Papst Anno Domini 2013

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Gedankenspiel: Was wäre, würde man sich bei der Neubesetzung des Stuhles Petri an ein Anforderungsprofil moderner Auswahlverfahren halten? Auszug aus dem Beitrag der Autorin im Sammelband "Du bist Petrus“.

In Diskussionen über das Papsttum wird gerne dessen große Wandelbarkeit betont und auf so gar nicht miteinander vergleichbare Gestalten wie Petrus, Gregor den Großen, Alexander VI. (Borgia), Pius X., Johannes XXIII. und andere verwiesen. In der Tat waren die historischen Umstände und persönlichen Lebensführungen der genannten und vieler weiterer Päpste sehr verschieden. Dennoch lassen sich, beginnend mit Petrus selbst, einige zentrale Kompetenzen herauslesen, ohne die man es nicht auf den Stuhl Petri schafft oder dort zumindest einige Jahre aushält.

Internationalität

Die erste dieser Kompetenzen war von Anfang an die Bereitschaft zur Internationalität. Wer nicht gerne über den Rand des eigenen Fischerbootes hinausschaut und Angst hat, mit fremden Mentalitäten und Nationen in Kontakt zu kommen, war und ist in einem expandierenden Unternehmen, wie es die Kirche seit der Sendung der Jünger ist, unbrauchbar. Dies galt und gilt für alternative Denk- und Lebensformen im eigenen Herkunftsland (oder Kontinent) ebenso wie für den Rest der Welt. Und es ist nicht unbedingt eine Erscheinung der Postmoderne, dass Letzteres dem Leiter der katholischen Kirche mitunter leichter fällt als der Umgang mit der Kritik aus den eigenen Reihen. Die "Heiden“ konnte man missionieren, die Spiritualen und Befreiungstheologen, Montanisten und Feministinnen und wie sie alle hießen und heißen sind meist die größere Herausforderung. Sie sind im Betrieb schon so lange drinnen, dass sie dessen Defizite sehen, dass sie auch Entwicklungen als Sackgassen erkennen oder aber mit innovativem Elan aus dem mittleren Management aufsteigen möchten. Papst zu sein hieß immer auch, zwischen den Nationen, Gruppen und Ideen zu vermitteln, die Verbindung aller Standorte zur Zentrale aufrecht zu erhalten, ohne das Corporate Design bis zum letzten Bleistift bestimmen zu müssen. Ob der Zölibat nun ein solcher Bleistift ist, ohne den auch bisher Standorte im Osten (Unierte) und im Nordwesten (übergetretene Anglikaner) ausgekommen sind, oder ob seine Aufhebung ein grundlegend neues Corporate Design erfordert, wird sich der neue Papst fragen (lassen) müssen. Für den neuen Papst gilt in mehrfacher Hinsicht: Think global, act local. Die Firmenzentrale der Kurie in Rom nicht zu kennen, wäre genauso fatal, wie aus ihr nie herausgekommen zu sein.

Tradition und Innovation

"Wie damals“ ist eine in profanen Werbespots gern gebrauchte Wendung, die uns die langjährige Qualität eines Produkts suggerieren, aber auch an unsere Kindheitserinnerungen anknüpfen oder generell Beständigkeit in einer unsteten Welt versprechen soll. Die hierzu gezeigten Bildsequenzen beinhalten in der Regel Kinder oder alte Leute in traditioneller Kleidung und ländlicher Idylle.

Der neue Papst allerdings soll weder Schokolade noch Käse oder alkoholfreie Getränke verkaufen, sondern eine zweitausendjährige Tradition für die Welt von heute verstehbar und fruchtbar machen.

Unverkennbar sind in den letzten Jahren die "Wie damals“-Tendenzen mit dazugehörigem Bildideal in der Kirche Europas stärker geworden. Die Gründe sind wohl ähnliche: Von immer komplexerer Berufs-, Technik- und Lebenswelt überfordert, sehnen sich gar nicht wenige nach überschaubarer Idylle, in der jeder seinen festen Platz hat. Kein Konzern könnte es sich leisten, die-se Konsumenten vor den Kopf zu stoßen. Sich allerdings bloß auf dieses Marktsegment zu beschränken, widerspräche nicht nur dem Anspruch der Expansion, sondern auch dem Namen: Wenn katholisch weiterhin "allumfassend“ bedeuten will, muss der neue Chef eine Sichtung und klare Strukturierung des Portfolios in die Wege leiten.

Der Papst steht vor der Herausforderung, unter Beibehaltung des Markennamens sanfte Veränderungen des Inhaltes vorzunehmen, die den Geschmack des "Wie damals“ noch klar erkennbar in sich tragen, aber dennoch den Anforderungen der modernen Anthropologie entgegenkommen - die Schokolade von damals hat ja heute auch weniger Zucker und mehr Fair-Trade-Kakao. Heißt konkret: Eine sanfte Annäherung an das geänderte Menschenbild der Moderne und Postmoderne, beginnend mit den medizinischen Voraussetzungen und den Geschlechterrollenbildern wird dem Papst nicht erspart bleiben, will er mehr Menschen ansprechen als Kinder und Alte, die sich kurz für einen Werbespot in Tracht stecken lassen. Gleichzeitig muss er aber um die Macht dieser Bilder wissen und die Sehnsucht nach einem imaginären "Damals“ (christlich auch als Paradies bekannt) ernst nehmen und ihr Nahrung aus der Tradition geben, nicht bloß Tradition als abgekauten Snack.

