Pius - © Foto: Getty Images / Archivio Cicconi

Papst Pius XI. und XII.: Unfehlbar, aber nicht sattelfest

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Wenn der Papst nicht mehr weiß, was er gelehrt hat, fragt er seinen „Holy Ghostwriter“: Der Kirchenhistoriker Matthias Daufratshofer legt akribisch und kurzweilig dogmatische Untiefen der Pontifikate von Pius XI. und XII. offen.

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Wenn der Papst nicht mehr weiß, was er gelehrt hat, fragt er seinen „Holy Ghostwriter“: Der Kirchenhistoriker Matthias Daufratshofer legt akribisch und kurzweilig dogmatische Untiefen der Pontifikate von Pius XI. und XII. offen.

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Seit dem Unfehlbarkeitsdogma von 1870 gilt in der katholischen Kirche, dass der Papst allein die Definitionsgewalt über die kirchliche Lehre hat und dass er Letztverantwortlicher für die Auslegung der Tradition ist, die seit Jesu Tagen ungebrochen und kontinuierlich bis in die Gegenwart weitergegeben wurde. Solches argumentieren die konservativen bis traditionalistischen Glaubensbewahrer auch in den aktuellen kirchlichen Debatten.

Dass insbesondere die Kontinuitätsthese, die auch der frühere Papst Benedikt XVI. gern im Mund führte, eine Fiktion ist, haben vor Jahresfrist Kirchenhistoriker wie der Münsteraner Hubert Wolf anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des I. Vatikanums gezeigt. Wolf sprach gar von der „Erfindung“ jenes Katholizismus, der die römische Kirche bis heute beherrscht bzw. dessen Fesseln sie bis heute nicht loswird.

Nun hat der Kirchenhistoriker Matthias Daufratshofer, Schüler Wolfs in Münster, eine weitere akribische wie bahnbrechende Arbeit vorgelegt, die ihrerseits aufweist, wie brüchig das vorgeblich feste Lehrgebäude ist, das im Gefolge des I. Vatikanums aufgerichtet wurde. Daufratshofers detektivische Spurensuche mündete in die 680 Seiten starke Monografie „Das päpstliche Lehramt auf dem Prüfstand der Geschichte“, deren gewiss anspruchsvolle Lektüre allen ans Herz zu legen ist, denen an Argumenten für eine Weiterentwicklung kirchlicher Lehre liegt.

Entdeckung des Franz Hürth SJ

Daufratshofer beleuchtet dazu den Zeitraum von den 1920er bis zu den 1950er Jahren unter den Päpsten Pius XI. und XII. Und er tut dies, indem er die eminente Rolle des Jesuitentheologen Franz Hürth (1880–1963) aufdeckt, der Professor für Moraltheologie an der Jesuitenhochschule in Valkenberg/NL und ab 1936 an der Gregoriana in Rom war. Den bislang weitgehend unbekannten Theologen identifiziert Daufratshofer als höchst einflussreichen Zuarbeiter der beiden Pius-Päpste, er bezeichnet ihn gar als „Holy Ghostwriter“.

Derartige Bezeichnung kommt auf den ersten Blick flapsig daher, es geht diesem Autor aber darum, von Anfang an klarzumachen: Die kirchliche Lehre wurde den Päpsten keineswegs vom Heiligen Geist „diktiert“, sondern da war ganz ordentlich Menschenwerk dabei – eben etwa in Person des strikt neuscholastisch denkenden und argumentierenden deutschen Jesuiten Franz Hürth, der sich auch gegenüber Päpsten durchsetzte, ja, die er gar von seiner theologischen Richtung überzeugte.

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