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Pille und Bombe

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Seit der Definition der Unfehlbarkeit des Papstes durch das I. Vatikanische Konzil hat kaum eine kirchliche Erklärung derart das Interesse der Welt gefunden wie die letzt Enzyklika Pauls VI. „Humanae vitae“. Die Stimmung, die in de Welt innerhalb von Christen und Nichtchristen auf tauchte, hatte schon teilweise revolutionären Charakter. Uralte antikirchliche, antirömische und antipäpstliche Affekte kamen wieder zum Vorschein und wurden über das Thema der Enzyklika gegen den Papst, ja überhaupt gegen die Institution des Papsttums vorgebracht.

Dabei dürften die wenigsten, die zum Sturm gegen den Papst bliesen, die Enzyklika wirklich zur Gänze gelesen haben. Sie wären ansonst darauf gekommen, daß dieses Rundschreiben einen großen Fortschritt darstellt, ja fast mit dinier koper- nikanischen Wendung im kirchlichen Denken vergleichbar ist.

Wer in der Geschichte der kirchlichen Lehre jenes Kapitel kennt, das als „de sexto“ bezeichnet wird, stößt auf einen leidvollen Weg der Kirchengesckicbte. Nur langsam konnte im Laufe der Jahrhunderte die katholische Kirche altes jüdisches Gedankengut, aber auch starke gnostische Einflüsse abschütteln, die sie nur zu oft zu einem leibfednidllichen Denken verleitet hatte. Das ganze Mittelalter hindurch war die katholische Sexuallehre noch von einer starken Leib- feinidlichkeit beherrscht Diese Lehre ging von der Ansicht aius, daß die Ehe zwar keine Sünde, aber für den Christen doch etwas sei, was ihn von Gott abziehe, ja durch die geschlechtliche Lust im direkten Gegensatz zu Gott bringen könne, da ja alles Leibliche im Grunde böse sei. Die eheliche Vereinigung sollte so weitgehend wie möglich vermieden werden. Unstatthaft und zumindest eine läßliche Sünde sei sie, wenn sie nicht zum Zwecke der Zeugung von Nachkommenschaft vorgenommen werde. Aber selbst diese Vereinigung war unter Sünde dann immer verboten, wenn sie mit einem Tag kumulierte, der besonders Gott geweiht war, das heißt, sie durfte nicht stattfinden an allen Sonntagen, Feiertagen, an den Tagen der

Fastenzeit und des Advents, an allen Vdigiitagen und allen Freitagen. Wer die zahlreichen Feiertage des Mittelalters kennt, der wird dann, zusammenzählend alle jene Tage, an denen Eheleute von ihrem Recht keinen Gebrauch machen durften, auf eine erschrecklich hohe Summe kommen. Erschrecklich auch wegen der Folgen, denn die Menschen konnten diese Vorschrift doch nicht einhalten und lebten infolgedessen ständig in dem Glauben, sich im Zustande der schweren Sünde zu befinden und von der Kommunion ausgeschlossen zu sein. Nur mühsam überwand die Kirche die Leibfednd- lichkeit. Erst die Rundschreiben Plus’ XI. und Pius’ XII. tasteten sich zaghaft nach vorne und zeigten dem Christen, daß die Ehe auch doch etwas anderes sei als nur eine Institution, um auf legale Weise die Welt vor dem Aussterben zu bewahren.

Paul VI. hingegen schreibt in seiner Enzyklika, „daß die Ehe eine weise Einrichtung des Schöpfers sei, um den Plan seiner Liebe im der Menschheit zu verwirklichen. Durch die gegenseitige Hingabe, die den Eheleuten ausschließlich ist, streben sie nach der Gemeinschaft ihres menschlichen Seins im Hinblick auf die gegenseitige personale Vervollkommnung“.

Die Natur selbst darf in der Ehe nicht vergewaltigt werden. Und die Pille stellt nach der Ansicht des Papstes eine solche Vergewaltigung der Natur dar. Gleichzeitig aber fordert der Papst die Männer der Wissenschaft auf, alles zu unternehmen, um durch ihre Studien die verschiedenen Möglichkeiten einer sittlich erlaubten Regelung der Fortpflanzung zu begünstigen.

Diese Stelle über die Pille nun brachte — so scheint es zumindest — eine Welt in Erschütterung. Argumente wurden laut, die besagten, daß durch diese Antipillenbestimmung des Papstes die Bevölkerungsexplosion endgültig unvermeidbar sei. Eine Argumentation, die allerdings vollständig danebengeht. Denn allen jenen Völkern, bei denen sich so etwas wie eine Bevölkerungsexplosion vorbereiten könnte, bei den Negern, den Indern, den Chinesen, wird kaum die Existenz Pauls VI. bekannt sein und kaum Kenntnis von seiner Enzyklika genommen werden. In dem so freudlosen Dasein dieser Völker bildet die Existenz von Kindern oft die einzige Freude. Abgesehen vom komplizierten Mechanismus der Pille, die sie für viele dieser Völker unbrauchbar macht, würden sie auch sonst diese Pille ablehnen, da sie doch auf den Besatz von Kindern nicht verzichten wollen. So geht diese Enzyklika doch in erster linde die weißen Völker an, die ohnedies nicht an einem Kinderreichtum „leiden“, deren Zahl im Gegenteil immer mehr abnimmt.

