Papst steht mit seiner Kritik nicht allein

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Die Hoffnungen und Sorgen Johannes Pauls II. am Jahresanfang 2002 gelten dem Kampf gegen weltweite kulturelle und soziale Ursachen des Terrorismus.

Das ist die innerste Überzeugung des Papstes Johannes Paul II.: Kriege und Terrorismus, die die Welt im vergangenen Jahr zutiefst erschütterten, können auf Weite Sicht gesehen nicht durch Waffen überwunden werden. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2002 sagt er: Es kommt entscheidend darauf an, "die sozialen und kulturellen Ursachen des Terrorismus zu beseitigen".

In seinen sozialen Botschaften kommt der Papst immer wieder auf diese Ursachen zurück. Natürlich gibt es auch weltanschauliche Ursachen und religiösen Fanatismus. Aber viel entscheidender sind für ihn die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Hintergründe. Der Papst anerkennt durchaus die Fortschritte, die einige Entwicklungsländer in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Andere aber stagnieren und nicht wenige sind in den letzten Jahren armer geworden. Darum spricht Johannes Paul II. von einem "Drama der Unterentwicklung", das die Welt von heute kennzeichnet.

Mit dieser Kritik steht der Papst keineswegs allein. Der Bericht der Weltbank vom Dezember 2001 anerkennt ebenfalls einige Fortschritte in der Entwicklung der Völker der Dritten Welt. Lebten 1987 noch 28 Prozent der Weltbevölkerung von weniger als einem US-Dollar pro Tag, waren es 1998 nur noch 23 Prozent. Gleichzeitig aber stellt die Weltbank fest, dass die Entwicklungshilfe im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt der Industrieländer gegenwärtig so niedrig ist wie nie zuvor. Darum stellt die Weltbank ein Sieben-Punkte-Programm vor, zum Beispiel den Abbau der Handelsschranken gegenüber den Entwicklungsländern und ebenso den Abbau der Agrarsubventionen die pro Jahr 5,4 Milliarden Dollar betragen, das heißt siebenmal so viel wie die gesamte Entwicklungshilfe.

Die kirchliche Organisation "Horizont 3000" hat dieser Tage eindringlich darauf hingewiesen, dass die EU-Mitgliedsstaaten seinerzeit beschlossen hatten 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Heute ist man weit davon entfernt Österreich wendet gegenwärtig nur 0,26 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Entwicklungshilfe auf und liegt damit vor Italien all vorletzter Stelle.

Um es noch einmal zu sagen: Johannes Paul II. will mit seiner Kritik nicht den beachtlichen Beitrag der Industrieländer für die Entwicklungshilfe leugnen. Er ist ebenso davon überzeugt, dass die Entwicklungsländer selber am "Drama der Unterentwicklung" mitschuldig sind; durch Kriege, Korruption, Kapitalflucht.

Trotzdem liegt für den Papst die Hauptverantwortung bei den Industrieländern. Es ist bezeichnend, dass er in diesem Zusammenhang von "Strukturen der Sünde" spricht. Das heißt mit anderen Worten: Es handelt sich bei dem "Drama der Unterentwicklung" nicht primär um eine Schuld einzelner Menschen oder Gruppen. Es geht vielmehr um "wirtschaftliche und politische Strukturen und Mechanismen", die sich in einem langen Prozess entwickelt haben und ihre Macht über ganze Völker und Kontinente ausüben: auf den Inlandsmärkten, den Weltmärkten, in politischen Blöcken.

Der Papst weiß, dass sich viele unter diesen Ausdrücken wenig vorstellen können, weil sie die Erfahrung des Durchschnittsmenschen überschreiten. Der Papst weiß ebenso, dass die Weltwirtschaft und die Weltpolitik Strukturen und Organisationen brauchen. Aber sie dürfen nicht ganze Kontinente ausschließen und sich der Kontrolle entziehen. Darum sagt er ganz bewusst: "Sünden und Strukturen der Sünde sind Kategorien, die nicht oft auf die Situation der Welt von heute angewendet werden. Aber man gelangt nicht leicht zu einem tieferen Verständnis der Wirklichkeit, die sich unseren Augen darbietet, wenn man der Wurzel der Übel, die uns bedrängen, nicht auch einen Namen gibt."

Um es kurz zu sagen: Die Weltfriedensbotschaft 2002 des Papstes Johannes Paul II. ist von einer tiefen Sorge bestimmt: Die Terrorakte des Jahres 2001 stehen als Bedrohung Beginn des Jahres 2002. diesem Terror stehen womöglich schon bald neue Waffen zur Verfügung, die grausamer sein werden als die vom 11. September. Natürlich muss sich die Welt. davor schützen aber viel entscheidender ist für den Papst die Beseitigung der weltweiten sozialen und kulturellen Ursachen des Terrorismus.

Schon Papst Paul VI. hat dies 1967 in der Sozialenzyklika "Populorum Progressio" so ausgedrückt - und Johannes Paul II. hat diese Formulierung aufgegriffen: "Entwicklung ist der neue Name für Frieden".

Der Autor ist Jesuit und Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie in Wien. Er war Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Schwerpunkt: Papst für den Frieden

Die Botschaften Johannes Pauls II. zum Weltfriedenstag, der jeweils am 1. Jänner begangen wird, waren schon in den letzten Jahren engagierte Dokumente der Hoffnung. Das Papstschreiben zum 1. Jänner 2002 erweist sich - nicht nur angesichts der Weltlage - als besonders brisant: Johannes Paul II. verurteilt darin den Terrorismus ebenso wie er Gerechtigkeit, Vergebung und die gemeinsame Anstrengung der Religionen als für den Frieden notwendig beschreibt. Im furche-Schwerpunkt analysieren Kardinal König und der Sozialethiker Johannes Schasching diese Aussagen und Anliegen des Papstes. ofri

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