Panzer werden zu Minensuchern

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Alle 22 Minuten registriert eine von Vietnam-Veteranen installierte Spezial-Uhr weltweit ein Minenopfer. Letzter Stand: 41.198 - seit dem 16. Mai 1996.

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Alle 22 Minuten registriert eine von Vietnam-Veteranen installierte Spezial-Uhr weltweit ein Minenopfer. Letzter Stand: 41.198 - seit dem 16. Mai 1996.

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Ungefähr drei mal in der Stunde tritt irgendwo ein Mensch auf eine Mine, wird von ihr verstümmelt oder getötet. Neun von zehn Opfern sind Zivilisten, darunter viele Kinder. Auf der ganzen Welt liegen rund 110 Millionen Minen als gefährliches Erbe militärischer Konflikte. Weitere zig Millionen lagern weltweit in Waffenarsenalen. Zu den von Minen am meisten betroffenen Staaten zählen Kambodscha, Angola, Mosambik und Bosnien-Herzegowina.

Für den weltweiten Kampf gegen die Anti-Personen-Minen wollen jetzt die österreichische Bundesregierung und das Jugendministerium insgesamt etwa 21 Millionen Schilling bewilligen. Speziell für Kambodscha und Bosnien-Herzegowina haben vor kurzem der ORF, die Caritas und das Rote Kreuz im Rahmen der Aktion "Nachbar in Not" eine gemeinsame Kampagne "Der Krieg gibt keinen Frieden - Hilfe für Minenopfer" gestartet.

Österreich hat auch bei der Ausarbeitung der Anti-Personen-Minen-Vertragskonvention, einem Abkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und deren Vernichtung, eine Vorreiterrolle übernommen und den Vertragsentwurf erstellt. Als Vertragsautor hat Österreich diese Konvention auch als einer der ersten Staaten unterzeichnet. Die formelle Ratifizierung wird Anfang Juni erwartet. Bisher haben aber nur neun Staaten den Vertrag ratifiziert, und zu dessen Inkrafttreten sind 40 Staaten nötig.

In Europa ist das von Minen am meisten verseuchte Land Bosnien-Herzegowina. Die Spezialisten rechnen, daß dort insgesamt etwa drei Millionen Minen vergraben wurden. Die am häufigsten verwendeten sogenannten Anti-Personen-Minen vom Typ TNT schauen aus wie grüne Kunststoffschachteln und werden von einem Laien mit nichts Gefährlichem assoziiert. Doch ein Tritt auf so eine Mine bedeutet, daß zumindest ein Bein bis zum Knie abgerissen wird. Das hat die 35jährige Sabina Vehabovic erlebt. Nach vier Jahren Aufenthalt in Deutschland ist sie in einen Vorort von Tuzla zurückgekehrt und wollte in ihrem Einfamilienhaus wieder von neuem beginnen. Als sie im Frühjahr Gemüse im Garten anbauen wollte, ist sie auf eine Mine getreten und verlor dabei ihr linkes Bein. In der Werkstätte des Spitals von Tuzla wurde ihr eine Prothese angefertigt.

Gefährdete Kinder Die kleine Werkstätte ist voll ausgelastet. Prothesen werden hier wie am Fließband angefertigt. Auf einem Tisch liegen bereits fertige Beine und Arme. Jeden Tag melden sich Menschen, die einen Ersatz brauchen. "Wir haben hier viel Arbeit", erzählt Ivan Difkovic, einer von fünf Mitarbeitern. "Die Prothesen machen wir vor allem für Kinder. Jetzt im Frühjahr spielen sie viel im Freien; auf der Wiese oder im Wald. Oft, wenn sie von der Schule nach Hause gehen, spielen sie auch in den Straßengräben, da passieren die meisten Unfälle."

Im Spital von Tuzla trafen wir auch den heute neunjährigen Damir Grbic. Er war eines der ersten Opfer des Krieges in Tuzla. Als er damals mit vier Jahren im Hause seiner Eltern spielte, hat plötzlich im Garten vor dem Haus eine Granate eingeschlagen. Die Splitter sind durch das Fenster in das Kinderzimmer geflogen und haben dem spielenden Buben das eine Bein in Kniehöhe abgerissen und das zweite schwer verletzt. Der Bub ist einer der Stammgäste der Prothesenwerkstätte, weil er wegen seines Wachstums immer wieder neue Anfertigungen braucht. Mittlerweile besucht er eine Schule in Tuzla, ist der Beste in seiner Klasse und hat sich an das Leben mit der Prothese gewöhnt. Er versteht nur nicht, warum er nicht wie seine Kollegen Fußball spielen oder radfahren kann.

