PANTHEON in der Hardtgasse

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Ein Tag, wo er Gott nicht irgendwie, und sei es im Zweifel, im Auge habe, sei für ihn ein verlorener Tag.

Seit 1985 bin ich im Genuss eines Privatkolloquiums und ich wurde dabei sukzessive von einem bornierten in einen katholischen Atheisten verwandelt.

Die Ordensschwester, die uns auf die Erstkommunion vorbereitete, hatte uns eingeschärft, nicht in die Hostie zu beißen: der Blitz würde einschlagen und wir würden augenblicklich zur Hölle fahren. Als ich trotzdem zubiss und nichts geschah, war die Sache mit Jesus vorläufig erledigt.

Als mir zehn Jahre später ein Aktivist der katholischen Arbeiterjugend ein Exemplar von "Jesus in schlechter Gesellschaft" in die Hand drückte, konnte ich damit nichts anfangen. Ich hatte gerade Ches "Bolivianisches Tagebuch" gelesen. Von dem Gedanken, dass man zwischen beiden Büchern Zusammenhänge herstellen könnte, war ich Lichtjahre entfernt. Noch als mich ein Kollege im Sommer 1979 während einer gemeinsamen Autostopptour durch Italien für Holls "Mystik für Anfänger" interessieren wollte, geriet ich darüber so in Rage, dass ich ihm das Buch aus der Hand riss und in hohen Bogen in den Lago di Como warf. Mystik und Klassenkampf waren damals unvereinbar, Parallelen zwischen Adolf Holl und Antonio Gramsci nicht anzudenken. Gerade als Club 2-Moderator war Adolf Holl für Jungmarxisten und selbsternannte Berufsrevolutionäre in den linken Zirkeln Österreichs damals gelitten, als gefallener Kaplan und Autor den meisten so suspekt wie dem katholischen Milieu.

Samstäglicher Mittagsgast

Die persönliche Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit Adolf Holl verdanke ich Heinz Knienieder. Knienieder war Redakteur der Zeitschrift Wespennest, freier Mitarbeiter beim ORF Hörfunk und ein Linksintellektueller der besonderen Art. Er war, es gab noch keinen Zivildienst, Wehrdienstverweigerer und Holl hat ihm als Kaplan im Pfarrhof Neulerchenfeld ein Versteck gewährt. Knienieder, der eine Dissertation über den Entfremdungsbegriff bei Marx verfasst hat, hat Holl mit seiner umfassenden Kenntnis von französischer Philosophie und Frankfurter Schule beindruckt. Als Heinz verstarb, wurde ich sein Nachfolger als samstäglicher Mittagsgast in Holls Arbeitswohnung in der Hardtgasse. Interessiert haben ihn meine Erzählungen aus dem oberösterreichischen Landleben, mein Hader mit der Sozialdemokratie und meine Beschäftigung mit Blues-und Rockmusik.

Einmal ist Adolf Holl mit mir zu einem Konzert von John Lee Hooker gegangen. Wir sind ganz vorne an der Bühne gestanden. Mehr als von der Magie des Blues war Holl von der Persönlichkeit des Healers, wie der alte Hooker genannt wurde, angetan. Als einige Zeit später wieder einmal die Rede auf den Blues kam, konnte sich Adolf nicht mehr an den Abend erinnern. Eine lange vor unserem gemeinsamen Blueserlebnis besuchte Aufführung von Mozarts Requiem war ihm eindrücklicher im Gedächtnis haften geblieben.

Dauerndes Privatkolloquium

Seit 1985 bin ich im Genuss eines mittlerweile sechsundsechzigsemestrigen Privatkolloquiums in den Fächern Theologie, Religionssoziologie und Philosophie, verbunden mit Lesungen aus gerade entstehenden Büchern und ich wurde dabei sukzessive von einem bornierten in einen katholischen Atheisten verwandelt. Zwischendurch durfte ich auch immer wieder als eine Art säkularer Messdiener mit Adolf Holl auftreten, bei Buchpräsentationen ihn einleiten und moderieren. Dass er mir sein Buch "Der lachende Christus" gewidmet hat, ist eine Auszeichnung, von der ich mir nicht sicher bin, ob sie mir wirklich zusteht. Sicher ist, dass meine Beschäftigung mit der Ikonografie des Kosmonauten Juri Gagarin von Holls Denken stark beeinflusst ist.