Loyalität und/als Krisenmanagement

Niemand wird mit einer Führungsposition betraut, der nicht loyal zum eigenen Unternehmen steht. Die Identifikation mit den internen Werten und Positionen ist auch zweifelsohne psychologische Voraussetzung, um ein solches Amt halbwegs unbeschadet zu überstehen. Loyalität heißt aber nicht, im Blick nach innen das Hirn auszuschalten, oder gar erkennbare Fehler als böse Feindpropaganda abzutun. Derartige verblendete Nibelungentreue ist Kennzeichen totalitärer Regime und einer Institution wie der katholischen Kirche unwürdig. Ein so riesiges Unternehmen kann nur funktionieren und prosperieren, wenn es seinen Mitarbeitern ebenso klare wie lebbare Richtlinien gibt und sie zur Partizipation ermuntert. Der neue Papst wird ebenso wenig wie seine Vorgänger jeden Unzufriedenen, Reformer oder selbsternannten Propheten zur disputatio einladen können. Die spirituelle Begabung eines Franziskus zu erkennen und den Eifer eines Martin Luther zu integrieren - wie immer diese beiden und viele andere in Zukunft heißen mögen - wird eine der schwierigsten Aufgaben des neuen Papstes sein. Loyalität zur Institution zeigt sich tatsächlich an und in Krisen. Sie beginnt damit, dass bekannte Probleme angegangen und gelöst werden, bevor sie zur Krise eskalieren. Das kann und wird für jeden neuen Papst auch heißen, manche ehemalige Weggefährten und eingesessene Amtsträger zum Handeln zu mahnen, ja notfalls zu zwingen, bevor es die Medien tun. Wer immer Papst wird, er braucht das Charisma der Gelassenheit, nicht zu verwechseln mit der Resignation oder dem Phlegmatismus. Die Gelassenheit, nicht jedes Vatileak als Angriff auf den Stuhl Petri zu sehen, aber auch, die eigenen Fehler und die der Kirche in Demut einzubekennen und schließlich die Gelassenheit im Umgang mit den je nach Temperament und Sozialisation sehr unterschiedlichen Reaktionen seiner Bischöfe auf das päpstliche Krisenmanagement.

Kommunikative Kompetenz

Es ist nicht überliefert, ob ein Papst je die Gabe des Zungenredens hatte. Im übertragenen Sinn wäre sie einem neuen Papst sicher zu wünschen: Nicht so sehr die unterschiedlichsten Sprachen der Erde zu sprechen, obwohl es das "Urbi et orbi“ erleichterte. Nein, vielmehr geht es um die verschiedenen Zungen, in denen die Menschen heute sprechen und einander, wiewohl dieselbe Grammatik verwendend, nicht verstehen. Die Sprache der Kirche ist gerade in den brennenden Fragen der Anthropologie, aber auch in der Rede von Gott, so weit weg von der Lebens- und Sprachrealität der Menschen, dass sie zwar von jungen TheologInnen als Fremdsprache idiomatisch erlernt, aber nie aktiv beherrscht werden kann, geschweige denn sich in ihrer vollen Bedeutung erschließen würde. Sprache konstruiert Welt und Wirklichkeit, nicht umsonst hat der soeben zurückgetretene Papst zeit seines Amtes dafür plädiert, die großen Theologen im lateinischen Original zu lesen und so ihre Welt und ihr Denken zu verstehen. Kein Bischof, kein Priester gibt mehr Interviews in Latein, nicht einmal der Papst bediente sich ständig dieser Sprache, und dennoch brauchen viele von ihnen einen Übersetzer, einen interpres, der erklärt, was sie eigentlich meinen. Dem neuen Papst wäre zu wünschen, dass er viele Sprachen spricht: die des Evangeliums, jene der Tradition, die der Kurie, jene der Bischöfe und Priester in den unterschiedlichen Diözesen und vor allem auch die Sprachen der Menschen dort: der Frommen, der Suchenden, der Ungläubigen, der Jungen, der Alten, der Männer, der Frauen und der Kinder. Allein sie nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen, was sie sagen, und ihnen Rede und Antwort stehen zu können, wäre wahrhaft eine Gabe des Heiligen Geistes und jene kommunikative Kompetenz, die der Nachfolger Petri brauchen wird am Weg von Babel nach Jerusalem.

Die Autorin ist Prof. für Religionswissenschaften an der Kath.-Theol. Fakultät Graz

Du bist Petrus

Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst

Hg. von Gerda Schaffelhofer

Styria premium, 2013

208 Seiten, geb. € 19,99

Bestellungen: www.styriabooks.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung