6594119-1952_46_05.jpg
Digital In Arbeit

Papst und Wissenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aufgaben des Papstes sind primär religiöser, nicht profaner Natur. Das Profane ist sekundär, darunter auch die profane Wissenschaft. Nichtsdestoweniger aber wird sie überall dort höchst wichtig, wo sich wesentliche Zusammenhänge mit den religiösen Belangen ergeben. Das ist natürlich in erster Linie in der Theologie der Fall. In zweiter Linie aber gilt es auch für die Philosophie, ja für weite Gebiete der Geistes- und der Naturwissenschaften. Kaum ein Papst hat durch Wort und Beispiel so fördernde Richtlinien für die Wissenschaft überhaupt und insbesondere für die Heranziehung der profanen Wissenschaft in der Theologie gegeben wie Pius XII. Es sei nur auf einiges hin- gewiesen.

1.

Vor allem hat der Hl. Vater die w i s- senschaftliche Haltung endgültig von ethischen Vorurteilen befreit, in denen manche ihrer Freunde und Gegner befangen waren. Wissenschaft, so meinten manche, sei eine weltliche Angelegenheit und habe daher in der Theologie überhaupt nichts zu sagen. Oder sie sei nur dann von Wert, wenn sie der eigenen oder fremden Erbauung diene. Oder sie könne nur dann als sittlich gewertet werden, wenn sie Erforschung der Schöpfung mit dem ausgesprochenen religiösen Zweck verfolge, den Schöpfer besser kennenzulernen 1. Demgegenüber betont der Hl. Vater: „Jede menschliche Erkenntnis, auch wenn sie nicht religiösen Charakters ist, hat schon in sich eine ihr eigene Würde und Hoheit. Ist sie doch eine endliche Anteilnahme an Gottes unendlicher Erkenntnis.“ Weit entfernt jedoch, ihren religiösen Wert zu verkennen, fährt er fort: „Wenn sie aber dazu verwendet wird, Fragen, die Gott und Göttliches betreffen, heller zu beleuchten, so erhält sie dadurch eine neue, höhere Würde und Weihe2."

2.

Von diesem seinem Standpunkt ausgehend, hat der Hl. Vater gewissen Geisteswissenschaften höchstes Lob gespendet, die früher geradezu als glaubensfeindlich angesehen wurden. So sagt er zum Beispiel über die Textkritik: „Die Wissenschaft der Textkritik, die bei der Herausgabe von Profanschriften anerkennenswert und erfolgreich angewendet wird, betätigt sich heute mit Fug und Recht auch an den heiligen Büchern Sie, die manche Gelehrte noch vor einigen Jahrzehnten ganz willkürlich angewandt haben, nicht selten so, daß man hätte meinen mögen, sie täten es, um ihre vorgefaßten Meinungen in den heiligen Text hineinzutragen, hat heute — es ist kaum nötig, dies zu bemerken eine derartige Festigkeit und Sicherheit der Regeln erlangt, daß sie ein treffliches Werkzeug geworden ist, um die Heilige Schrift reiner und genauer herauszugeben .

Voll des Lobes ist der Hl. Vater über Jene Forschungen, die in den biblischen Wissenschaften von größter Bedeutung geworden sind: über die umfangreichen Ausgrabungsarbeiten, über die Entdeckung von Schriftdenkmälern, die zur Kenntnis der ältesten Sprachen, Literaturen, Zeitgeschichte, Sitten und Religionsformen geführt haben, ebenso über die Auffindung und Entzifferung von Papyri, die uns tiefen Einblick in die Einrichtungen des öffentlichen und privaten Lebens von damals geben, über die Auffindung und Veröffentlichung biblischer Handschriften. „Alle diese Ergebnisse, die unsere Zeit, nicht ohne besondere Absicht der göttlichen Vorsehung, er ziert hat, laden ein, dieses strahlende uns zuteilgewordene Licht freudig zu benutzen, um Gottes Wort tiefer zu durchforschen4."

3.

