Politik der Hyperventilation

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Religion hat sich längst zum Wahlkampfthema entwickelt. Beim Islam ist das evident. Im Hintergrund geraten aber auch genuin christliche Positionen stark unter Druck.

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Religion hat sich längst zum Wahlkampfthema entwickelt. Beim Islam ist das evident. Im Hintergrund geraten aber auch genuin christliche Positionen stark unter Druck.

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Die Frage, ob Religion im gegenwärtigen Wahlkampf eine Rolle spielt, scheint längst beantwortet. Zumindest, was den Islam betrifft. Noch nie im Lande, sieht man von diesbezüglichen Aktivitäten der FPÖ ab, stand diese Religion in einer Wahlauseinandersetzung so am Pranger. Die islamische Kindergarten-Debatte der letzten Wochen ist nur ein Symptom für diesen Befund. Berechtigte Fragen und die Kritik an herrschenden Zuständen werden überlagert vom allgemein grassierenden Generalverdacht gegen alles Muslimische. Man erinnert sich, dass Integrationsminister Sebastian Kurz schon vor Wochen die Schließung von islamischen Kindergärten überhaupt gefordert hat - als ob die religiöse Zuordnung irgendetwas über die (pädagogische) Qualität einer derartigen Einrichtung aussagen könnte. Die Beispiele des entgleisenden öffentlichen Diskurses lassen sich beinahe täglich fortsetzen. Es scheint zurzeit blauäugig, auf die Versachlichung der Debatte zu hoffen. Eine Mahnung wie jene von Caritas-Präsidenten Michael Landau in der ORF-Pressestunde, aus der "Hyperventilation" herauszukommen, verpufft bereits in dem Augenblick, in dem sie geäußert wird.

Markige Einschüchterungen sind angesagt

Dabei geht es in Sachen Religion längst nicht mehr "bloß" um die Muslime im Land. Denn die Christen, für die die Überzeugung des Menschen als Bild Gottes in den Genen liegt, sind genauso unter Druck - zumal sich der Wahlkampf in eine Richtung bewegt, die vor allem "gegen" andere gerichtet ist. Das ist bei vielen Themen sichtbar: Die subkutane Unterstellung (auch die prominent aus dem Kurz-Lager), sich für Flüchtlinge im Mittelmeer engagierende NGOs seien per se Komplizen der Schlepper-Mafia, oder das Ansinnen, den Fährverkehr zwischen Lampedusa und Italien einzustellen, zeigt, dass statt komplexer Überlegungen für eine komplexe Lage markige Einschüchterungen angesagt sind. Analoge Argumentationen gibt es auch zum Thema Sozialstaat, wo eine Sozialschmarotzer-Debatte wohlfeiler ist als gelassenere Analyse und Diskussionen von Problemen. Ach ja: Wahlkampf ist.

Aber dennoch kann und will man sich insbesondere als Christ nicht mit dem Schein einfacher Problemlösungen abfinden und muss den Spagat zwischen den (politischen) Möglichkeiten und dem Blick auf die Schicksale von Menschen versuchen. Im Übrigen fordert das gerade Papst Franziskus unermüdlich; aber gerade diejenigen, die einst an den Lippen des jeweiligen Papstes hingen, überhören diese Mahnungen zu einer Politik mit dem Blick aufs Evangelium geflissentlich.

Keine gute Verfassung, um Probleme zu lösen

Wer aber das - auch im Wahlkampf - im skizzierten Sinn aus christlicher Überzeugung einmahnt, dem fliegt das Kampfvokabel "Gutmensch" um die Ohren, es gibt mittlerweile auch christliche Stimmen, die erklären, dass die Kirche nicht zu einer "Moralanstalt" verkommen dürfe, dass "Moral" keine politische Kategorie sei. Hyperventilation, von welcher Seite auch immer, ist tatsächlich keine gute Verfassung, um Probleme zu lösen. Die Negierung von Menschenwürde jedoch auch nicht. Aber ein nüchterner Blick über den Tellerrand des Wahlkampfs tut not. Nochmals Beispiel Flüchtlinge: Man kann ja kurzfristig versuchen, Meer und Grenzen unüberwindlich zu machen - langfristig löst das nichts.

Das größte aktuelle Wahlkampf-Defizit ist das Fehlen einer politischen Vision. Wohin Österreich, wohin Europa, wohin die Welt sich bewegen soll, müsste Thema sein. Fragen der Solidarität, Gerechtigkeit und - ja auch! - Sicherheit hätten dann eine andere Perspektive. Man kann (siehe Macron in Frankreich) einen Wahlkampf sogar mit einem positiven Blick auf Europa führen.

All das sollte nicht nur, aber gerade Religiöse im Land bewegen. Bislang galten - abgesehen von der Bewertung einzelner Positionen - die meisten Parteien (die FPÖ ausgenommen) für diese als wählbar. Ob man das heute auch so klar sagen kann?

otto.friedrich@furche.at

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