Papst Benedikt - © Foto: Getty Images / Alessandra Benedetti / Corbis

Papst Benedikt und die vorkonziliare Liturgie: Ganz gegensätzliche Kirchenbilder

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Vor zehn Jahren ließ Benedikt XVI. die vorkonziliare Liturgie als „außergewöhnliche Form“ des römischen Ritus zu. Ein Streitfall.

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Vor zehn Jahren ließ Benedikt XVI. die vorkonziliare Liturgie als „außergewöhnliche Form“ des römischen Ritus zu. Ein Streitfall.

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Am 7. Juli 2007 rehabilitierte Papst Benedikt XVI. mit seinem Dekret Summorum Pontificum die meisten vor der Liturgiereform des II. Vatikanums verwendeten liturgischen Bücher, mit dem Argument, dass das, was jahrhundertlang in der katholischen Kirche mit großem Respekt gehandhabt worden ist, auch jetzt seine Gültigkeit nicht verloren hätte und noch immer den katholischen Glauben mit bestimme.

Sowohl die "außergewöhnliche Form" als auch die "gewöhnliche Form"(die erneuerten liturgischen Bücher) stellen laut diesem Dekret legitime "Anwendungen" des einen römi schen Ritus dar. Laut Befürwortern dieser "Reform der Reform" sei die auf der konziliaren Liturgiereform basierende Praxis zu sehr anthropozentrisch und subjektiv statt theozentrisch und objektiv geworden, d. h. der Mensch, nicht Gott stehe im Mittelpunkt. Die heutige gottesdienstliche Praxis stelle eher einen Bruch mit der richtigen kirchlichen Tradition statt eine Kontinuität dar, es stünden die schwankenden Gefühle der Menschen statt der festen Heilszusage Gottes im Mittelpunkt. Die menschlichen Anliegen, nicht die eucharistische Anbetung des dreieinen Gottes; unangemessene Kreativität, Improvisierung und Spontaneität, nicht das gehorsame Sich-Halten an die ehrwürdige Tradition mit ihren fixen Gebeten.

Viel zu pauschales Negativ-Urteil

Auch wenn Andacht, Anbetung und "Schauer" vor dem Heiligen unentbehrliche Qualitäten der katholischen Liturgie sind, so ist dieses negative Urteil über die heutige liturgische Situation meiner Ansicht nach viel zu pauschal und sind Nuancierungen angebracht. So sind die Rolle der Gemeinde und des gesamten Volkes Gottes und die zentrale Rolle des Paschamysteriums nun viel expliziter, die Auswahl der Schriftlesungen ist viel größer usw.

Zudem gibt es in den "alten" Büchern einige ernsthafte Probleme, wie antijüdische Elemente. Die neue, von Benedikt XVI. verfasste Karfreitagsfürbitte für das jüdische Volk vermag dieses Problem nicht zu lösen, und es existiert eine große Spannung zwischen der Fürbitte Für die Juden im erneuerten Römischen Messbuch und derjenigen Für die Bekehrung der Juden im "alten" Messbuch. Ähnliches gilt für den grundlegenden Unterschied zwischen der Karfreitagsfürbitte Für die Einheit der Christen im revidierten Missale und jenem von 1962: im Letzteren wird Gott gebeten, auf die vom teuflischen Betrug verführten Seelen der Ketzer und Schismatiker [u. a. Protestanten und Orthodoxe] zu achten und sie allen Irrtümern zu entreißen, während man im Ersteren Gott bittet, alle durch die eine Taufe geheiligten Gläubigen durch das Band der Liebe zusammenzuschließen. Zudem setzt das "alte" Missale die Privatmesse und das Monopol des Lateins voraus, während das nachkonziliare Messbuch die Gemeindemesse zum Ausgangspunkt hat und die Benutzung der jeweiligen Volkssprache ermöglicht.

Substanz des Kirchenverständnisses

Das Hauptproblem des Nebeneinanders von prä- und postkonziliarem Gottesdienst scheint mir nicht die Koexistenz unterschiedlicher liturgischer Bücher zu sein (gegen gewisse Pluralität ist nichts einzuwenden), sondern die in manchen Punkten gegensätzliche Ekklesiologie. Viele Befürworter der "Reform der Reform" lehnen die bedeutsamen Konzilsdokumente über die Ökumene, die anderen Religionen, die Religions- und Gewissensfreiheit, die Liturgiereform und die Kirche in der Welt ab - mit dem Argument, es betreffe bloß "pastorale" und dogmatisch nicht zwingende Texte. Diese Texte betreffen jedoch die Substanz des kirchlichen Selbstverständnisses. Liturgieerneuerung geht nicht mit "Archäologismus und Nostalgie"(Papst Franziskus) einher. Sie ist ein immer aktuelles Geschehen. Und liegt auch immer noch vor uns.

Der Autor ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Uni Graz

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