Fast noch wertvoller als sein Wort ist das Beispiel des Hl. Vaters. Als solches muß man schon seine großen, geradezu wagemutigen wissenschaftlichen Unternehmungen ansehen, wie etwa die neue Psalmenübersetzung und die Ausgrabungen unter St. Peter. Aber ich meine hier noch etwas anderes: unser großes Problem ist heute, einerseits wertvolle Überlieferung zu hüten. Damit ist nicht bloß Offenbarungsgut, sondern auch wissenschaftliche Lehre und Methode zu verstehen. Ihre Erhaltung in Theologie und Philosophie ist besonders an die kirchlich vorgeschriebene Pflege des Thomismus gebunden.

Andererseits entspricht aber dieser konservativen Komponente eine fortschrittliche. Es ist die Forderung, alle fhzwischen gewonnenen Erkenntnisse zu verwerten, um sie organisch in das gegebene System eirizübauen.

Hier ergibt sich nun die Schwierigkeit, das Gleichgewicht zwischen Überlieferung und Fortschritt herzustellen. Darin gehen die Meinungen weit auseinander. Manche halten zu zäh am Alten fest, als daß sie dem Fortschritt gerecht würden. Andere pflegen den Fortschritt und werden dafür der Pietätlosigkeit gegen das Alte angeklagt. Dabei sind diese im Nachteil gegen jene. Denn alte Irrtümer sind durch ihr Alter geheiligt, während neue Wahrheiten schon durch ihre Neuheit befremden. Deshalb hat der Hl. Vater sowohl übertriebene Neuerungssucht gerügt5 als auch den Zelotismus geächtet, den unklugen Eifer derer, die meinen, alles Neue schon, weil es neu ist, bekämpfen und verdächtigen zu müssen3.

In dieser Situation sind Vorstöße, wie sie der Hl. Vater gemacht hat, von unschätzbarem Wert. Ich weise nur auf zwei Beispiele hin, in denen er gezeigt hat, wie man einerseits dem Thomismus treu sein, aber trotzdem wesentlich über Thomas hinausgehen könne. Das eine Beispiel ist theologisch und betrifft die Lehre von der Kirche. Ich konnte in meinem Buche „Geheimnis- vollerLeibChristi" (Wien, Herold) auf breiter Basis zeigen, wiesehr und wie folgerichtig das päpstliche Rundschreiben „Mystici corporis" einerseits auf Thomas aufbaut, andererseits über ihn hinausgeht und die Tore weiterer Erkenntnisse auftut.

Das andere Beispiel ist philosophisch. Ich konnte erst kürzlich in einem Aufsatz über den Gottesbeweis aus der Bewegung bei Thomas und nach Pius XII. 7 zeigen, wiesehr der Hl. Vater unter breiter Heranziehung der heutigen Physik diesen Thomasischen Gottesbe- weis in allen seinen Voraussetzungen und Folgerungen auf bessere Grundlagen stellte.

Wie wertvoll solche Beispiele sind, um die richtige Mitte zwischen Altem und Neuem zu treffen, das weiß jeder, der selbst mitten in diesen Auseinandersetzungen steht. Als ich vor zwanzig Jahren über Gottesbeweise und moderne Naturwissenschaft schrieb und eine Revision derselben in gewissen Punkten vorschlug 8, wurde kräftig erwidert. Eine ausländische Kirchenzeitung brachte einen Leitartikel mit fünf Folgen in den nächsten Nummern — und einen Nachtrag der Schriftleitung. In diesem führte der Schriftleiter gegen meine Vorschläge das Rundschreiben „Studiorum ducem" von Pius XI.13 an. Dort steht: „Dis Argumente des hl. Thomas für die Existenz Gottes sind auch heute wie im Mittelalter die beweiskräftigsten." Dies konnte als Ablehnung jeder Revision der fünf Gottesbeweise gedeutet werden. Erst kürzlich noch soll auf einem Kongreß gefordert worden sein: Sie dürfen weder dem Inhalt noch der Form nach abgeändert werden. Was damit umstritten war und ist, ist im Wesen nichts anderes, als was der Hl. Vater in seiner Akademierede am 22. November 1951 verwirklichte.

Mangels eines solchen autoritativen Beispiels hatte ich mich damals mit einer kurzen Erwiderung von ein paar Zeilen 11 begnügt. Der Schriftleiter jener Kirchenzeitung bot mir zwar ehrenhafterweise die Gelegenheit an, in seinem Blatt selbst zu antworten. Ich machte damals davon keinen Gebrauch. Denn ich sah ein, daß es sehr vieler Vorarbeiten bedürfe, bevor mit Aussicht auf Erfolg an eine Revision der Gottesbeweise im Sinne eines kritischen Thomismus herangegangen werden könne.

