(Ost-)Kirchliches Minenfeld

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1020 Jahre Christianisierung des "Kiewer Rus": Die Ukraine zwischen Kirchenjubiläum und Patriarchengipfel.

Die Ukraine war und ist, wie schon ihr slawischer Name sagt, ein Land an der Grenze, politisch, kulturell und gerade kirchlich gesehen: Am Kreuzweg und unter dem Kreuz von Rom und Byzanz, hinausgeworfen in Mongolenstürme und Türkennot, polnischen und Moskauer Herren preisgegeben, heimgesucht durch Stalin und Hitler, heute Kampfarena im Ringen zwischen EU-Europa und dem eurasischen Russland.

Vor diesem dramatischen Hintergrund feiert die Ukraine schon einen ganzen Sommer lang das 1020. Jubiläum ihrer Christianisierung durch die Kirche von Konstantinopel. Das Datum war eigentlich nicht diesen Aufwand wert, doch macht Not eben auch in Kiew erfinderisch: Denn noch 1988 hatte der diesbezügliche Millenniumsjubel - Perestrojka hin oder her - ganz unter den Vorzeichen einer "Taufe Russlands" gestanden, dessen Fundamente zwar am Dnjepr gelegt waren, das aber dann seine Auferstehung und bleibende Manifestation nur in Moskau gefunden habe.

Der kaum gebetene Gast

Genau diese Vision des Zarismus, der Sowjetmacht und heute des Doppels Putin-Medwedew vertrat nun auch der russisch-orthodoxe Patriarch Aleksij II., da er sich als kaum gebetener Gast zu dem ukrainischen Erinnern an die Tatsache einstellte, dass hauptsächlich die Ukraine und mit ihr noch Weißrussland, doch weniger das moskowitische Russland als Haupterbe der 988 dem byzantinischen Kirchentum erschlossenen Kiewer "Rus" zu werten ist. Wer jedoch dem Moskauer Kirchenführer am Denkmal des Bekehrungs-Großfürsten Wolodymyr hoch über dem Dnjepr zuhörte, musste den Eindruck haben, es handle sich bei den also 1020 Jahren christlicher Geschichte der Ostslawen um eine ganz innerrussische Angelegenheit: Die alte Rus sei unter den Mongolen nach Moskau gewandert, von dem später die Ukraine und Weißrussland für immer wieder heimgeholt wurden. Weshalb sie auch jetzt unaufgebbares "kanonisches Territorium" der russischen Kirche bilden.

Aus ukrainischer Sicht blieb die byzantinische Rus in der einen oder anderen Form immer erhalten. Moskau habe nicht nur seinen Zarentitel von den islamischen Tataren aus Kasan und Astrachan entlehnt, sondern überhaupt das grundeuropäische Erbe der Rus mit mongolischem Despotismus und sonstigen Asiatismen durchsetzt. In Kiew wächst heute das Verständnis dafür, dass jene Rus, die im litauischen und polnischen Staatsverband vor den Mongolen und Osmanen bewahrt wurde, sich selbst treu geblieben ist. Das sogar um den Preis der unter Zaren wie Bolschewiken verteufelten Kirchenunion mit Rom. Jene, die nach der Synode von Brest 1595/96 - und das teilweise zu Recht - schleichende Latinisierung und damit eigenen Identitätsverlust befürchteten, wurden nicht etwa aus Moskau, sondern vom kirchlich nach wie vor zuständigen Konstantinopel gestützt. Sogar seinen eigenen Synkellos (Vikar) opferte einer der Patriarchen, der dann als "türkischer Spion" auf der Marienburg den Hungertod erlitt.

Kein Bruch mit Moskau

Mit den Teilungen Polens wurde auch die Konstantinopler bzw. "unierte" Rus zwangsrussifiziert, nur im alten Österreich konnte sich ein Rest von ihr und damit auch des Ukrainertums behaupten. Die ukrainische griechisch-katholische Kirche ist dann aus den Katakomben sowjetischer Unterdrückung im alten Kronland Galizien mit der Wende umso kräftiger wiedererstanden. Heute zählt sie unter ihrem Großerzbischof Lubomyr Husar mit den orthodoxen Gruppierungen des sich von Moskau für unabhängig erklärten Kiewer Patriarchats und den ebenfalls unabhängigen "Autokephaliste" zu den Hauptakteuren der Bemühungen um eine wieder moskaufreie ukrainische Kirche. Präsident Wiktor Juschtschenko setzt voll auf deren Gründung, da er die auch politisch meinungsbildende Bedeutung kirchlicher Abhängigkeit von Russland als gefährlich genug einschätzt. Daher hat er zu diesem 1020. Jubiläum auch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. als eigentlichen kirchlichen Hausherrn der Ukraine eingeladen. Dieser konnte allerdings einen offenen Bruch mit dem Moskauer Patriarchat verhindern und seinen russischen Amtsbruder Aleksij II. in Kiew auf das Bemühen um eine einvernehmliche Lösung festlegen.

So wird die Ukraine nicht nur vor dem Hintergrund der russischen Expansion am Kaukasus und als Moskaus potentiell weiteres Opfer auf den kommenden EU- und NATO-Gipfeln eine wichtige Rolle spielen. Ihre kirchliche Zukunft steht nun auf dem Gipfeltreffen aller Patriarchen und sonstigen Kirchenführer der Orthodoxie zur Debatte, das Bartholomaios I. für Oktober nach Istanbul und Kreta einberufen hat.

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