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Furche Nr. 45/8. November 1958

Johannes XXIII. brachte ungeahnte Frische in die Kirche, wie die Furche schon nach der Papstkrönung 1958 berichtete:

Das einfache römische Volk spricht mit Unbekümmertheit von "Papa Giovanni", ohne die Ziffer hinzuzufügen, die so lange ist, dass neuer Atemzug notwendig wäre. Psychologisch bemerkenswert ist diese Tatsache, weil sich in der Vergangenheit niemand unterfangen. kurzweg "Papa Pio" zu. sagen; es hätte Unbehagen hervorgerufen, wäre fehl am Platze erschienen. Papst Johannes XXIII. umweht eine andere Luft als Pius XII. Der Unterschied ist sinnfällig, er springt geradezu ins Auge: tausende Fotos zeigten Eugenio Pacellis ernste, asketische Gestalt, die beinahe nicht mehr von dieser Erde schien. inmitten einer bis zu Tränen. erschütterten Menge; den Papst Roncalli sehen wir von Besuchern umringt, die aus vollem Herzen lachen, denn dem Munde des Oberhirten ist eben ein gutmütiges Scherzwort entflohen, in seinen eigenen Augen blitzt noch der Nachgenuß der Ironie. [...]

Johannes XXIII. hat seinen alten Freund, den greisen Chefredakteur des "Osservatore Romano", Grafen Giuseppe dalla Torre, schon am Tag der Wahl zu sehr früher Stunde, genau um 6.45 Uhr. telephonisch zu sich gebeten. Dalla Torre hatte Mühe, sich in den Frack zu zwängen, denn seit vierzehn Jahren war er vom Papst nicht mehr empfangen worden. Aus dem langen Gespräch ist noch bekanntgeworden, daß Angelo Roncalli den Redakteuren des "Osservatore" sagen ließ, sie mögen doch in Hinkunft nicht mehr Phrasen gebrauchen wie "der Auserwählte hat in seiner erleuchteten und gehobensten Ansprache...", sondern einfach "der Papst hat gesagt..." schreiben. Desgleichen sollte künftig nicht mehr der einleitende Satz verwendet werden: "Wir bringen nachstehend die Rede des Erleuchteten, wie wir sie von seinen Lippen pflücken konnten", weil er lächerlich ist und auch eine Unwahrheit enthält, denn es ist bekannt genug, daß Pius XII. die Texte seiner Ansprachen druckreif lieferte und zumeist auch noch die Korrekturfahnen las. [...]

Papst Roncalli hat sich an manches noch nicht gewöhnt. er sagt immer noch "ich" statt "Wir"er durchwandert die Vatikanstadt und den Apostolischen Palast voll Neugierde. ohne Begleitung anzufordern, seinen Spaziergang durch die vatikanischen Gärten macht er ohne durch die päpstlichen Gendarmen vorher Gärtner und Besucher wegweisen zu lassen. Es ist möglich, dem Papst irgendwo im Vatikan auf seinen Wegen zu begegnen, und wäre seine Kleidung nicht, so könnte man ihn für einen beliebigen Prälaten halten. der aus der Provinz gekommen ist, um hier seine Angelegenheiten zu regeln.

Und Angelo Roncalli, der seine Spaziergänge künftig nicht in Dokumenten versunken allein machen will, sondern in Begleitung und diskutierend, fühlt sich nicht nur als Souverän dieses winzigen Staates, sondern auch als sein Pfarrer und möchte jeden Winkel und jeden Einwohner kennen. Hans Bauer/Rom

Nächste Woche: furche 1959 über ein Attentat auf F. Mitterrand.

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