Nunmehr ist die Lage verändert und jede weitere Arbeit ist durch das Beispiel des Hl. Vaters wesentlich erleichtert. Kaum jemand wird zwar soweit gehen, in einer italienisch gehaltenen Akademierede des Hl. Vaters formell eine Äußerung seines unfehlbaren Lehramtes zu erblicken. Niemand wird aber auch wagen dürfen, deren Inhalt als unkirchlich oder auch nur als unthomistisch zu bezeichnen.

4.

Das Größte und Weittragendste jedoch, was der Hl. Vater tat, scheint mir das zu sein, 4aß er einen gewissen E v o 1 u t i o- nismusderNaturwissenschaft als theologisch diskutabel erklärte. Er tat dies auf biologischem Gebiet im Rundschreiben „Humand generis“12, unter Einbeziehung der Abstammung des Men- schef eibes aus bereits vorhandener lebendiger Materie. Für die anorganische Welt tat er dasselbe in der genannten Akademierede, indem er erklärte, es scheine, daß die Körperwelt einst einen mächtigen Anfang nahm, sich seitdem zum heutigen Zustande voll pulsierenden Lebens entwickelte, nichtsdestoweniger aber altere und einem todähnlichen Zustand zueile1S.

Ist nun aber Evolutionismus philosophisch und theologisch diskutabel, so heißt das angesichts des kirchlich vorgeschriebenen Thomismus nichts anderes,

als daß eine Synthese von Thomismus und Evolutionismus diskutabel sei. Damit sind wir vor eine kolossale Aufgabe gestellt. Sie scheint auf den ersten Blick geradezu unlösbar. Denn für Evolutionismus war bei Thomas kein Platz. Den fundamentalen Gegensatz zwischen heutiger Entwicklungsbiologie und damaliger Erzeugungsbioiogie konnte ich in mehreren Werken aufzeigen, in „Zeugung der Organismen, insbesondere des Menschen", in „Elternschaft und Gattenschaft“ und in „Dogma und Biologie der Heiligen Familie“ t4. Niemand sah übrigens den Gegensatz zwischen Thomismus und Evolutionismus besser als Thomas selbst. Aus diesem Grund hat er auch die hoffnungsvollen Ansätze für eine Entwicklungslehre, die bei Augustin Vorlagen, im Sinne einer Aristotelischen Erzeugungskosmologie und damit ins Gegenteil um- gedeutet.

Aber trotz der scheinbaren Aussichtslosigkeit — auf sein (des Papstes) Wort hin — werden wir die Netze aus werfen und wir hoffen auf einen Teichen Fischfang, Nicht am Alten festhalten, ohne vom Neuen Kenntnis zu nehmen, nicht das Neue pflegen, ohne dem guten Alten Rechnung zu tragen, ist das Ideal. Die größte Kunst ist es, das solide Alte mit dem gediegenen Neuen zu einer inneren Einheit zu verschmelzen. Dabei kommt, um einen Vergleich aus der Chemie zu gebrauchen, alles darauf an, die Valenzen und die Verbindungsgewichte beider Komponenten richtig zu bestimmen.

1 Mitterer, Albert. Philosophie und Theologie, Wien (Herder) 1948. S. 31—42. — s Rundschreiben „Divino afflante Spiritu". Siehe Mitterer, Albert. Eros und Ethos der theologischen Forschung. Gloria Dei 1 (1947) 313. — ‘ Ebendort 310. — Ebendort 308. — 5 Rundschreiben „Humani generis". — 8 Wie Anmerkung 2—4, Seite 315. — 7 In „Theologische Fragen der Gegenwart" (Kardinal- Innitzer-Festgabe) Wien (Domverlag) 1952. Seite 49—59. — 8 „Das Neue Reidi“ 14 (1939) 605 f. — 8 Der geschätzte Verfasser ist inzwischen gestorben. — 10 Vom 29. Juni 1923. AAS 15 (1923) 317. — 11 ZkTh (Innsbruck) 58 (1934) 410. — 12 Ebenda Herder Nr. 36. — 18 Siehe Anmerkung 7. — 14 Alle drei; Wien (Herder).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung