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Physik und Metaphysik

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Von den neusten Atomforschern kann man wohl sagen, daß sie uns zum Staunen bringen durch die unglaublichen Entdeckungen. Gleichzeitig bringen sie uns auch die „Rätselhaftigkeit“ des materiellen Sein wieder zum Bewußtsein.

Mit der Entdeckung des Physiken Max Planck, daß in einem atomaren Schwingungssystem die ausgesandten Strahlen immer nur ein ganzes Vielfaches der Schwingungszahl sind (Energiequanten) und daß die Energieabgabe nicht stetig erfolgt, wie es die Gesetze der klassischen Elektrodynamik erfordern würden — mit dieser Erkenntnis ha* sich allmählich eine große Umwäbsung in der sogenannten Atomphysik vorbereitet.

Heute kann man sagen, daß die Quantentheorie von M. Planck der große Schnitt sei, der die klassische Physik von der modernen trennt.

Seit Jahren beschäftigen sich die Physiker vom Fach mit den Problemen, die durch die Forschungen auf dem Gebiete der Atomphysik aufgeworfen worden waren. Es sind Probleme, die an\ den Grundlagen der gesamten Physik rütteln; einer Physik allerdings, die von der Überzeugung ausgegangen war, daß die Gesetze der klassischen Mechanik das gesamte Sein der Dinge erfasse und von ewiger Gültigkeit seien. Die klassische Mechanik hat eine Denkweise begründet, die ist

1. materialistisch monistisch (das heißt Materie allein ist das wirklich Seiende),

2. mechanistisch (das heißt die Seinskörper werden nur von den Gesetzen des Druckes und Stoßes regiert),

3. rationalistisch (das heißt durch Messen und Wägen allein wird das letzte Wesen der Dinge ergründet).

Gerade in ihrer rationalistischen Haltung hat diese Denkweise alles geleugnet, was dem Verstände unzugänglich ist; vor allem die Verschiedenheit der Qualitäten will sie auf quantitative Unterschiede zurückführen. Dadurch hat sie sich den Zugang zu den tieferen Schichten de Seins versperrt, das Geheimnisvolle und Wunderbare überheblich geleugnet. Die Klarheit und Durchsichtigkeit der mechanistischen Gesetze, die alles auf mathemansche Formeln zurückführen können, schienen die letzte Antwort zu geben. Ihr Ideal ist die Maschine.

Im Gefolge dieser bewußten und unbewußten mechanischen Denkhaltung treten in rascher Folge auf philosophischem Gebiete auf: Monismus, Determinismus und Materialismus — und als letzter, logisch konsequenter Schritt — der Atheismus.

Die Metaphysik als die Wissenschaft vom Immateriellen, die nach den letzten Gründen des Seins forscht, war von der — durch die „exakten Naturwissenschaften“ geformten — geistigen Haltung verdächtigt und als unwissenschaftlich disqualifiziert worden. Damit soll nicht gesagt sein, daß die klassische Mechanik falsch sei. Ihre fast grenzenlosen Erfolge, die Entwicklung der Technik, haben ihre Hypothesen bestätigt. Das Unrecht der „exakten Naturwissenschaften“ war die Anmaßung, daß „Zahl, Maß und Gewicht“ den gesamten Bereich des Seins erfassen und nicht nur einen Aus-sdinitt davon.

Die^ersten Risse im mechanistischen Weltbild wurden bereits sichtbar, als es nicht mehr gelingen wollte, alle physikalisdien Vorgänge mechanisch zu erklären, als es undurchführbar erschien, die Elektrizität auf Mechanik zurückzuführen (vergleiche Maxwell, der Entdecker der elektromagnetischen Feldgesetze), Baltzm mit (1844 bis 1906) stellte fest: „Die Möglichkeit einer mechanischen Erklärung der ganzen Natur ist nicht bewiesen; und medianische Begriffe sind oft anschauliche Bilder, welche in der als Dogma längst nicht mehr anerkannten Ansicht gipfeln, daß die ganze Welt durch die Bewegung materieller Punkte darstellbar sei.“

Heute ist es klar und wird es immer eindringlicher deutlich, daß das Innere des Atoms von anderen Gesetzen als den mechanischen regiert wird.

L. de B r o g 1 i e, der sich besonders mit Wellenmechanik, mit den Problemen von Licht und Materie befaßt hat, schreibt über den Zusammenhang von Makrokosmos und atomarem Mikrokosmos: „Der Gedanke, daß sich die physikalische Welt in allen Maßstäben gleich ist, daß das unendlich Kleine sozusagen eine homotethische Reduktion des unendlich Großen ist, findet sich wie ein Leitmotiv In den Schriften der Denker und den Theorien der Wissenschaftler wieder. Pascal hat diesen Gedanken ergreifend ausgedrückt, und noch vor 20 Jahren hat diese Idee die Erfindung der planetaren Atommodelle inspiriert. Heute scheint uns diese Auffassung im Lichte der jüngsten Theorie unexakt. Die Bilder, welche für die Beschreibung des Makrokosmos genügen, passen nicht für die Beschreibung des Mikrokosmos. Wenn der Physiker sich den kleinsten Größen zuwendet, sidi der Atomwelt, der Welt der Korpuskeln nähert, trifft er dort auf ein gänzlich neues und un-reduzierbares Element, das Wirkungsquantum, dessen Existenz zu bedeutsamen Konsequenzen führt.“

Es mehrt sich die Zahl der Fachphysiker, die den von der neuen Atomphysik aufgeworfenen Fragen nachgehen. Als bedeutsame Namen seien beispielsweise genannt: W. Heisenberg, der durch seine Unbestimmtheitsrelation (1927) in den Gang der physikalischen Diskussion eingegriffen hat (vergleiche sein Werk „Wandlungen der Grundlagen der exakten Naturwissenschaft“, 1935, und „Die Einheit des naturwissenschaftlichen Weltbildes“, 1942), sowie A. S. Eddington, der bekannte englische Astrophysiker („Das Weltbild der Physik und ein Versuch einer philosophischen Deutung“, deutsche Übersetzung 1939), P. Jordan („Die Physik des 20. Jahrhunderts“,1936), E. Zimmer („Umsturz im Weltbild der Physik“, 1938).

P. Jordan bekennt: „Die Physik gewöhnt sich allmählidi an den Gedanken, daß die Gesetze der Mikrophysik etwas wesentlich Neues seien und zu ihrer Erfassung die Schaffung neuer begrifflicher Hilfsmittel erforderlich sein würden.“

Z. B u c h e r, von der Universität Freiburg, Schweiz, stellt in seinem interessanten Werke „Die Innenwelt der Atome“ (Lu-zern 1946) einleitend fest:

Die neueste Atomforschung aber hat nicht nur ungeahnte Entdeckungen gemacht, sondern auch die Rätselhaftigkeit des materiellen Seins aufdringlich zum Bewußtsein gebracht. Diese Probleme bedrängen uns heute mehr denn je. Sie rufen auf zum besinnlichen Nadidenken. Und allenthalben dämmert bereits die Einsicht, daß ein bloßes Herumflicken an überkommenen Vorstellungen nicht genüge, um das Neue zu deuten. Es gälte, radikal umzudenken und einen neuen Ansatz zu suchen.“ (Seite 9.)

Geradezu aufregend war die Erforschung des Atomkernes in den letzten Jahren. Während die Atomhülle mit den Methoden der Chemie und Physik verhältnismäßig leicht zu experimenteller Reaktion gebracht werden konnte, blieb der Kern des Atoms selber in tiefes Geheimnis gehüllt. Außer durch Radioaktivität hat er nichts von seiner Welt verraten. Seit den Entdeckungen der Neutrone (1932) ist es in eigenen kernphysikalischen Laboratorien gelungen, eine künstliche Aufspaltung der Atomkerne zu erreichen und damit den Atomkern selber durch entsprechende Experimente zum ..Sprechen“ zu zwingen. Zur Zeit haben wir daher als Bausteine des Atoms: 1. das Alfa-Teilchen mit der Masse 4, 2. das P r o-ton mit der Masse 1, 3. das Neutron mit der Masse 1, 4. das Elektron mit der Masse Visst, 5. das Positron mit der gleichen Masse Visst.

Die Antwort, die das Atom auf die Experimente gegeben hat, ist mit den Gesetzen der klassischen Mechanik nicht mehr zu vereinbaren. Die Atome sind Natursubstanzen, welche ihre eigenen Gesetze haben. Sie sind eine „von innen her aufbrechende Aktualität“. Die Vorgänge im Atominnern können nur durch eine Zielstrebigkeit (Finalursache, Teleologie) erklärt werden. Das Elektron reagiert auf äußere Einwirkungen nicht „mechanisch“, sondern so, wie es für das Atomganze zweckmäßig ist.

Und dort, wo Teleologie, das heißt Ziel und Zweck des Ganzen, als richtunggebendes Prinzip angenommen werden muß, dort muß mit unerweisbarer Logik ein immaterielles Prinzip in der Materie angenommen werden, welches die Teile zum Ganzen formt.

E. May („Am Abrund des Relativismus“, Berlin 1942. Eine Arbeit, die von der Berliner Akademie der Wissenschaften preisgekrönt wurde), ein Naturwissenschaftler vom Fach, stellt fest (Seite 13):

„Es scheint nichts anderes übrigzubleiben, als in einem unvorstellbaren Etwas, das mit keiner Eigenschaft der Materie identisch ist oder auch nur Verwandtschaft zeigt, das beharrliche Wesen des Stoffes zu erblicken. Die aristotelisch-thomistische Philosophie bestimmt in der Tat die körperliche Substanz in dieser Weise, und es muß zugegeben werden daß diese Lösung des Problems zweifellos befriedigender ist als die positivistische Substanzleug-nung mit ihren nachteiligen Folgen.“

Damit wird die Naturwissenschaft selbst durch den Zwang des Experiments und den Gang der Forschung hingeführt zu dem altehrwürdigen Bau der Metaphysik. Es sind nicht verwitterte Ruinen, wie in Überheblichkeit eine vergangene Zeit meinte, sondern es ist ein monumentaler Bau von imponierender Geschlossenheit und Dauer, der • jetzt unvermutet aus der Welt des Mikrokosmos neu auftaucht und seine überzeitliche Geltung beansprucht.

Ehrfurcht vor der Metaphyysik führt von selbst auch wieder zur Ehrfurcht vor der Religion. Wer in den letzten Jahren nur flüchtig das naturwissenschafdiche Schrifttum verfolgte, konnte hier Werke antreffen, deren Titel vor zwei Jahrzehnten kaum möglich gewesen wären.

Der Atomphysiker, Erfinder der Quantentheorie und Nobelpreisträger Max Planck — bis zum Kriegsende Professor der theoretischen Physik an der Universität Berlin, Träger des Goethe-Preises 1945 — hat unmittelbar vor Beginn des zweiten Weltkrieges und während des Krieges in verschiedenen deutschen Städten, darunter auch in Wien, einen Vortrag gehalten über das Thema „Religion und Naturwissenschaft“. Der Vortrag ist mit dem gleichen Titel im Budihandel erschienen. Darin kommt er gegen Schluß zur Feststellung: „Wohin und wie weit wir also blicken mögen, zwischen Religion und Naturwissenschaft finden wir nirgends einen Widerspruch, wohl aber gerade in den entschei-densten Punkten volle Ubereinstimmung.“

B. B a v i n g, dessen „Übersicht über die Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaft“ bereits in achter Auflage erschienen ist (Bern 1945), hat einige Jahre früher ein Werk veröffentlidit, das den bezeichnenden Titel trägt: „Die Religion auf dem Wege zur Religion“ — M. Hartmann, der Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie in Berlin, dem man weder Mangel an Fachkenntnissen noch übertriebene Sympathie für den christlichen Theismus nachsagen konnte, schrieb 1940 in der Einleitung seines Werkes „Religion und Naturwissenschaft“: ..Die positive Einstellung zu Religion und Gottesglauben macht sich mehr1 und mehr bemerkbar, und es steigt die Zahl der Naturwissenschaftler, die sich auch' öffentlich in der verschiedenartigsten Weis und mit verschiedener Begründung zu Religion und Gottesglauben bekennen.“

Der schon genannte englische Astrophyw siker A. S. E d d i n g t o ri, der so zurückhaltend ist im Aufstellen allgemeiner Sätze, entschließt sidi in seinem Werke „Science and the unseen world“ (Die Wissenschaft und die Welt des Unsichtbaren) zu dem Bekenntnis: „Man kann wohl sagen, dafl durch die jüngste Umstellung des natur wissenchafdichen Denkens einige der Hüsh dernisse, welcher einer Versöhnung von Religion und Naturwissenschaft im Wege standen, beseitigt Worden sind.“

Der englische Physiker Jeans zleRt tu den neuesten Ergebnissen der Naturwissenschaften folgende Folgerungen

„D ii' Weltall fängt an. aakf einem großen Gedanken all einer großen Maschine zu gleichen. Der Geist erscheint uns nicht mehr als ein großer Eindringling in das Reich der Materie) wir fangen an, zu ahnen, daß wir ihn eher ab einen Schöpfer und Beherrscher de -Reiche der Materie begrüßen dürfen — freilich nicht unseren eigenen Geist, sondern den Geist, in weldaem die Atome, aus denen unser eigener Geist erwuchs.“

Der Umsturz im Weltbild der PKysiTt wirkt sich gegenüber Metaphysik und Religion in einem Maße aus, daß man fast von einer Revolution des Geistes gegen die Materie sprechen kann. Die Physiker vom Fach gehen daran, den materialistischen Schutt vergangener Generationen wegzuräumen und damit die Metaphysik neu zu bauen.

Z. Bu c h e r darf mit Recht die natur-philosophische Folgerung aus der „Innenwelt der Atome“ ziehen: „Wer den Mut hat, wirklich bis zum Letzten durchzustoßen, kann nicht umhin, in der kosmischen Wohl-geformtheit der Natur eine geistige Erzeugung anzuerkennen. Die Strahlen des Göttlichen, die sich gerade in der Welt der Atome tausendfach brechen und spiegeln, könnten einen Blinden noch sehend machen.“

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