Plötzliche Entrückung vor der Apokalypse

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Am 25. Juli verstarb der US-Bestsellerautor Tim LaHaye. Die "Left Behind"-Buchreihe aus der Feder des evangelikalen Pastors überträgt biblische Aussagen zur Zukunft der Welt in konkrete aktuelle, wenn auch fiktionale Szenarien -die Lektüre eines Millionenpublikums.

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Am 25. Juli verstarb der US-Bestsellerautor Tim LaHaye. Die "Left Behind"-Buchreihe aus der Feder des evangelikalen Pastors überträgt biblische Aussagen zur Zukunft der Welt in konkrete aktuelle, wenn auch fiktionale Szenarien -die Lektüre eines Millionenpublikums.

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Mit dem Tod des in San Diego 90-jährig verstorbenen Tim LaHaye tritt ein evangelikaler Autor von der Bühne gegenwärtiger religiöser Fiktion ab, der mit seiner Buchreihe "Left Behind" (gemeinsam mit Jerry Jenkins) den amerikanischen Markt seit nunmehr 21 Jahren stark beeinflusst hat. LaHayes Nachfolger als Leiter der "Scott Memorial Baptist Church" in San Diego, David Jeremiah, bezeichnete ihn als "einen der am meisten mit Gott verbundenen Menschen, die ich kennen durfte." Obwohl die Hollywood-Verfilmung von "Left Behind" 2014 mit Nicolas Cage ein kommerzieller Flop ersten Ranges und gleich für mehrere "Goldene Himbeeren" nominiert war, werden seine Bücher weiterhin im sechsstelligen Bereich verkauft.

Wiederkunft Christi heute

In "Left Behind" nimmt LaHaye in einer fiktionalen Erzählung, die in der Gegenwart angesiedelt ist, Bezug auf die evangelikale Naherwartung der Wiederkunft Christi: In den Vereinigten Staaten entwickelten sich seit dem 19. Jahrhundert unterschiedliche Gruppierungen und Ansichten, wann und wie das zweite Kommen des Messias denn stattfinden würde. Die sogenannten Prämillennaristen, zu denen auch LaHaye zu rechnen war, gehen davon aus, dass Jesus vor ("prä-") dem tausendjährigen Reich des Friedens wiederkommen würde. Dies wird als ein punktuelles historisches Geschehen erwartet, dem das tatsächlich tausend irdische Jahre dauernde Herrschaftsreich mit Christus an der Spitze folgt. Eine symbolische Deutung der Bibel wird damit auch hier von diesen Gruppen strikt abgelehnt.

Eine solche wird von den Postmillennaristen vertreten, die glauben, dass vor der Wiederkunft Christi ein symbolisch tausend Jahre dauerndes Reich des Friedens auf der Erde entsteht. Während letztere die Geschichte als eine positive Entwicklung hin zu diesem Frieden sehen (so wurde nicht zuletzt das Ende der Sklaverei in den Vereinigten Staaten gerade auch von dieser Gruppe gefordert, weil nur so das Friedensreich entstehen könne), wird "die Welt" von den premilleniarists als böse und grundschlecht gedeutet: Die Prämillennaristen glauben demnach, dass Jesus zu einer Zeit wiederkommt, in der sich die Menschheit immer weiter von der christlichen Botschaft entfernt hat - damit werden auch politische Geschehen, etwa Rechte von Homosexuellen, Liberalismus etc. religiös interpretiert und vor dem Hintergrund des weltlichen Niedergangs negativ gelesen: Etwa stellt auch die Gründung des Staates Israel für diese Gläubigen einen menschlichen Eingriff in die göttliche Ordnung dar, weil nur der Messias das Recht besäße, Israel wieder neu zu gründen. Die Neugründung Israels 1948 durch David Ben Gurion müsse demnach auch als ein Zeichen des weltlichen Abstiegs und damit der nahenden Endzeit gesehen werden.

Gott entführt die Gerechten

In dieser Zeit der Gottlosigkeit gäbe es, so dieser Glaube, nur mehr eine kleine Gruppe an Gerechten und wahrhaft Gläubigen, die von Gott jedoch durch eine plötzliche Entrückung, dem sogenannten rapture, vor der zerstörerischen Endzeit der Apokalypse gerettet würden. Genau an diesem Punkt setzen die Erzählungen von LaHaye und Jenkins an: Während eines Fluges verschwinden plötzlich alle Kinder und gläubigen Christen (so auch der Kopilot der Maschine), wobei man feststellen muss, dass sich dieses Ereignis nicht nur auf das Flugzeug beschränkt, sondern auf der ganzen Welt Menschen plötzlich spurlos verschwunden sind.

Wie sich herausstellen soll, wurden diese "Gerechten" von Gott gerettet und direkt in das himmlische Reich geführt, während sich für die Verbliebenen die Endzeit und das letzte Gericht einzustellen beginnt. Dazu gehört auch die Machtergreifung des fiktiven rumänischen Politikers Nicolae Carpathia, der sich als der Anti-Christ entpuppen wird.

Mit seinen Büchern griff Tim La-Haye ein prägendes Element amerikanischen Christentums auf, das sich nicht zuletzt auch in der politischen Einschätzung geschichtlicher Ereignisse niederschlägt. Solche christlich konnotierten Deutungen der Geschichte als ein auf die Endzeit zusteuerndes Geschehen sind aus der US-amerikanischen Religionslandschaft seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr wegzudenken. Einen berühmten Höhepunkt dieser Religiosität stellt die "große Enttäuschung" von 1844 dar, als der Prediger William Miller anhand biblischer Berechnungen die Wiederkunft Christi für 1843 und nach späteren Korrekturen 1844 "berechnete" - seine fast 100.000 Anhänger, die all ihr Hab und Gut verkauft hatten und sich in weißen Gewändern auf Berge und Häuser begaben, warteten vergeblich auf den rapture.

Erfolgreichste christliche Fiktion

Mit über 62 Millionen verkauften Exemplaren und insgesamt 300 (!) Wochen in der Bestsellerliste der New York Times ist "Left Behind" das erfolgreichste Werk christlich basierter Fiktion. Mit der Situierung des rapture in der Gegenwart und in alltäglichen Situationen brachten LaHaye und Jenkins den Prämillennarismus auf eine neue Ebene. Sie blieben den fundamentalistischen Zügen dieser christlichen Glaubensrichtung treu, erreichten mit der modernen Version der Apokalypse aber offenbar eine Leserschaft, die sich auch als eine große evangelikale Marktlücke herausgestellt hat.

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