Polen: Mit der Nichte auf Wahlkampftour

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Jaroslaw Kaczynski war zu Lebzeiten seines Zwillingsbruders bekannt für politische Brutalität. Nach dem Drama von Smolensk will er nun in die Fußstapfen des verunglückten Präsidenten treten. Doch werden ihm die polnischen Wähler sein neues „weiches“ Selbstbild nun auch abnehmen?

„Liebe russische Freunde“ – die Stimme ist sanft, der Sprecher in warmes Licht getaucht. Der Rand der eleganten Brille blitzt kurz auf, als Jaroslaw Kaczynski in die Kamera schaut. Die Einstellung zeigt ein Klavier an der Wand, die Noten liegen bereit, als ob Kaczynski gerade eben aufgehört habe zu spielen, um sich an seine „russischen Brüder“ zu wenden. Ruhig, warmherzig und gebildet – so kannten die Polen Jaroslaw Kaczynski bisher nicht. Die Videobotschaft an die Russen ließ er zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai ins Internet stellen.

„Das Video ist ein persönliches Dankeschön an unsere Nachbarn für die Herzlichkeit, die sie den Polen nach der Flugzeugkatastrophe entgegenbrachten“, versicherte der Wahlstab von Jaroslaw Kaczynski. Mit den baldigen Präsidentenwahlen, bei denen Kaczynski als Spitzenkandidat auftritt, habe es nichts zu tun.

Was erst später herauskam: Kaczynski Wahlstab setzte bei der Videobotschaft auf eine professionelle PR-Agentur, die das Image von Kaczynski selbst, aber auch von seinen engsten Mitarbeitern ändern sollte. Auch die Requisiten gehörten zum PR-Plan: Das vermeintliche Wohnzimmer war ein Café, gemietet war auch das Piano – das Kaczynski nicht spielen kann. Das Klavier solle jedoch „ein Symbol der Ehre gegenüber der nationalen Kultur sein“, rechtfertigte sich Elzbieta Jakubik, Mitarbeiterin von Kaczynski, auf einer Pressekonferenz.

Nichte als Wahlkampfhelferin

Erst eine Woche vor der Videobotschaft ließ sich Kaczynski mit seiner Nichte Marta, der Tochter des verstorbenen Präsidentenpaares, von einer Boulevardzeitung ablichten. Kaum jemand glaubte an zufällige Schnappschüsse. Auf ganzen drei Seiten folgten Fotos von einem Familienspaziergang mit Marta und ihren zwei Töchtern in einem Warschauer Park. Kaczynski umarmt die Kleinen, schützt sie beim Schaukeln. „Jaroslaw Kaczynski will die Rolle des Opas übernehmen“, war unter den Bildern zu lesen.

So haben die Polen den einstigen politischen Haudrauf noch nie gesehen: ein Patriot, aber ohne Deutschland- und Russlandphobie, ein ausgewogener Staatsmann und Politiker, gleichzeitig ein warmherziger und freundlicher Mensch. Damit entspricht er dem Bild, das man sich in Polen von seinem Zwillingsbruder Lech nach dessen Unfalltod macht. Lech Kaczynski punktete mit diesem Image postmortal in den Umfragen, sein Bruder könne damit auch eine Chance haben, schätzen die Beobachter.

Durchdachte Kampagne

Trotz der persönlichen Tragödie, die Kaczynski erlebt hat, ist seine Kampagne vorbereitet und durchdacht wie nie zuvor, da sind sich Beobachter einig. Er sei derjenige, der den Stil des Wahlkampfs steuere. Als Politiker, der einen persönlichen Verlust erlitten hat, genieße er zudem besondere Rechte, so die Experten. Das Mitleid allein bringt ihm die Sympathie vieler Wähler.

Kaczynskis Schweigen und seine vornehme Zurückhaltung werden zu seinen Gunsten interpretiert und stoßen auf großes Verständnis. Denn bisher meidet Jaroslaw Kaczynski den Kontakt mit Journalisten, Wählern sowie politischen Gegnern. Seit dem 10. April äußert er sich ausschließlich über seine Mitarbeiter, das Internet und Videobotschaften. Für ein direktes Engagement in der Kampagne sei es noch zu früh, heißt es in seiner Partei.

Manch einer sieht das anders: „Sehr zum Vorteil Kaczynski ist dies eine Kampagne, bei der er selbst kaum zu sprechen ist“, sagt der Politologie-Professor Wawrzyniec Konarski. So biete er Wählern, die ihn ablehnten, keine weitere Angriffsfläche. Die schwache Seite von Jaroslaw Kaczynski sei schon immer seine Aggressivität gewesen.

In der Tat attackierte Kaczynski gnadenlos seine Gegner und teilte die Gesellschaft in die Guten und die Schlechten. Mit seinen oft extremen Äußerungen schreckte er bisher sogar einen Teil seiner Parteifreunde ab – womit Experten den Unterschied zwischen den Prognose-Ergebnissen für die Partei und für den Vorsitzenden Kaczynski selbst erklären. Seine jetzige Strategie hingegen erlaubt Kaczynski die volle Kontrolle über sein neues, sorgfältig ausgearbeitetes Image.

„Jaroslaw Kaczynski wurde nach der Tragödie zu einem neuen Menschen“, betont Pawel Poncyliusz, Sprecher des Wahlstabs von Kaczynski . „Er ist ein Staatsmann, der es verdient, am 20. Juni ausgewählt zu werden.“

Nach wie vor ist der Liberale Bronislaw Komorowski der Favorit der Polen. Doch Komorowskis Vorsprung gegenüber Kaczynski schrumpft. Betrug er Mitte April noch 20 Prozent, liegt Komorowski heute nur noch zehn Prozent vor Kaczynski . Zwar bleibt die Zustimmung für den Liberalen konstant hoch, aber die Unterstützung für Kaczynski wächst schneller. Kaczynski hat es geschafft, viele unentschiedene Wähler zu überzeugen. Das Ergebnis der Wahlen hängt nun ausschließlich davon ab, wie sich sein Konkurrent in dieser Situation verhält.

Akzeptanz der Wähler?

Eine heikle Aufgabe, denn mit seiner Art von Kampagne bremst Jaroslaw Kaczynski seine Gegner geschickt aus. Steigt Bronislaw Komorowski jetzt aktiv in den Wahlkampf ein, kann ihm das vom Wähler schnell als Gefühllosigkeit und Aggressivität gegenüber dem trauernden Kaczynski und seinem verstorbenen Bruder auslegt werden – oder von Kaczynski Wahlstab so interpretiert.

Der Politologe Andrzej Rychard ist allerdings davon überzeugt, dass der Imagegewinn von Kaczynski seinen Höhepunkt schon erreicht hat: „Langfristig werden die Wähler keine Kampagne akzeptieren, die ausschließlich auf der Tragödie basiert“, so Rychard.

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