser Ludwig IV. alles erdenklich Schlechte an den Hals gewünscht wurde.

Bachl plädiert dafür, sich der Frage zu stellen, weshalb gerade religiöse Menschen oft von so giftiger Aggression erfasst werden und Jagd auf harmlose Geschichten machen. Was der Welt zu schaffen mache, sei kein globaler Satanismus: "Die selbstmörderischen Terroristen spielen nicht Quidditch, sie berufen sich auf den einen Gott."

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