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Zwei Beispiele, wie Religion in die Politik hineinspielt: Der Sozialethiker herbert pribyl plädierte im niederösterreichischen Stift Herzogenburg für die Ökosoziale Marktwirtschaft als christlich inspiriertes Modell, der Hamburger Politikwissenschafter rainer prätorius analysierte das exzeptionelle Verhältnis von Religion und Politik in den USA.

Herbert Pribyl: Im Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich heißt es: "Die Marktwirtschaft bedarf sozialer, ökologischer Rahmenbedingungen, damit sie dem Leben dient und auf Dauer erfolgreich ist." Dafür bietet sich das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft an. Die Verwirklichung dieser Idee kommt gegenwärtig aber nur schwer voran. Bedingt ist dies durch das vorherrschende Wirtschaftssystem, das die Nicht-Nachhaltigkeit vielfach begünstigt. Preise, Kosten, Tarife, Steuern usw. sprechen oft nicht die ökologische Wahrheit.

Nur wenige Idealisten handeln im Sinne der Nachhaltigkeit, obwohl das für sie teurer, unbequemer und von geringerem Vorteil ist. Zur Verwirklichung dieses Konzeptes ist es notwendig, dass Preise, Kosten, Steuern, Abgaben und Förderungen jene Signale geben, die nachhaltiges Handeln auch für die Bilanzen der Unternehmen und die Konsumenten attraktiv macht. Grundsätzlich geht es um die Integration der Umwelt und der Natur in das Preis- und Kostengefüge. "Wirtschaft muss nicht nur sachgerecht, sondern auch menschen- und gesellschaftsgerecht sein, um die Belange zukünftiger Generationen und der Umwelt miteinbeziehen." (Ökumenisches Sozialwort)

usa: Von der Mitte weg

Rainer Prätorius: Es gab in den usa immer so etwas wie Dominanzkirchen, das war der so genannte Mainline-Protestantismus - die Episkopalen (die ehemaligen) Anglikaner, die Nordstaaten-Methodisten usw. Diese Dominanzkirchen stellten die meisten Präsidenten, die universitären Eliten, hatten im Grunde die usa im Griff. Es dauerte bis in die 1960er Jahre, bis ein katholischer Kandidat Präsidenten wurde. Es gab eine Dominanz, aber es war eine milde Dominanz, außer einem Kriegszug um 1880 gegen die Mormonen haben sie nie versucht, ihre Glaubenslehre mit Waffengewalt durchzusetzen. Sie haben nur einmal ihr Lebensgefühl zum Maßstab einer allgemeinen Gesetzgebung gemacht, und das war die Prohibition und die scheiterte: Es wurde gesoffen wie nie zuvor.

Aber diese milde Art von Dominanz war auch verbunden mit einer zentripetalen Ökumene. Es waren die moderaten, die liberaleren Kräfte - die Mainline-Protestanten, die Katholiken, die Reformjuden -, die das Religionsgespräch in den usa führten, und zwar in den usa stärker als in vielen anderen Nationen, auch international: der Lutherische Weltbund ist eine amerikanische Idee, und auch die anglikanische Weltorganisation ist nicht aus England in die Welt getragen, sondern wurde von amerikanischen Episkopalen initiiert.

Heute verlieren die protestantischen Mainline-Kirchen, obwohl die Bevölkerung wächst, während die Mormonen pro Jahr zweistellige Zuwachszahlen verzeichnen, die Pfingstgemeinden zum Teil noch mehr. So verschiebt sich das Gewicht von der Mitte weg. Mel Gibson hatte mit seinem Passionsfilm die meiste Resonanz in den usa im evangelikal-protestantischen Lager. Und Gibson wirbt zur Zeit in den usa aktiv für eine Version des Katholizismus, die weit, weit hinter das II. Vatikanum zurückfällt.

Er findet dabei auch sehr viel Resonanz - interessanterweise gerade bei evangelikalen Protestanten. Die Gruppierungen, die heute wichtig sind, gehören zu einer sehr evangeliumsgebundenen, bibeltreuen stark auch gesellschaftspolitisch konservativen Auffassung des Glaubens.

usa: Glaube wird "poröser"

Rainer Prätorius: Das evangelikale konservative Milieu kann heute auch massenmedial in einem eigenen Dorf leben: Man kann heute entweder durch Homeschooling oder aber durch parochiale Schulen seine Kinder ganz dem säkularen Schulwesen entziehen, sie dann auf religiöse Colleges schicken, man kann heute im evangelikalen Milieu damit rechnen, auf den höheren Etagen der Wirtschaft Gleichgesinnte zu finden, man kann Unterhaltungsliteratur, Filme, Lebensberatung, alles das unter diesen Vorzeichen beziehen, man kann also sein Leben so organisieren, dass man im Grunde gar keinen anderen Einflüssen ausgesetzt wird.

Das hat mit der Medialisierung des Glaubens zu tun: Der Glaube wird nicht mehr bei Institutionen abgeholt, die eigenes Engagement, Mitwirkung, Einordnung verlangen, sondern Glaube wird als Produkt abgeholt, in Form von einem Tape, das man beim Joggen abhört, oder durch einen Besuch in einer Megachurch, wo auch die Kinder verwahrt werden, wenn man ganz schnell spirituell auftanken will. Das schwächt allerdings die soziale Bindungskraft und das soziale Wirken von Kirchen, die über Jahrhunderte viel für den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft geleistet haben. Diese Medialisierung und damit radikale Individualisierung des Glaubens trägt dazu bei, dass das gemeinsame Band in dieser Gesellschaft poröser wird.

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