Josef Haslinger hat in einem Essay mit dem Titel "Brevier beten mit Adolf Holl" die Bedeutung, die die Lektüre von Adolf Holls Büchern für ihn hatte, eingängig beschrieben. Über dessen bislang letztes Buch schrieb Haslinger an Holl: "Ich habe gerade 'Braunau am Ganges' fertig gelesen. Ein schöner essayistischer Spaziergang in die Welt des Heimlichen und Unheimlichen, des Heimischen und für unheimisch Gehaltenen. Mir gefällt dein Denk-und Schreibstil, der uns Splitter statt eines Denkgebäudes liefert. Am Ende muss man dann doch wieder alles selber machen, nur fällt es am Ende dann nicht mehr so leicht, wie man am Anfang vielleicht noch gedacht hat. Die wirklich weisen Menschen machen alles nur noch komplizierter, darum werden sie nicht sonderlich geschätzt. Anstatt die alten Fragen endlich zu beantworten, stellen sie neue Fragen. Solche wie du können nicht aufhören, sich ein Leben zwischen Skepsis und Staunen einzurichten. Und man wird dann mit dem Einrichten auch nie fertig."

"Braunau am Ganges" war Adolf Holls zweiunddreißigstes Buch. Zum Erscheinen seines dreißigsten hatte er verkündet, er werde dreiunddreißig schreiben -je eines für jedes Lebensjahr von Jesus Christus. Mit dem dreiunddreißigsten ist er zur Zeit der Vollendung seines achtundachtzigsten Lebensjahres gerade beschäftigt. Es trägt den Arbeitstitel "Leibesvisitationen" und entsteht wie alle Bücher nach "Jesus in schlechter Gesellschaft" am Schreibtisch seines Arbeitszimmers in der Wohnung, die er nach dem Rauswurf als Kaplan bezogen hat. Getippt wird wie seit je auf der mechanischen Olympia-Schreibmaschine. Manchmal geht Holl dabei durch den Kopf, dass ihm die Bücher aus den Regalen seiner Bibliothek etwas zuflüstern möchten. Möchten sie noch einmal in die Hand genommen werden?

Der Weg von der Wohnung der Lebensgefährtin in die Hardtgasse ist beschwerlicher geworden, das tägliche Schreibpensum und die Lektüren einigermaßen reduziert. Die Abgötter aus seinen Mannesjahren, Sartre, Canetti und Bloch, die er "auf Knien gelesen hatte" und die sich auf seinen Stil ausgewirkt hätten, beginnen zu verblassen. Nur Platon hielte sich noch zähe, Dante eventuell und natürlich der heilige Augustinus irgendwie, wenn auch mit einem Fragezeichen. Die seltener werdenden telefonischen Anfragen werden jetzt meist abgewiesen, dazu ist die Arbeitszeit zu kostbar geworden. Manchmal, wenn es längere Zeit nicht läutet, geht Holl durch den Kopf, er wäre schon abgedankt. Und dann kommt doch wieder eine Radioanfrage oder es taucht ein Fernsehteam in der Wohnung auf. Und Holl ist wieder in seinem Element.

Schelmisches Lächeln

Die letzte optische Veränderung im Arbeitszimmer ist durch ein Ölbild des Malers Heribert Mader entstanden. Es zeigt das Pantheon in Rom. Pan theon -alles Göttliche. Manchmal wird Holl gefragt, warum er öfter sage: der Gott. Ein Tag, wo er Gott nicht irgendwie, und sei es im Zweifel, im Auge habe, würde er dann antworten, sei für ihn ein verlorener Tag.

Trotz seines fortgeschrittenen Alters, sagt Holl, lache er immer noch gerne. Erst kürzlich hätte ihm jemand gesagt, auch bei ihm könne man immer lachen, wenn er über Religion spricht. Während sich seine Lebenszeit dem Ende zuneige, würden ihn solche Resonanzen immer noch freuen.

Früchte des Lebens, Freuden im Alter. Keine verbindlichen Abgabetermine mehr. Drei Wochen am letzten Absatz des vorletzten Kapitels der "Leibesvisitationen":"Die Entdeckung des Unbewussten im jüdischen Wien um 1900 durch Sigmund Freud wäre ohne Beachtung der Sprache des Körpers kaum gelungen. Prinzipiell gottlos auftretend verwandelte Freud noble Damen und Herren in Patienten, die ärztlicher Hilfe bedurften, gegen Honorar selbstverständlich. Die Ordination auf der berühmten Couch dauerte exakt fünfzig Minuten. Im Unbewussten flüsterte auch mein katholisches Priester-Ich, mit dem Goldenen Kalb auf dem Gewissen, vertont von Arnold Schönberg und unvollendet geblieben."

Der Vorlass ist geordnet, der Nachlass am Horizont. Achtundachtzig: die Biografie. Die "Leibesvisitationen" zum Neunzigsten? Der Platz im Pantheon der österreichischen Geistesgeschichte? Schelmisches Lächeln.

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