Niemand sprach auch in all diesen Entrüstungsstürmen von den vielen Jugendlichen, von den vielen Mädchen, die ab Vierzehn die Pille schon regelmäßig nehmen, obwohl die Frage der Eriaiufothedt der Pille ja nur eigentlich die Eheleute interessieren sollte. Niemand sprach auch so richtig von den möglichen medizinischen Folgen, die diese Pille bei jenen hervorbringen wird, die sie durch Jahre hindurch nehmen werden. Als das Contergan aufkam, das in Deutschland lange Zeit ohne Rezept zu erhalten war, wurde es als medizinisch vollkommen unschädlich deklariert. Bis 4000 verkrüppelte Contergan-Kinder, von denen inzwischen 1600 verstarben, die Welt vom Gegenteil überzeugten. Noch wissen wir nichts über die Nebenwirkungen der Pille, die möglicherweise erst in 20 Jahren auf- treten. Vielleicht wird man dann Paul VI. den Vorwurf machen, daß er zuwenig energisch gegen die Pille aufgetreten ist.

Die ganze Diskussion über das neue Rundschreiben des Papstes enthüllte einige typische Zeichen unserer Zeit Vor allen Dingen die große Ehrfurchtslosigkeit, die ihr eigen ist. Unsere Zeit, die voll Neugier jedes Geheimnis enthüllen will, die Astronauten auf den Mond sendet und nicht nur die Tiefen der Meere, sondern mittels der Psychoanalyse die Tiefen der Seele erforscht, die die intimsten Stunden zweier Menschen filmt, um sie dann Millionen von lüsternen Augen vorzuführen, diese Zeit ist im tiefsten voll Ehrfurchtslosigkeit. Was alles im Zusammenhang mit diesem Rundschreiben über den Papst gesagt wurde, wobei , Altersstarrsinn “ noch ein mildes Wort war, enthüllt nur in erschreckender Weise, daß selbst bei Priestern der Kirche diese Ehrfurchtslosigkeit Platz gegriffen hat

Es wird heute in der Welt soviel vom Zeitalter des Dialogs und von dler pluralistischen Gesellschaft ge sprochen. Was doch nichts anderes besagt als daß doch verschiedene Meinungen möglich sind und geäußert werden können. Auch der Papst hat das Recht, seine Meinung zu sagen. Aber alle jene, die immer wieder vom Zeitalter des Dialogs sprechen und von der pluralistischen Gesellschaft, scheinen im Grunde genommen den Dialog sehr oft dann abzulehnen, wenn der andere Partner den eigenen Monolog nicht wiederholen will.

Diese ganze Diskussion über die neue Enzyklika enthüllte auch die Ahnungslosigkeit weiter Kreise über das Wesen der katholischen Kirche. Denn die Kirche ist keine .Einmanndiktatur“, wie eie der „Spiegel“ bezeichnete, kein preußischer Exerzierplatz, auf dem die Garderegimenter jede befohlene Schwenkung durchführen, sondern eine Institution, in der eine Diskussion — wenn es sich nicht um ein Dogma handelt — sehr wohl möglich ist. Seitdem der heilige Paulus berichtet, daß er dem heiligen Petrus im Angesicht widerstanden habe, kam es immer wieder zu solchen Diskussionen innerhalb der Kirche. Denn die höchste Instanz für jeden Katholiken ist immer sein Gewissen, dem er allein zu folgen hat. Wobei er natürlich verpflichtet ist, sein Gewissen ständig weiterzubilden und zu vervollkommnen. Eben aus solcher Gewissensfreiheit heraus kam es immer wieder zu Diskussionen auch mit den Päpsten, aber solche Diskussionen können nur in einer Athmosphäre der Ehrfurcht geführt werden. Denn es genügt nicht, sagen die Franzosen, die Wahrheit zu sagen, man muß sie auch höflich sagen.

Als Pius XII. 1950 die leibliche Himmelfahrt Mariens proklamierte, schüttelten sogar manche Katholiken im geheimen dien Kopf und fragten sieh, ob es nicht wichtigere Entscheidungen gegeben hätte. Seither wissen wir, wie wichtig diese Proklamation war und wie recht der berühmte englische Kardinal New- man hatte, der jede Definition durch die Kirche als eine zwingende Notwendigkeit darstellte, ein furchtbar schmerzliches Gebot der Stunde, um die Gläubigen zu stärken, wenn ein großes Übei oder eine große Häresie drohe. Heute, da viele katholische Theologen vielfach schon die Auferstehung Christi leugnen oder zumindest in sehr gewundenen Erklärungen aufzuwekhen versuchen, womit sie eigentlich die Existenz der Kirche an Frage stellen, heute erst wissen wir, welche Wohltat in diesem chaotischen Denken diese Definition Pius’ XII. darstellt. Vielleicht wird es ähnlich einmal mit der jetzigen Enzyklika des Papstes sein, die in ihrem Kern einen großen Fortschritt darstedlt, da sie die Ehe nicht mehr als ein notwendiges Übel ansdeht, sondern als eine weise Einrichtung des Schöpfers, um den Plan seiner Liebe in der Menschheit sau verwirklichen.

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