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Papstworte zur Psychoanalyse

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„Man erniedrige den Menschen mit seinem persönlichen Charakter nicht zu schnell zum Tiiebwesen“, sagte Papst Pius XII. in einer bedeutenden Ansprache vor dem V. Internationalen Kongreß lür Psychotherapie und klinische Psychologie auf einer Sonderaudienz am 15. April 1953. Vor Fachgelehrten aus zwölf europäischen und überseeischen Ländern setzte er sich mit den Grundlagen der Psychotherapie und der praktischen Handhabung der Psychoanalyse auseinander. „Sie arbeiten in einem schwierigen Feld“, liei er den Wissenschaftlern zu, „aber ihr Schaffen kann für die Heilkunde, für die Erkenntnisse der Seele überhaupt und für die religiösen Anlagen und die Vervollkommnung des Menschen wertvolle Erkenntnisse zeitigen.“

Der christliche Psychologe und Psychotherapeut müsse den Menschen als physische Einheit, als soziale Einheit und als transzendentale, das heißt zu Gott strebende Einheit betrachten, sagte der Papst. Nachdrücklich wies er auf die Fehler hin, die bei zuwenig oder zuviel Anwendung der Sozialpsychologie im Hinblick auf die Beziehung des Menschen zur Außenwelt hin begangen würden. Die Ichverhaftung, auch wenn sie auf den sittlichen Bereich übergreift, wenn es sich zum Beispiel um Dynamismen, wie Machltrieb, Geltungstrieb, Sexualtrieb handle, dürfe die Psychotherapie nicht ohne weiteres als Schicksal behandeln. Man dürfe die Ichverhaftung nicht als aus dem Unterbewußtsein hervorbrechende Uebergewalt ansehen, die der Steuerung durch die Seele und das Gewissen einlach entzogen sei. „Auch wenn es von Seiten des Psychotherapeuten gut gemeint ist, so empfinden feinfühlende Menschen diese Herabminderung auf die Ebene des Instinktes und des Sinnenwesens doch sehr bitter“, sagte der Papst. Das Zuviel der Sozialpsychologie liege in der Forderung des unbeschränkten Aufgehens des Ichs in der Gemeinschaft.

Im Hinblick auf die Anwendung der Psychoanalyse erklärte Papst Pius XII.: „Den praktischen Punkt der Psychotherapeutik, den wir anmelden, betrifft ein wesentliches soziales Interesse, die Wahrung des Geheimnisses. Sie ist bei Anwendung der Psychoanalyse gefährdet. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß ein geheimes Tun oder Wissen, ins Unterbewußte verdrängt, schwere psychische Störungen hervorruft. Wenn die Psychoanalyse die Ursachen dieser Störung erforscht, wird sie, ihrem Grundsatz gemäß, jenes Unterbewußte ganz hervorziehen wollen, um es bewußt zu machen und so das Hindernis zu beheben. „Aber es gibt Geheimnisse“, so fuhr der Papst fort, „die man unbedingt verschweigen muß, auch dem Arzt gegenüber, auch auf die Gefahr schwerer persönlicher Schädigung hin.“ Hierunter fielen zum Beispiel das Beichtgeheimnis und das Amtsgeheimnis. Man dürfe die Grundsätze der psychoanalytischen Praxis nicht hemmungslos zur Anwendung bringen.

Die Tiefenpsychologie, fuhr der Papst fort, dürfe sich auch mit religions-psycho-logischen Inhalten belassen, wenn sie sie zu analysieren und in ein wissenschaftliches System zu bringen suche.

„Sie ist sicherlich nicht zu beanstanden, auch wenn dies völlig neu ist und eine Terminologie hierfür sich in der Vergangenheit nicht findet. Wie wissen“, sagte der Papst, „daß der Ursprung der Religion in natürlicher wie übernatürlicher Gotteserkenntnis und Gottesverehrung, nicht aber im Unter- und Unbewußten liegt, nicht in einem affektiven Impuls, sondern in der klaren Erkenntnis Gottes aus seiner Offenbarung.“

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