"Minebreaker 2000" Um die Zahl künftiger Minenopfer möglichst gering zu halten, ist es notwendig, die Aufräumarbeiten zu beschleunigen. Manuell ist das aber eine mühsame Arbeit. Ein Minenräumer schafft etwa 15 Quadratmeter pro Tag. Um diese Arbeit effizienter ausüben zu können, wurde für die Minensuchaktion in Bosnien, insbesondere in Brcko, vor kurzem eine Maschine eingesetzt. Eine deutsche Firma aus Flensburg hat für diese Zwecke einen Panzer vom Typ Leopard 1 umgebaut. Die Kraft des Dieselmotors wird bei dieser Version nicht über das mechanische Getriebe übertragen, sondern hydraulisch, so daß die ganze Maschine äußerst langsam fahren und dadurch den Boden genauer untersuchen kann. Vor dem Panzer wurde eine rotierende Fräse eingebaut, deren Zähne die Erde bis in 30 Zentimeter Tiefe umgraben und die Minen zur Explosion oder an die Oberfläche bringen. "Wenn es zu einer Explosion kommt, spürt man das nur als einen Ruck", erzählt der 20jährige Fahrer, "weil die Kabine durch einen Gummischockabsorber mit anderen Teilen des Panzers verbunden ist". Pro Quadratmeter belaufen sich die Kosten der Maschine, die den Namen "Minebreaker 2000" trägt, auf etwa 5 DM. Die Maschine fährt mit der Geschwindigkeit von neun Metern pro Minute. Danach kommen Menschen, die mit Detektoren und den sogenannten Nadeln nach Minen suchen. "Die Maschine rettet vielen Minensuchern das Leben", meint der Projektleiter und Vertreter der Flensburger Firma, Ernst Mayer-Peters. "Denn dort, wo unsere Maschine durchgefahren ist, sind fast alle Minen unschädlich gemacht worden." Unter normalen Umständen muß man für 700 gefundene Minen mit einem Todesopfer rechnen. Da moderne Minen immer weniger Metallteile aufweisen, ist es immer schwieriger, sie mit herkömmlichen Detektoren aufzuspüren. So werden für die Suche nach Minen eigens dafür dressierte Hunde eingesetzt, welche, nachdem sie den Sprengstoff gerochen haben, sich in dessen Nähe setzen. So werden etwa 25 Hektar rund um Brcko gesäubert.

Krieg im Kopf "Viele finanzielle Mittel versickern leider in der Bürokratie", bedauert der frühere Oberst und Kommandant der Abwehr in Tuzla, Faruk Prcic, heute Leiter der Entminungskommission. "Nur aus Schweden bekommen wir das Geld direkt. Das Geld aus Deutschland oder aus anderen Ländern verteilt eine Kommission der EU. Dabei wird ein großer Teil für die Gehälter der Beamten aufgewendet. Das bedeutet, daß wir mit den Geldern, die wir zur Zeit bekommen, die Entminungsaktion noch 80 Jahre lang werden durchführen müssen."

Aber nicht nur der Mangel an finanziellen Mitteln erschwert die Arbeit der Minenräumer. Auch die einheimische Bevölkerung bringt wenig Verständnis für ihre Tätigkeit auf. "Die Menschen aus der Umgebung fragen oft, warum wir das alles hier tun", erzählt der Leiter des Minenräumungsprojekts in Brcko, Mayer-Peters. "Die Leute sagen: âWenn es hier wieder sicher wird, dann werden unsere moslemischen Nachbarn zurückkehren. Und das wollen wir auf keinen Fall.'"

Der Krieg im Kopf ist noch nicht zu Ende - leider nicht nur in Bosnien. So fordern auch Minen, die kein Kriegsende kennen, jeden Tag ihren Tribut. Eine besondere Uhr registriert jedes einzelne Opfer. Sie befindet sich auf der Internet-Seite der Vietnam Veterans of America-Foundation (http://www.vvaf.org-Landmine) und zählt die Minenexplosionsopfer auf der ganzen Welt. Alle 22 Minuten zählen die gelben Computerziffern eines dazu. 70 Opfer jeden Tag, 500 jede Woche, mehr als 2.000 jeden Monat und mehr als 26.000 jedes Jahr. Als Stichtag nahmen die Vietnam-Veteranen, die US-Koordinatoren der internationalen Kampagne gegen Landminen, den 16. Mai 1996, als US-Präsident Bill Clinton erstmals eine umfassende Erklärung zur Minenpolitik bekanntgab. Schon jetzt zeigt die Uhr 41.198.

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